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Ungewisse Zukunft: Vielen Ukrainerinnen fällt das "Ankommen" schwer


Ungewisse Zukunft
Vielen Ukrainerinnen fällt das "Ankommen" schwer

Von dpa, t-online
12.04.2022Lesedauer: 4 Min.
Ukrainische Flüchtlinge in einem Willkommenszelt am Berliner Hauptbahnhof (Archivbild): Tausende kommen hier an, doch sich ein Leben aufzubauen, ist für viele schwierig.Vergrößern des BildesUkrainische Flüchtlinge in einem Willkommenszelt am Berliner Hauptbahnhof (Archivbild): Tausende kommen hier an, doch sich ein Leben aufzubauen, ist für viele schwierig. (Quelle: Trappe/imago-images-bilder)
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Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto mehr Flüchtlinge kommen nach Berlin. Doch selbst wenn sie hier Menschen kennen, ist es für viele nicht leicht, in der Hauptstadt Fuß zu fassen.

Mit einem Schild haben Christelle und Robert am Berliner Hauptbahnhof gewartet. Eine französische Fahne mit einer gelben Sonne haben sie darauf gemalt, als Erkennungszeichen. Denn seit der letzten Begegnung sind rund 30 Jahre vergangen.

Damals war Christelle im Teenageralter. Die beiden Ukrainerinnen, Svetlana (42) und Marina (39), waren Kinder. Jeden Sommer wurden die Schwestern zur Erholung ins Ausland geschickt, so wie viele andere Kinder, die nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 wegen der Radioaktivität Gesundheitsprobleme hatten. Auf einem Campingplatz in Agde an der französischen Mittelmeerküste lebten sie jeweils mehrere Wochen mit Christelles Familie, die aus dem Burgund stammt und im Süden immer die Schulferien verbrachte.

"Ich habe Dich trotzdem sofort erkannt. Du siehst noch genauso aus wie früher", sagt Svetlana und lächelt Christelle über den Küchentisch hinweg zu. Seit dem 11. März sind die Schwestern in Berlin. Nach dem Atomunfall damals waren sie mit ihren Eltern in die Hauptstadt Kiew gezogen. Dort sind sie aufgewachsen, haben gearbeitet, Svetlana in einer Bank, Marina in einem Casino. Sie haben auf eine Eigentumswohnung gespart.

Mit ihren beiden Töchtern Diana und Sofiia bewohnen sie jetzt eine kleine Wohnung im Haus von Christelle und Robert. Die Wörter auf Französisch, die sie als Kinder in den Sommerferien gelernt haben, sind fast alle vergessen. Die Kriegsflüchtlinge und ihre Gastgeber verständigen sich über eine Übersetzungs-App.

Berlin: "Nicht geglaubt, dass es einen solchen Krieg geben würde"

"Das Wiedersehen, das war ein sehr emotionaler Moment, für uns alle", sagt Christelle. Ein schöner Moment. Doch es gibt auch viele furchtbare Momente in diesen Tagen, die bewältigt werden müssen, wo dann auch Tränen fließen. Die Eltern und die Ehemänner von Svetlana und Marina sind noch in der Ukraine. Die Zukunft ist ungewiss. "Bis zum letzten Tag haben wir nicht geglaubt, dass es in unserem Land einen solchen Krieg geben würde", sagt Svetlana.

Am 24. Februar, als der russischen Angriff auf die Ukraine begann, fuhr Marina mit den Kindern und den Eltern in ein Dorf 180 Kilometer südlich von Kiew. Svetlana, die sich verpflichtet fühlte, weiter in der Bank zu arbeiten, blieb in der Hauptstadt. Dann entschieden sie doch, gemeinsam zu fliehen: Erst ins westukrainische Lwiw, dann nach Krakau, wo sie für einige Tage bei einer Cousine blieben.

Dort war wenig Platz, man rückte zusammen, schlief auf dem Boden. Die Bekannten von damals aus Frankreich riefen an und schickten Nachrichten – "Wo seid Ihr? Geht es Euch gut? Seid Ihr sicher?" Schließlich fiel die Entscheidung für Berlin: Sie stiegen in einen überfüllten Zug.

Die ersten Tage waren gefüllt mit Behördengängen. Schulplätze, Sozialhilfe, ein Bankkonto, eine Corona-Schutzimpfung mit einem in der EU anerkannten Impfstoff – alles musste organisiert werden. Marina tippt auf ihrem Handy auf das Mikrofon-Symbol sagt ein Wort in ihrer Muttersprache. Dann tippt sie auf das Lautsprecher-Symbol: "Papierkrieg", sagt die Computerstimme.

"Ich kann einem Kind nicht die Sicherheit nehmen"

Marina und ihre 12-jährige Tochter leiden bis heute an den Spätfolgen der Reaktorkatastrophe, weshalb für sie ärztliche Versorgung besonders wichtig ist. Jeden Tag fragen sich die Schwestern, ob sie zurückfahren sollen nach Kiew. Ihre Männer raten noch ab. "Ich kann einem Kind nicht die Sicherheit nehmen", sagt Svetlana.

"Sie mögen es sehr, sie haben andere Mädchen kennengelernt, sie bringen ihnen Deutsch bei", sagt Marina, als die Rede auf die Schule kommt, in der Diana und Sofiia jetzt eine Regelklasse besuchen. Die Mathematik-Aufgaben bekommen sie mit ukrainischer Übersetzung. Nach der Schule gehen die Mädchen gerne in eine Tanzschule im Viertel. Die elfjährige Sofiia hat einen kleinen Engel aus Porzellan von zuhause mitgebracht. Der Junge, der in Kiew ihr Tanzpartner war, hat ihr die Figur geschenkt. Wo er jetzt ist, weiß sie nicht.

Einmal pro Woche gehen die Mütter zu einem Treff ukrainischer Flüchtlinge in einer Kirchengemeinde, nicht weit vom Haus ihrer Gastgeber entfernt. Dort haben sie auch schon zwei Deutschstunden besucht. Christelle ist Lehrerin, Robert ist Vertriebsingenieur und arbeitet zurzeit viel im Homeoffice. Wann immer er kann, hilft er den Geflüchteten, sich in der deutschen Bürokratie zurechtzufinden.

Auch wenn es anfangs überall schwierig war, einen Termin zu bekommen, ist er positiv überrascht, wie schnell es dann doch ging mit der staatlichen Unterstützung. "Die beiden Frauen sind sehr selbstständig", sagt er. Mit der Navi-App auf dem Handy fänden sie sich gut in Berlin zurecht. Einmal seien sie sogar mit der Bahn nach Polen gefahren, um bestimmte Lebensmittel einzukaufen.

In den ersten Tagen saß man jeden Abend zusammen in der gemütlichen Küche. Jetzt kochen die beiden geflüchteten Frauen meistens oben für sich und die Mädchen. Am Wochenende dann kommen die Ukrainerinnen und ihre Gastgeber zusammen: Zum Frühstück, zum Grillen oder wenn Svetlana und Marina für alle Spezialitäten aus ihrer Heimat kochen.

Robert weiß auch von Fällen im Viertel, wo es nicht so gut geklappt hat. Etwa, weil Gastgeber und Flüchtlinge unterschiedliche Vorstellungen haben oder weil Impfbefürworter keine Impfgegner aufnehmen wollen. Marina und Svetlana möchten gerne arbeiten. Auch damit die Gedanken nicht ständig um die Schrecken des Krieges kreisen – und um eine Zukunft, die so ungewiss scheint.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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