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Eigentümer baut Haustür aus: Frankfurter Mieter fühlen sich schikaniert und bedroht


Sollen Blinde vertrieben werden?
Mietschikane in Frankfurt – Bewohner fühlt sich bedroht


24.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Mittlerweile ist die alte Haustür wieder eingebaut worden. Allerdings mit sichtbaren Schäden.Vergrößern des Bildes
Mittlerweile ist die alte Haustür wieder eingebaut worden. Allerdings mit sichtbaren Schäden. (Quelle: Jannis Holl)

Die Anwohner eines Hauses in Frankfurt fühlen sich von ihrem Vermieter schikaniert. Doch der weist die Vorwürfe zurück.

Im Juni 2022 habe es laut an seiner Tür geklopft, sagt Mustafa A. "Boom, boom, boom hat es gemacht", erzählt er. Es sei ein aggressives Klopfen gewesen. Ein Mann habe ihm mit unfreundlichem Ton ein Schreiben überreicht. In dem Briefumschlag steckte eine Kündigung für die Wohnung, die der schwerbehinderte Herr A. schon seit fast zwei Jahrzehnten bewohnt.

Es handelt sich um eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus auf der Eschersheimer Landstraße, über das lokale Medien wegen Mietschikane seit Tagen berichten. An die Öffentlichkeit kam die Geschichte am 16. Juni, als die Stabsstelle Mieterschutz der Stadt Frankfurt eine Pressemitteilung veröffentlichte. In der Mitteilung ist die Rede von einem "besonders dreisten Fall von Entmietung" in einem Blindenwohnheim.

Die Haustür sei samt Briefkästen ausgebaut worden, über Monate sei die Klingelanlage defekt gewesen und im Winter sei es zu Heizausfällen gekommen. Auch die ausgesprochenen Kündigungen seien fehlerhaft und rechtlich nicht durchsetzbar. Diese Umstände wertet die Stabsstelle als Schikane, um die Mieter zum Auszug zu bewegen, um den Mieterschutz zu umgehen und die Wohnungen teuer neu zu vermieten. Um ein Blindenwohnheim handelt es sich nicht, wie Karl Matthias Schäfer sagt. Er ist der stellvertretende Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenbundes Hessen, dem das Haus bis vor einigen Jahren gehörte.

"Selbstverständlich haben wir, als Selbsthilfeorganisation, bevorzugt an blinde und sehbehinderte Interessenten vermietet", sagt Schäfer. 2017 verkaufte die Organisation das Haus an die Antan GmbH. Die wiederum verkaufte es an die EL 80 GmbH, die seit Januar 2023 nach eigenen Angaben im Besitz der Immobilie ist, was sie aber nicht daran hinderte, bereits im Juni 2022 Kündigungen zu verschicken. Auch heute noch wohnen in dem Haus vor allem Menschen mit einer Seh- oder Schwerbehinderung.

"Ob ich blind bin oder nicht, tut erst mal nichts zur Sache"

Einer von ihnen ist Mustafa A. Nach der Kündigung sei derselbe Mann erneut unangekündigt bei ihm aufgetaucht. Er habe laut geklopft und in lautem Ton, gefragt, ob Herr A. blind sei. Als dieser verneint, habe ihm der Mann vorgeworfen, missbräuchlich in dem Haus zu wohnen. "Ob ich blind bin oder nicht, tut erst mal nichts zur Sache. Sie haben die Kündigung doch auch den Blinden gegeben", hatte A. nach eigener Aussage geantwortet. Herr A. habe den Mann dann weggeschickt, der ihm darauf gesagt haben soll, er werde ihn eigenhändig rausschmeißen. "Wenn das keine Bedrohung ist", sagt Mustafa A., der für den Vorfall auch einen Zeugen haben will.

Der Name des Mannes, der Herr A. bedroht haben soll und auch die Kündigung vorbeibrachte, liegt t-online vor. Er soll im Auftrag der EL 80 GmbH gehandelt haben. Als unsere Redaktion am Mittwoch bei der Gesellschaft aus Aschaffenburg anruft, um sie mit den Vorwürfen zu konfrontieren, heißt es: "Kein Kommentar. Wir äußern uns nicht." Am Freitag folgte eine schriftliche Stellungnahme durch eine Frankfurter Anwaltskanzlei.

In dem Schreiben heißt es, eine Drohung habe es nie gegeben. Auch zu den anderen Vorwürfen bezieht die EL 80 GmbH Stellung. Fast zwei Wochen hatte das Haus keine Tür. In der Stellungnahme heißt es, ein Bauunternehmen habe ohne "Weisung oder Aufforderung" der EL 80 die "alte und beschädigte Haustür" ausgebaut. "Die Tür war komplett in Ordnung", sagt Mustafa A. Erst die Handwerker haben die Tür beim Ausbau beschädigt, die mittlerweile wieder eingebaut wurde, so Herr A. Fast zwei Wochen konnten Fremde das Haus ungehindert betreten. Auch die sehbehinderten Kinder, die in dem Haus wohnen, hätten ohne Hindernis auf die viel befahrene Straße laufen können.

