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Veganer Sternekoch Ricky Saward: "Nachhaltigkeit ist immer Punkt eins"


Vegane Sterneküche
In diesem Restaurant besteht jeder Gang nur aus einer Zutat

Von Fabian Jutzi

24.12.2022Lesedauer: 6 Min.
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Ricky Saward erkochte 2020 den ersten Stern für ein veganes Restaurant.Vergrößern des Bildes
Ricky Saward erkochte 2020 den ersten Stern für ein veganes Restaurant. (Quelle: Ricky Saward)

Vegan leben – das liegt im Trend. Wie das aufregend und lecker geht, zeigt Ricky Saward im "Seven Swans" in Frankfurt – dem weltweit ersten veganen Sternerestaurant.

Der Gastraum ist klein und schmal, bietet nur für rund ein Dutzend Gäste pro Abend Platz. Das Interieur ist schlicht, in Braun gehalten, ein großes Bild von einem Schwan hängt an der Wand, Tischdecken gibt es keine. Trotzdem wirkt der Raum einladend. Durch ein großes Fenster fällt Licht herein und die Gäste blicken auf den Main und die Alte Brücke. Wein und Wasser sind in einem Schrank an der Wand.

An der Seite führen Treppenstufen nach oben, geradewegs in die Küche des Restaurants. Circa fünfzehn Gänge gibt es an einem Abend im "Seven Swans". Der Clou: Jeder Gang besteht nur aus einer einzigen Zutat. Was zunächst langweilig oder verwirrend klingt, ist das Konzept des Frankfurter Sternerestaurants. Die Zutaten variieren je nach Saison. So kommt es, dass es ungefähr alle drei Monate fünfzehn komplett neue Gerichte gibt.

Inspiration in Neuseeland geholt

Laut der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) verzichten in Deutschland rund 2,2 % der Menschen zumindest weitestgehend auf tierische Produkte, das sind knapp 1,6 Millionen Personen. Ricky Saward, 33, jobbte nach seiner Kochausbildung unter anderem in Australien und Neuseeland. Dort hatte er auch erste Berührungspunkte mit Fine Dining, gehobener Küche. Inspiriert vom neuseeländischen Sternekoch Michael Meredith entwickelte Saward erste Ideen für eine nachhaltige, vegane Küche: "Er zeigte mir eine andere Welt. Morgens bei Nebel herauszugehen, Kräuter zu pflücken, in einen Korb zu legen und zuzudecken. Und dann jedes einzelne Blatt mit genauso viel Respekt und Liebe zu behandeln wie ein tierisches Produkt", beschreibt Saward seine Erfahrungen bei Meredith, die ihn bis heute prägen.

Seit 2019 kocht er im "Seven Swans" vegan, zuvor war es ein vegetarisches Restaurant. "Ziel war es, ein bisschen frischen Wind in die deutsche Sternegastronomie zu bringen und rebellisch zu sein. Auch anders zu sein und es nicht so zu machen wie alle anderen."

"Ich koche immer ohne Rezept"

"Wenn du in einem klassischen Sternerestaurant arbeitest, muss alles grammgenau abgewogen werden. Was lerne ich da? Nichts. Ich lerne lesen und machen, wie ein Roboter." Saward findet seine Zwischenstation dort wenig lehrreich. Er mache das jetzt ganz anders. "Ich koche immer ohne Rezepte. Ich bin eher Fan davon, mit Verstand, Logik und einem Hauch Gefühl zu kochen." Der Sternekoch verlässt sich auf seinen Geschmack – und den seiner Mitarbeiter. Und setzt im "Seven Swans" komplett auf regionale Produkte, die alle in der Nähe von Bad Homburg wachsen. Überschüssiges Gemüse aus dem Frühjahr und Sommer wird eingelegt oder fermentiert, sodass es auch in den Wintermonaten zur Verfügung steht.

Worauf hier verzichtet wird, sind Gewürze und gezüchtete Kräuter. Weder Salbei noch Petersilie, Schnittlauch oder Minze finden in der Sterneküche des 33-Jährigen Verwendung, höchstens einige Wildkräuter. Auch auf Fleischersatzprodukte wie Tofu verzichtet Saward konsequent.

Auseinandernehmen und neu zusammensetzen

Wie sieht ein Gang im veganen Sternerestaurant also zum Beispiel aus? "Ich habe ein Produkt, das nehme ich komplett auseinander und setze es neu zusammen – aber mit einem Geschmack, den die Leute noch nie zuvor hatten", erklärt Saward sein Konzept. Am Beispiel der Karotte sieht das dann so aus:

Karottensaft wird einreduziert und getrocknet, sodass eine feste und leicht ledrige Konsistenz entsteht. Daraus wird ein Zylinder geformt, der mit einem Karottentartar gefüllt wird. Dazu werden Karotten eine Woche bei Zimmertemperatur aufgehängt, anschließend in Kohle gegrillt und kalt geräuchert. Der reduzierte Karottensaft wird mit Kamille und Öl emulgiert, sodass eine Art Mayonnaise entsteht. Die Schale der Karotte wird frittiert und auf das Gericht gelegt. Aus der Jungpflanze der Karotte nimmt Saward die Blüte und legt sie süßsauer ein und am Ende auf das Gericht drauf. Damit sei jede Saison und jede Konsistenz der Karotte vertreten.

Wie der Sternekoch auf solch eine Kreation kommt? "Learning by doing und Kreativität", so seine einfache Antwort.

