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Erdbeben in Marokko – "Der König erfährt wenig Kritik"


Grünen-Politiker über das Erdbeben
"Der marokkanische König erfährt wenig Kritik – auch in der Diaspora"

InterviewVon Olga Felker

15.09.2023Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Samy Charchira (Archivbild): Der Grünen-Politiker stammt aus Düsseldorf und hat marokkanische Wurzeln. (Quelle: imago stock&people)

Samy Charchira kam aus Marokko nach Deutschland. Im Gespräch mit t-online erzählt der Grünen-Politiker, wie Marokkaner in Deutschland nach dem Erdbeben über den König denken.

In der Nacht zu Samstag vergangener Woche bebte in Marokko plötzlich die Erde. Zahlreiche Menschen wurden lebendig unter den Trümmern ihrer einstürzenden Häuser begraben und Tausende Menschen starben. Dieses Schicksal beschäftigt nicht nur die Menschen in Marokko, sondern auch hier in Deutschland. Zahlreiche Marokkaner kamen über das Anwerbeabkommen in der 1960er- und 70er-Jahren als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland. So auch der Grünen-Politiker Samy Charchira.

Im Alter von 14 Jahren zog er gemeinsam mit seinen Eltern nach Deutschland. Arbeitete sich hoch, lehrt heute an der Universität Osnabrück und sitzt für die Grünen in zahlreichen Ausschüssen der Stadt Düsseldorf, der Stadt mit den meisten marokkanisch stämmigen Einwohnern in Nordrhein-Westfalen. Charchira erzählt, wie die Menschen in Düsseldorf mit der Katastrophe in Marokko umgehen, wie sie Hilfe organisieren und was das Erdbeben mit dem Ansehen des Königs gemacht hat.

t-online: Herr Charchira vielen Dank für das Gespräch in dieser schwierigen Zeit. Wie geht es Ihnen gerade und viel wichtiger, wie geht es Ihrer Familie in Marokko?

Samy Charchira: Uns geht es Gott sei Dank gut. Wir sind hier nicht betroffen und die Familie vor Ort, in meinem Fall zumindest, auch nicht. Mein Vater, der sich gerade in Marokko aufhält, war weit vom betroffenen Gebiet entfernt. Andere Verwandte leben in Gegenden, die keinen größeren Schaden davongetragen haben.

Wie haben Sie von dem Erdbeben erfahren?

Ich bin in der Nacht durch die vielen Nachrichten auf meinem Handy darüber informiert worden, danach habe ich natürlich sofort den Fernseher eingeschaltet und im Internet nachgeschaut, was bereits bekannt ist.

Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie diese Nachrichten erhalten haben?

Ganz zu Beginn war ich noch nicht so sehr erschrocken, wahrscheinlich weil noch nicht so viele Informationen da waren. Ein Erdbeben kann schließlich unterschiedliche Stärken und Ausprägungen haben. Da hofft man natürlich auf das Gute. Dass es nicht so schlimm ist oder zumindest nicht so viel passiert ist. Am nächsten Morgen kamen allerdings schon die Meldungen über die ersten Todeszahlen. Diese Zahlen stiegen leider kontinuierlich. Ich glaube, mittlerweile sind wir bei über 3.000 Toten in Marokko. Das ist schon sehr dramatisch.

In Düsseldorf lebt die größte marokkanisch stämmige Gemeinschaft Nordrhein-Westfalens, die zweitgrößte deutschlandweit. Der Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk wird gar als "Maghreb-Viertel" bezeichnet.

Düsseldorf ist tatsächlich so etwas wie ein Zentrum für marokkanisches Leben in Nordrhein-Westfalen. Den meisten ist in Düsseldorf die "Ellerstraße" bekannt, allerdings weniger als "Maghreb-Viertel", wie es seit 2015/2016 in der Presse heißt. Dieser Begriff wird von vielen Menschen im Stadtteil und in der Community abgelehnt. Einfach, weil der Begriff für einige diskriminierend ist.

