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Hamburger Hells-Angels-Aussteiger: "Verbindungen zwischen Hells Angels und Deutschrap-Szene"


Hells-Angels-Aussteiger packt aus
"Wenn es Probleme mit Freiern gab, habe ich mich gekümmert"

InterviewVon Jannis Holl

Aktualisiert am 25.07.2022Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Kassra Zargaran: Er hat ein Buch über seine Zeit bei den Hells Angels und seinen Ausstieg geschrieben.Vergrößern des Bildes
Kassra Zargaran: Er hat ein Buch über seine Zeit bei den Hells Angels und seinen Ausstieg geschrieben. (Quelle: Jens Kalaene/dpa)

Nach einer "entspannten Jugend" geriet er ins Rotlichtmilieu auf der Reeperbahn – dann zu den Hells Angels. Jetzt spricht Kassra Zargaran über seinen Werdegang bei den Rockern.

Kassra Zargaran war jahrelang Teil des organisierten Verbrechens: Er gehörte zu den Hells Angels Berlin. Nach einem Mord will er aussteigen und sagt 2014 als Kronzeuge gegen seine "Brüder" aus. Er hat nicht abgedrückt, war aber mit dabei und wird verurteilt. Seine Unterwelt-Karriere begann der Norderstedter in Hamburg. Im Interview spricht er über seine Zeit auf dem Kiez und Verbindungen zwischen der Rockergang und der Deutschrap-Szene.

t-online: Herr Zargaran, Sie sind in Norderstedt in der Nähe von Hamburg aufgewachsen. Wie verlief Ihre Jugend am Stadtrand?

Kassra Zargaran: Meine Jugendzeit war entspannt. Ich hatte viele Freunde, eine Clique. Wir haben Fußball gespielt und Quatsch gemacht. Was Jugendliche halt so machen. Auch in meinem Elternhaus war alles in Ordnung. Meine Mutter war Erzieherin und mein Vater Optiker. Nur in der Schule wurde es irgendwann problematisch.

In Ihrer Autobiografie "Der Perser" schildern Sie Ihren schulischen Abstieg.

Zuerst lief alles gut. Ich war auf einem Gymnasium. Meine Leistungen waren ordentlich. Aber ich habe mich zwischen den deutschen Kindern unwohl gefühlt. Es gab nicht viele Kids mit Migrationshintergrund. Meine Eltern hatten nicht so viel Geld, wie die Eltern meiner Klassenkameraden. Ich habe mich als Außenseiter gefühlt. Dann kamen Konzentrationsprobleme. Schließlich bin ich auf der Hauptschule gelandet.

Dort haben Sie dann einen Lehrer mit einem Geodreieck attackiert, so schreiben Sie es zumindest in Ihrem Buch.

Nichts, worauf ich heute stolz bin. Aber ich hatte kein Ventil für meine Wut, auch wenn ich damals mit dem Boxen angefangen habe.

In dieser Zeit haben Sie auch Ihre ersten Straftaten begangen.

Mit ein paar Kumpels bin ich von Norderstedt nach Hamburg gefahren. Wir haben andere Jugendliche abgezogen. Zu unseren Opfern haben wir gesagt: "Taschenkontrolle" und uns genommen, was sie dabeihatten.

Das Buch

Der Perser: Wie ich ein Hells Angels wurde, als Kronzeuge vor Gericht auspackte und im Zeugenschutz landete
Von Kassra Zargaran unter Mitarbeit von Nils Frenzel
Riva (2022), 272 Seiten, ISBN 978-3-7423-1985-2, 20 Euro.

Wenig später, sagen Sie, sind Sie als Türsteher und Zuhälter ins Hamburger Rotlicht-Milieu eingestiegen. Wie kommt ein Sechzehnjähriger auf den Kiez?

Ich bin da reingerutscht. Die Älteren in meiner Norderstedter Clique hatten Kontakte zu Sicherheitsleuten auf der Reeperbahn. Ich war durch mein Boxtraining schon damals ziemlich robust und stabil. Und irgendwann wird man mal gefragt, ob man nicht Lust hat, mit auf den Kiez zu kommen. Dann lernt man in der Bar jemand kennen, trifft in dem Stripclub eine Frau, die für einen laufen will. Das hat sich alles so ergeben.

Für "einen laufen" heißt, dass die Frauen Ihnen Prozente abgeben mussten und dafür Schutz erhalten haben?

Genau. Wenn es Probleme mit Freiern gab, habe ich mich darum gekümmert.

Ob diese Geschäftsbeziehung freiwillig eingegangen wurde, können wir jetzt natürlich nicht überprüfen. Welchen Reiz hat der Kiez damals auf Sie ausgeübt?

Natürlich das Nachtleben! Klar! Immer was erleben, immer Action, immer neue Leute kennenlernen. Das hat mich als junger Mann gereizt. Und man hat Geld verdient.

Gab es auf dem Kiez auch gefährliche Situationen?

Es gab hier und da mal Schlägereien. Aber nichts Lebensgefährliches. Gerade auf der Reeperbahn musst du dich durchsetzen können. Da ist viel Alkohol und Übermut im Spiel.

Ihre Rotlicht-Karriere wurde jäh unterbrochen. Sie mussten über zwei Jahre nach Neumünster in Jugendhaft. So schreiben Sie es in Ihrem Buch. Was ist passiert?

Ich kam von einer Party. In der U-Bahn war ein Typ, der auch auf dem Heimweg war. Er war stark alkoholisiert und hat die Konfrontation mit mir gesucht. Wir haben uns geprügelt. Als er geflohen ist, bin ich ihm hinterhergerannt und habe noch mal auf ihn eingeschlagen. Später kam raus, dass er Polizist war – wenn auch nicht im Dienst.