Mangelnde Wertschätzung

Doch die Kreativität und der Aufwand, den Saward und sein Team betreiben, haben ihren Preis. Lange Arbeitstage, oft bis zu zwölf Stunden, gehören bei ihm zum Alltag. Zu dritt kochen sie in der kleinen Küche des "Seven Swans" am Mainufer. Oftmals komme er nicht vor 1 Uhr aus dem Restaurant, meint aber auch: "Die Wertschätzung für das Engagement, die Reduzierung, das Risiko, das wir eingegangen sind, etwas Neues zu erschaffen, für die Detailverliebtheit, das Know-how und die ganzen Überstunden fehlt mir." Mittlerweile nehmen Nachfrage und Wertschätzung aber zu. Trotzdem kommt es noch zu skurrilen Momenten, erzählt Saward leicht kopfschüttelnd. "Wir fragen die Gäste nach Unverträglichkeiten und manche sagen mir, sie essen kein rotes Fleisch. Wenn du ein Jahr wartest, um einen Tisch zu kriegen, dann schaue ich doch mal nach, wo ich hingehe."

Wer jetzt noch spontan ein Weihnachtsgeschenk sucht, muss lange Wartezeiten einplanen: Bis November 2023 ist das "Seven Swans" restlos ausgebucht. Wer trotzdem ein Jahr Wartezeit in Kauf nimmt, zahlt für das Menü 159 Euro, mit entsprechender Weinbegleitung 220 Euro.

Nachhaltigkeit als Konzept

"Aus einem Rohprodukt, das jeder kennt und für jeden greifbar ist, etwas zu machen, was einem Gast ein Lächeln ins Gesicht zaubert", das ist die Motivation von Ricky Saward. Wichtig ist bei ihm vor allem der Aspekt der Nachhaltigkeit. "Nachhaltigkeit ist immer Punkt eins. Vegan ist nicht gleich nachhaltig", erklärt Saward. "Ich unterhalte mich lieber mit einer Person, die sich einmal pro Monat ein Steak vom Bauern um die Ecke holt, als mit jemandem, der sich jeden Morgen seine Avocado aus Chile aufs Brötchen schmiert. Diese Person hat es nicht verstanden, wo die Probleme in der Welt liegen."

Auch Gläser und Teller sind so nachhaltig wie möglich – alles in Deutschland gefertigt, erzählt Saward. Viele Gäste würden bei ihm Fleisch oder andere tierische Produkte im Essen nicht vermissen. Und so ein Restaurantbesuch könne dann auch der Anstoß sein, den Fleisch- und Fischkonsum zu reduzieren – um so nachhaltiger zu leben, meint der Sternekoch.

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Dabei legt er Wert darauf, dass es nicht um den kompletten Verzicht von Produkten geht. "Es ist unheimlich wichtig zu reduzieren. Aber warum muss es unbedingt das Ersatzprodukt sein? Aus meiner Sicht zieht die Industrie hier mit minderwertiger Qualität den Verbrauchern das Geld aus der Tasche. Ich verstehe das Imitieren von Fleischkonsistenz nicht. Warum so kompliziert?" Mit seinem Restaurant möchte er auch eine Veränderung anregen, wohl wissend, dass es keinen Komplettverzicht gibt und in vielen Ländern Fleisch noch eine wichtige Rolle spielt.

Auch privat auf Tofu verzichten

Reduzierung von Fleisch oder die Veränderung hin zu vegetarischem oder veganem Essen muss nicht schwer sein. "Geh in die Küche, schau in den Kühlschrank und probiere einfach aus", schlägt der Sternekoch auch für das Kochen zu Hause vor. Nudelteig ohne Ei sei problemlos möglich und schmecke genauso wie Nudelteig mit Ei.

"Vegan kochen ist anfangs anstrengender, aber wenn man sich eine Woche damit befasst, ist es einfach. Irgendwann fällt es sogar schwer, Fisch oder Fleisch einzubauen." Für Saward, der auch privat in den allermeisten Fällen vegan isst, hat sich dadurch auch sein Geschmack verändert: "Ein perfektes Steak würde mir heute nicht mehr schmecken."

Warum nicht mal vegane Weihnachten?

Nicht unbedingt Steak, aber Fleischgerichte wie Gans, Braten oder Würstchen stehen an Weihnachten traditionell auf dem Tisch. Wer nach veganen Alternativen sucht, stellt sich vermutlich schnell die Frage: Wie koche ich ein veganes Weihnachtsgericht? Die Antwort von Ricky Saward ist wieder erstaunlich einfach: "Nimm die Beilagen und werte sie auf."

Als Vorspeise schlägt der Sternekoch eine Suppe vor: "Kürbis geht immer oder auch Maronen. Aber auch eine Brühe mit Einlage ist köstlich. Da gibt es wirklich viele Möglichkeiten." Anstatt Butter könne zum Verfeinern Öl genommen werden, bevor die Suppe püriert wird.

Als Hauptspeise könnte beispielsweise ein Rotkohl im Ganzen gebacken und geschmort werden, anschließend portioniert und in Rote Beete – Rotwein – Kirschmarinade gelegt werden. Dazu eine Sauce mit Gemüsebrühe und Rosinen, sodass eine süßsaure Jus entsteht.

Schneller Dessertvorschlag

Ein schneller Dessertvorschlag von Saward: einen Apfel aushöhlen und das Fruchtfleisch zu einem Apfelmus einkochen. Dazu mit Mehl, Margarine, Zucker und Haselnuss einen Crumble herstellen und auf das Apfelmus geben und backen. Anschließend Zucker karamellisieren lassen, Apfelsaft darauf geben, frische Äpfel dazu. Kurz aufpürieren, in den Eisschrank und auf dem warmen Crumble servieren.

Wer möchte, kann noch Zucker karamellisieren lassen, mit Hafermilch ablöschen, pürieren und den Karamellschaum über das Eis geben. Und hat dann ein veganes Weihnachtsmenü.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Ricky Saward
  • Beobachtungen vor Ort
  • Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) 2022
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