Und wie geht es den Menschen hier? Sie leben in Deutschland in Sicherheit und müssen aus der Ferne zusehen, wie die Menschen in Marokko leiden. Wie gehen Sie und auch andere in Düsseldorf mit diesem Gefühl um?

Die Menschen sind natürlich sehr traurig. Einige haben Menschenleben zu beklagen. Angehörige sind bei dem Erdbeben gestorben. Andere Familien stehen in Marokko vor dem Nichts – das Haus ist eingestürzt, die Existenzgrundlage ist vernichtet worden. Allerdings sind die Menschen nicht nur deswegen traurig, sondern auch, weil sie jetzt nicht vor Ort helfen können. Ich habe von vielen Menschen gehört, sie würden gerne eine handfeste Hilfe organisieren. Das klappt natürlich nicht. Sie können jetzt nicht einfach hinfahren. Und dennoch tut hier jeder, was er oder sie kann. Sie spenden Geld oder spenden vor Ort Trost und Hoffnung.

Das machen Sie auch, mit Ihrem Verein Düsseldorf-Marrakesch e.V. Dort sammeln Sie gerade Hilfsgüter, die nach Marokko geschickt werden sollen. Was benötigen die Menschen dort gerade am nötigsten und wie kann man spenden und helfen?

Nicht jede Hilfe ist die passende und das ist genau die Frage, vor der wir gerade stehen: "Wie kann man gezielt und effektiv helfen?" Das Problem mit den Sachspenden ist, dass wir zunächst gar nicht wissen, was die Menschen vor Ort brauchen. Sind das Zelte, Decken, Lebensmittel, Aggregatoren für Strom? Oder doch was ganz anderes? Das konnten wir gar nicht wissen. Deswegen fanden wir es vom Verein am sinnvollsten, Geld zu sammeln.

Der marokkanische König Mohammed VI. befand sich zum Zeitpunkt des Erdbebens, wie so oft, in Frankreich. Er traf erst nach 18 Stunden im Land ein. Und selbst dann geschah lange nichts. Wie blicken marokkanisch stämmige Menschen in Düsseldorf auf den König?

Der König erfährt relativ wenig Kritik – auch in der Diaspora. Die Zustimmungsraten sind immer noch hoch, genauso wie seine Beliebtheit. Und er befand sich schon häufig wegen medizinischer Behandlungen in Frankreich, das war also nichts Neues. Allerdings muss man sehen, wie schnell die Regierung gehandelt hat. Es wurde gleich am nächsten Morgen ein Krisenstab einberufen, Suchtrupps aus Spanien wurden schnell ins Land gelassen. In weniger als 24 Stunden wurde eine Luftbrücke von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Marokko installiert. Zusätzlich gibt es ein Hilfsprogramm. Familien erhalten 3.000 Euro Soforthilfe, für zerstörte Häuser können 14.000 Euro abgerufen werden und es gibt auch schon ein erstes Wiederaufbauprogramm. Allerdings gehen Experten davon aus, dass der Wiederaufbau sechs Jahre in Anspruch nehmen wird, wofür das Land wahrscheinlich 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufwenden werden muss.

Dennoch wurde internationale Hilfe erst komplett abgelehnt und dann – nach langer wertvoller Zeit – von nur vier Ländern akzeptiert: Spanien, Großbritannien, Katar und die arabischen Emirate. Dabei hatten 60 Länder ihre Hilfe angeboten. Wieso wurde aus Ihrer Sicht das Hilfsangebot nicht angenommen?

Ich kann nur das wiedergeben, was auch offiziell verkündet wurde. Dazu hat die Regierung eine Mitteilung herausgegeben und darin hieß es, dass sie Hilfe schon zulassen, diese aber sehr gezielt organisieren wollen. Das ist auch das, was ich von der Stadt Marrakesch gehört habe. Zusätzlich sind viele Zufahrtswege durch Steine gesperrt und es gibt ein Problem zu den Menschen zu kommen. Trotzdem können wir nur spekulieren, warum die Regierung sich so entschieden und auch die Hilfe der USA verweigert hat, denen die Regierung eigentlich sehr nah steht.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Samy Charchira
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