Eigentümer weist Vorwürfe zurück

Dass es keine Weisung gegeben habe, hält Herr A. für unwahr. Er habe mit den Handwerkern gesprochen. "Der große Boss hat gesagt, wir sollen das ausbauen", sagten die Männer laut Herrn A. Zu der Haustür schreibt die EL 80 auch, sie habe erst am 14. bzw. 16. Juni von dem Ausbau erfahren. t-online liegt eine Mail vor, die am 7. Juni gesendet wurde und in der die EL 80 über den Ausbau in Kenntnis gesetzt wurde. An dem Tag, an dem die Tür ausgebaut wurde. Es ist dieselbe Mailadresse, die t-online für eine schriftliche Anfrage zu den Vorwürfen von der EL 80 mitgeteilt wurde.

Die Absenderin der Mail ist Tanja T., die ebenfalls in dem Haus wohnt. Auch vom Ausbau der Briefkästen will die EL 80 nichts gewusst haben. Mittlerweile befinden sich zwar vier neue Briefkästen an der Fassade des Hauses. Das sind aber zwei zu wenig. Zwei Personen haben immer noch keine Möglichkeit, Briefe zu empfangen, so Herr A.

Tanja T. ist mit dem neuen Briefkasten nicht zufrieden. "Mein Post war nach dem letzten Regen durchnässt." Die alten Briefkästen waren geschützt im Hausflur angebracht. Auch eine Hausreinigung gebe es nicht, nur der Müll werde regelmäßig entsorgt. Tatsächlich wirkt das Treppenhaus dreckig, vor allem Baureste fallen auf. Die EL 80 schreibt in ihrer Stellungnahme, dass sie den Mietern "mehrere wirtschaftliche Angebote unterbreitet hat, um diese bezüglich der Gewinnung neuen, besseren Wohnraums umfassend zu unterstützen." Dem widersprechen Mustafa A. und Tanja T.

Nach dem Kündigungsschreiben im Juni habe man im März 2023 ein einziges Schreiben der EL 80 GmbH erhalten. Darin heißt es, man wolle Mieter, die "fristgerecht" ausziehen, in "einem gewissen finanziellen Rahmen unterstützen". Mehr sei nicht gekommen, sagen Tanja T. und Mustafa A.

Mieter wollen Wohnung nicht verlassen

In der Stellungnahme des Eigentümers heißt es auch, verbliebenen Mietern sei angeboten worden, "Ersatzwohnraum zu besorgen, die Kosten der Wohnungssuche zu übernehmen und einen Umzug finanziell großzügig zu bezuschussen". Es gebe einen Mieter, für den das zutreffe. Der habe aber sowieso umziehen wollen, um mehr Platz für seine Kinder zu haben. Zwei Mieter sollen das Haus verlassen haben, weil sie den Druck nicht mehr aushielten. Sie selbst haben ein solches Angebot nicht erhalten, sagen Herr A. und Frau T.

Mustafa A. lebt seit 2005 in der Eschersheimer Landstraße, sagt er. Er wolle seine Wohnung nicht verlassen. Als Schwerbehinderter mit Migrationsgeschichte und einem geringen Einkommen würde er keine neue Unterkunft in dieser Lage finden. Auch Tanja T. will ihre Wohnung für kein Geld der Welt verlassen. Ihre Tochter sei auf einer weiterführenden Schule im Viertel eingeschult worden. Das Haus mit der Nummer 80 sei ihre Heimat. In der Gegendarstellung der EL 80 gibt es auch einen Seitenhieb gegen den Blinden- und Sehbehindertenbund Hessen: Der habe beim Verkauf des Hauses 2017 "in gewisser Weise nochmals Kasse" gemacht und sich der Verantwortung gegenüber den Mietern entzogen.

"Kasse machen ist in diesem Bezug ein interessanter Begriff", sagt Karl Matthias Schäfer. Als gemeinnütziger Verein dürfe die Organisation nur in engen Grenzen "Kasse machen". Denn hohen Renovierungsbedarf hätte man seinerzeit nicht stemmen können und habe deswegen verkauft. Die Mieter hätten den üblichen Bestandsschutz gehabt. "Ich bin wütend darüber, dass man auf diese Weise mit Menschen umgeht, ihnen praktisch die Heimat nimmt", sagt Schäfer. Er empfehle den Bewohnern, sich mit der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte in Verbindung zu setzen. Diese vermiete auch Wohnungen und es sei bestimmt möglich, zumindest auf die Warteliste zu kommen.

Verwendete Quellen
  • Gespräche vor Ort
  • Eigene Recherche
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