Nach der Jugendhaft kamen Sie dann ins Umfeld der Hells Angels.

Ich habe erst versucht, den geraden Weg zu gehen. Habe eine Ausbildung als Koch begonnen. In einem schicken Hamburger Hotel an der Elbe. Alles lief gut. Aber meine Vorgesetzten mochten mich nicht, haben mich rassistisch beleidigt. Ich habe mich beschwert. Ganz offiziell. Aber nichts ist passiert. Und dann kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung …

… und Sie sind wieder auf dem Kiez gelandet.

So ist es. Ich hatte keine Lust mehr, mich für ein paar Hundert Euro im Monat herumschubsen zu lassen. Auf St. Pauli habe ich dann einen alten Bekannten getroffen. Der hat mich mitgenommen zur Legion 81, einem Supporter-Club der Hells Angels in Kiel.

Was ist ein Supporter-Club?

Das sind Rockerclubs, die die Hells Angels unterstützen. Sie sind keine richtigen Hells Angels, gehören aber zum Umfeld des Clubs. Ich habe mich bei den Jungs wohlgefühlt. Das war eine Gemeinschaft, eine Bruderschaft. Man bekam Respekt, wenn man sich für seine Brüder grade macht – also bei Schlägereien gegen andere Gangs vorne mit dabei ist. Damals fand ich das alles cool.

Irgendwann haben die Hells Angels entschieden, die Legion 81 aufzulösen. Sie sollten dann zu den Hamburger Hells Angels gehen.

Ich war ein paar Mal bei denen im Clubhaus. Da war für mich klar: Zu denen will ich nicht. Deswegen bin ich dann auch nach Berlin gegangen. Zum Präsidenten der Berliner Hells Angels, Kadir Padir, hatte ich damals schon Kontakt.

Was war das Problem mit den Hamburgern?

Die Hells Angels "Southport", bei denen ich mich eingliedern sollte, hatten nicht viel damit zu tun, was ich aus Kiel kannte und mit der Lebensweise eines Hells Angels verbunden habe. Sie hielten sich an keinen Codex. Ihr Clubhaus war abgegammelt. Viele der Jungs kannte ich vom Kiez. Für mich waren das keine Rocker. Der damalige Präsident Phillip und ich mochten uns auch nicht.

Die Hells Angels sollen in Verbindung zu deutschen Rappern stehen. Was können Sie darüber sagen?

Diese Verbindung gibt es. Der damalige Sergeant at Arms eines Hamburger Clubs, also derjenige, der für die Bewaffnung der Jungs zuständig ist – Dari – hatte enge Verbindung zu einem sehr bekannten Rapper.

Dariusch F., der ehemalige Bundeswehrscharfschütze, der seit einem Mordanschlag auf ihn durch die verfeindete Mongols-Gang querschnittsgelähmt ist?

Genau. Dieser Dari. Damals gab es eine enge Verbindung zwischen Dari, den Hamburger Hells Angels und dem Offenbacher Rapper Haftbefehl. Ich weiß nicht, was da lief. Ob Haftbefehl Geld bezahlt hat. Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, ob die heute noch Kontakt haben. Damals haben die uns mal zusammen in Berlin besucht.

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Worum ging es?

Der Berliner Rapper Fler wollte ein Feature mit Haftbefehl. Fler hat zu uns gehört. Wir haben 2013 ein Treffen zwischen Haftbefehl und Fler organisiert. Die beiden waren zusammen essen. Das Feature kam dann aber nicht zustande, weil Haftbefehl keinen positiven Eindruck von Fler hatte.

Kann man sagen, die Berliner Hells Angels waren der Rücken von Fler?

Wir haben uns um seine Sicherheit gekümmert. Ein Mann von uns war immer bei ihm. Ob da Gelder an uns geflossen sind, weiß ich nicht, weil ich das damals nicht einsehen konnte. Aber wir sind um 2010 herum ja auch in seinen Musikvideos aufgetreten. Ich nehme an, dass wir das nicht umsonst gemacht haben.

Fler würde wahrscheinlich widersprechen. Er hat in einem Interview gesagt, er bezahlt niemanden für seinen Schutz.

Ich habe keinen Grund, zu lügen. Ich habe persönlich nichts gegen Fler. Keine Ahnung, wie es heute bei ihm aussieht. Aber damals hat er sicher nicht mit uns rumgehangen, weil wir so gut befreundet waren.

Auch die Hamburger Rapper der 187 Straßenbande sollen Kontakte zu den Hells Angels haben.

Ja, der Kontakt ist da. Ich glaube, Marten ist sein Name. Der ist der Cousin von Bonez MC, soweit ich weiß. Der kommt von den Hamburgern Hells Angels "Northend", einem eher unscheinbaren Ableger der Angels.

Mit Ihrem Buch möchten Sie auch andere darin bestärken, aus der Kriminalität auszusteigen oder gar nicht erst kriminell zu werden. Was ist Ihre Botschaft an junge Männer, die ein Leben führen, wie Sie es damals geführt haben?

Mit Kriminalität schadet ihr nicht nur anderen Menschen oder euren Liebsten, sondern am Ende auch euch selbst. Vielleicht verdient ihr schnell viel Geld. Doch es geht nicht gut aus. Entweder landet ihr im Krankenhaus oder in Haft. Im schlimmsten Fall auf dem Friedhof.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Kassra Zargaran
  • Die im Interview getätigten Aussagen stellen Meinungen und Ansichten des Gesprächspartners dar, die sich t-online nicht zu eigen macht.
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