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Rassismus-Eklat um Aogo und Lehmann: "Das Opfer wird dämonisiert"


Rassismus-Eklat
"Das Opfer wird dämonisiert, der Täter in Schutz genommen"

InterviewVon Katrin Börsch

12.05.2021Lesedauer: 5 Min.
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Jens Lehmann: Nach dem Rassismus-Vorfall verlor der ehemalige Nationaltorwart seinen Posten bei Hertha BSC.Vergrößern des Bildes
Jens Lehmann: Nach dem Rassismus-Vorfall verlor der ehemalige Nationaltorwart seinen Posten bei Hertha BSC. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Die Rassismus-Debatten um Jens Lehmann, Dennis Aogo und schließlich Boris Palmer haben vergangene Woche für Aufsehen gesorgt. Im t-online-Interview erklärt die Geschäftsführerin der Initiative Schwarze Menschen, warum Täter- und Opferrolle häufig verkehrt werden.

Der Rassismus-Streit zwischen den Fußballern Jens Lehman und Dennis Aogo in den vergangenen Tagen hatte mehrere Ebenen: Eine Nachricht, in der Lehmann seinen jüngeren Kollegen als "Quotenschwarzen" bezeichnete, wurde veröffentlicht. Kurze Zeit später wurde eine antisemitische Äußerung Aogos publik gemacht. Er sagte in seiner Funktion als Sky-Experte, Manchester City trainiere "bis zum Vergasen". Daraufhin hat Grünen-Politiker Boris Palmer Aogo auf Facebook als "schlimmen Rassisten" bezeichnet und das N-Wort ausgeschrieben, was er nachträglich als Ironie rechtfertigte.

Die Frankfurterin Siraad Wiedenroth ist Geschäftsführerin der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. (ISD) und erklärt im Interview mit t-online, wie Opfer in Rassismus-Debatten häufig zu Tätern gemacht werden, warum sich Rassismus nicht umkehren lässt und warum Frankfurt ein Diskriminierungsproblem hat.

t-online: Frau Wiedenroth, die Vorfälle haben sich in dieser Causa ja regelrecht überschlagen. Zunächst einmal, finden Sie es gerechtfertigt, wie mit Dennis Aogo als eigentlichem Opfer umgegangen wird?

Siraad Wiedenroth: Was hier passiert, geschieht häufig. Damit der Rassismus nicht so schlimm ist, wird die Person, die Opfer wurde, zur Täterperson gemacht. Das Opfer wird "dämonisiert", um es mal krass auszudrücken. Dadurch wird der Täter quasi in Schutz genommen. Dass sich Aogo antisemitisch geäußert hat und dass dies genauso schlimm ist, stelle ich nicht infrage. Doch das heißt nicht, dass er weniger Schutz vor Rassismus verdient.

Was können wir daraus lernen?

Die Vorfälle zeigen, dass alle Menschen mit rassistischen, antisemitischen und antimuslimischen Bildern aufgewachsen sind. Auch Schwarze Menschen können rassistische Bilder im Kopf haben oder, wie in dem Fall, antisemitische Aussagen tätigen. Schwarzsein bedeutet nicht, vorurteilsfrei zu sein. Kein Mensch ist davor gefeit, solche Muster zu reproduzieren.

Der Begriff "Schwarz" wird oft als Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer Herkunft, schwarzen Menschen, Menschen dunkler Hautfarbe und people of color gewählt. Das großgeschriebene "S" wird bewusst gesetzt, um eine Positionierung in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft zu markieren und gilt als Symbol von Emanzipation und Widerständigkeit.*

Gibt es auch umgekehrten Rassismus, so wie es Tübingens OB Boris Palmer in seinem Post darzustellen versucht?

Rassismus funktioniert nicht umgekehrt, weil die Privilegien und damit die Macht strukturell bei weißen Menschen liegen.

Wie ordnen Sie die Reaktionen der beiden Fußballer auf ihre rassistischen und antisemitischen Äußerungen ein?

Aus meiner Sicht hat Dennis Aogo sehr schnell reagiert, indem er seinen Fehler eingestanden und sich entschuldigt hat. Jens Lehmann hingegen relativiert seine Aussagen und entschuldigt sich, meiner Meinung nach, nicht angemessen. Auf die Entschuldigung folgt ein "Aber": "Aber das war nicht so gemeint." Hier sehen wir Unterschiede in der Art, wie die beiden Personen damit umgehen. Ich finde auch, dass im aktuellen Diskurs bei Jens Lehmann nicht genug beachtet wird, ist, dass er bereits vorher mit homophoben Äußerungen auffällig geworden ist.

Lehmann bezeichnete Aogo als "Quotenschwarzen". Welches Bild wird durch dieses Narrativ gezeichnet?

Das ist ein sehr rassistisches Bild. Damit haben viele Schwarze Menschen zu kämpfen und zwar in dem Sinne, dass ihnen nachgesagt wird, es sei nur wegen der Hautfarbe und nicht wegen der Leistung, wenn sie etwas erreicht haben. Dieses Problem kennen auch Frauen oder nicht-binäre Personen sehr gut. Die Leistung, die die Person erbracht hat, wird unsichtbar gemacht.

Frankfurt gilt als multikulturell. Warum brauchen wir Ihrer Meinung nach dennoch antirassistische Arbeit? Hat Frankfurt ein Rassismus-Problem?

Überall haben wir ein Rassismus-Problem und das auch, aber nicht nur in Frankfurt. Wir reden zum Beispiel oft darüber, dass sehr viele verschiedene Nationen hier leben. Werfen wir aber einen Blick ins Stadtparlament, da zeigt sich diese Vielfalt nicht. In den machtvollen Positionen, wo Entscheidungen für die ganze Stadt getroffen werden, da sitzen fast nur – mit wenigen Ausnahmen – weiße Menschen. Da spiegelt sich die diverse Stadtgesellschaft nicht wider. Das ist ein sehr klares Indiz dafür, dass es Rassismus auch in einer multikulturellen Stadt wie Frankfurt gibt.

In den USA ist der Polizist, der George Floyd am 25. Mai 2020 ermordet hat, schuldig gesprochen worden. Im Falle von Breonna Taylor, die am 13. März 2020 erschossen wurde, musste sich der Täter vor Gericht allerdings nicht für die Tötung der Frau verantworten, sondern lediglich wegen mutwilliger Gefährdung anderer mit seiner Dienstwaffe. Wie problematisch sehen Sie dieses Messen mit zweierlei Maß?

Im Gegensatz zu George Floyd ist Breonna Taylor nicht nur Schwarze, sondern auch eine Frau. Die Bewegung "Say Her Name" entstand 2015 als Antwort darauf, dass oft Schwarze Männer in Medien, in Empörung und in Trauer zentral sind und Schwarze Frauen, trans-Personen, non-binäre Menschen und ihre Diskriminierungserfahrungen häufig schnell unsichtbar gemacht werden. Wir kennen viele Namen Schwarzer Männer, die Opfer von Polizeigewalt sind. Bei Schwarzen Frauen oder Schwarzen trans-Personen ist das nicht in gleichem Maße der Fall.

Werden Ihrer Meinung nach Polizistinnen und Polizisten nicht angemessen zur Verantwortung gezogen?

Ja, dass sich Polizist:innen oft nicht für ihre Taten verantworten müssen, ist ein Problem, das weltweit besteht. Auch in Frankfurt haben wir so einen Fall: Am 19. Mai ist der zehnte Todestag von Christy Schwundeck. Sie wurde in einem Jobcenter im Gallus von der Polizei erschossen. Hier haben auch wieder rassistische Bilder gegriffen: Einer Schwarzen verzweifelten Frau, die wahrscheinlich auf Hartz IV oder Kindergeld angewiesen war, wurde aus irgendwelchen Gründen die Auszahlung des Geldes verwehrt. Die Situation ist eskaliert, die Polizei wurde gerufen. Anstatt zu deeskalieren, hat die Polizei recht schnell zur Waffe gegriffen. Die Zeit zwischen dem Polizeiruf und der Tötung von Christy Schwundeck umfasste nicht einmal eine Stunde.

Wie definieren Sie Polizeigewalt?

Polizeigewalt fängt nicht erst bei der Tötung Schwarzer Menschen an, sondern schon bei Racial Profiling. Ohne Verdacht und aus einer vorurteilsbehafteten Zuschreibung heraus wird zum Beispiel der Ausweis kontrolliert. Neben dieser Form gibt es natürlich noch die physische Brutalität, der Schwarze Menschen ausgesetzt sind. Im Falle von Oury Jalloh, der 2005 in Dessau in Polizeigewahrsam verbrannt ist, hat ein externes, nicht-staatliches Gutachten festgestellt, dass er bereits vor dem Verbrennen tot war – durch die brutale Gewalteinwirkung der Polizei.

Ein anderer Fall ist der von Laye Condé, 2004 in Bremen Weil man bei ihm Drogen vermutete, die er geschluckt haben soll, hat die Polizei ihm zwangsweise Brechmittel zugeführt, bis er ohnmächtig wurde und – darüber hinaus – bis er starb. Das Verabreichen von Brechmitteln ist im Nachgang zu Recht von Gerichten verboten worden.

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