t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeRegionalHamburg

Rollstuhlfahrer in Rage: "Diese Fehlplanung ist symptomatisch für die Barriere-Bahn"


Streit um Aufzug in Hamburg
"Diese Fehlplanung ist symptomatisch für die Barriere-Bahn"

  • Gregory Dauber
Von Gregory Dauber

Aktualisiert am 13.12.2022Lesedauer: 4 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Sie wollen die Einschränkungen bei der Deutschen Bahn nicht länger hinnehmen: Rollstuhlfahrer beschweren sich über die Zustände am Hamburger Hauptbahnhof.Vergrößern des Bildes
Sie wollen die Einschränkungen bei der Deutschen Bahn nicht länger hinnehmen: Rollstuhlfahrer beschweren sich über die Zustände am Hamburger Hauptbahnhof.

Immer wieder prangern Menschen mit Behinderung die mangelnde Barrierefreiheit bei der Deutschen Bahn an. In Hamburg erregt ein Fall von "Fehlplanung" die Gemüter.

Ein gerade erst sanierter Bahnsteig im Hamburger Hauptbahnhof sorgt für Frust und Ärger bei Reisenden im Rollstuhl, die an den Fernzuggleisen 13 und 14 umsteigen müssen. "Diese Fehlplanung ist symptomatisch für die Barriere-Bahn", sagt Cécile Lecomte zu t-online beim Treffen in Hamburg. "Die Barrierefreiheit wird immer irgendwie dazu geschustert und nicht von vorneherein mitgedacht. Diese Konstruktion ist einfach nicht praktikabel."

Konkret geht es um einen Aufzug, der von den Gleisen in die Bahnhofshalle führt. Monatelang sei dieser außer Betrieb gewesen, erzählen verärgerte Rollstuhlfahrer t-online. Als die Sanierung des Bahnsteiges abgeschlossen war, gab es auf einmal eine zentimeterhohe Kante zwischen Bahnsteig und Aufzug. Die Lösung der Deutschen Bahn: eine Rampe aus Metall, flankiert von hüfthohen Abgrenzungen. "Das ist eine Mischung aus Unwissenheit und Ignoranz", kritisiert Frank Cordes.

Hamburg: Rollstuhlfahrer kritisieren Barrieren am Hauptbahnhof

Cordes begleitet seine Frau Karin Cordes-Zabel, die im Rollstuhl sitzt. Die beiden fahren viel Bahn, Tagesausflüge durch die Republik sind ihr Hobby. Auf Twitter berichtet der Bremerhavener von seinen Erfahrungen mit der Barrierefreiheit, "wenn etwas funktioniert oder es richtig schiefgeht", sagt er t-online.

Auf die Probleme am Hamburger Hauptbahnhof sei er bei der Planung einer Reise nach Berlin gestoßen. Der Mobilitätsservice der Bahn habe erst auf Nachfrage eingeräumt, dass der geplante Umstieg in Hamburg so nicht möglich sei. Die "Verschlimmbesserung" mit der Rampe sei eine "Katastrophe, wie wir sie viel zu oft erleben".

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

"Die Wände neben der Rampe machen den Knopf aus dem Rollstuhl unerreichbar, ohne fremde Hilfe geht das nicht. Wenn dann jemand aus dem Aufzug entgegenkommt, müssen wir erst mal Platz machen. Die automatische Tür ist aber längst wieder zu, wenn wir bereit sind, um einzufahren", berichtet Cordes von seinen Erfahrungen. "Das ist doch völliger Irrsinn."

Deutsche Bahn kündigt weitere Bauarbeiten an

Der Deutschen Bahn ist das Problem bekannt. Auf Anfrage von t-online teilt eine Sprecherin mit, dass "in Kürze" ein zusätzlicher und besser erreichbarer Aufzugknopf installiert werden soll. "In Planung" sei auch eine komplette Erneuerung des Aufzuges. Wie lange dieser tatsächlich außer Betrieb war, erfährt t-online trotz mehrfacher Nachfrage nicht. Der Bahnsteig sei ab Mitte 2021 saniert worden. Dabei sei "ein Höhenunterschied von zehn Zentimetern zwischen Bahnsteig und Aufzug entstanden", weil ein Gefälle ausgeglichen worden sei.

Lecomte weist auf eine weitere Gruppe hin, die an dieser Stelle Probleme bekommen könne: sehbehinderte Menschen. "Der Leitstreifen auf dem Boden führt zum Knopf. Wer dann die Wand nicht sieht, läuft voll davor. Einen Leitstreifen zum Aufzugeingang gibt es nicht." Für Lecomte und Cordes sind die Umstände am stark frequentierten Bahnsteig unerträglich.

Rollstuhlfahrerin wurde von Polizisten Treppen hinuntergeschleift

"Bahnfahren ist Stress: Überall ist es eng, es gibt Stufen und kaum Plätze für Rollstühle", erzählt Lecomte. Sie sei sogar schon mal von Bundespolizisten aus einem ICE geschleift worden, weil sie "unkooperativ" gewesen sein soll. Bahn und Bundespolizei unterstellten ihr, den Eklat provoziert zu haben, berichtete das "Göttinger Tageblatt". Ein YouTube-Video dokumentiert den Vorfall aus Sicht Lecomtes.

Empfohlener externer Inhalt
Youtube

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Youtube-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren Youtube-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Nach eigenen Angaben baut die Deutsche Bahn jedes Jahr rund 100 Bahnhöfe barrierefrei um, 81 Prozent der 5.700 Bahnhöfe bundesweit seien bereits stufenfrei erreichbar. "Die Bahn plant so was aber leider viel zu oft am tatsächlichen Bedarf der Betroffenen vorbei", kritisiert Cordes. Beim Ortstermin mit t-online am Hamburger Hauptbahnhof wird auch umstehenden Reisenden das Problem schnell klar, ohne dass sie angesprochen werden müssen. "Das kriegt auch nur die Bahn hin", sagt ein älterer Mann ungefragt.

Bahn verweist auf Servicezentrale in Hamburg

Die Bahn verweist in ihrer Antwort an t-online auf das Serviceangebot am Bahnhof. "Das Personal ist entsprechend informiert und vor Ort", heißt es. "Die 3-S-Zentrale kann rund um die Uhr Hilfe organisieren." Der Name steht für Service, Sicherheit und Sauberkeit. Doch die Servicenummer ist am und im Aufzug nicht zu finden, auch ist kein Personal in Sichtweite.

Für die Rollstuhlfahrenden, die sich am Hauptbahnhof zu einer kleinen Demonstration zusammengefunden haben, sind die 3-S-Zentralen jedoch nicht die Lösung ihrer Probleme. "Der Mobilitätsservice ist nicht überall dauerhaft verfügbar", sagt Lecomte, die in Lüneburg lebt. Doch das sei nicht alles: "Ich kann selbst bei Großstadtverbindungen nicht umsteigen, wo ich will, und nicht einsteigen, wo ich will. Im Fernverkehr muss ich mich anmelden, mal gibt es keine freien Rollstuhlplätze, mal funktioniert der Hublift nicht." Das Mindeste sei, dass keine neuen Züge mit Stufen bestellt werden, so ihre Forderung.

"Die Mitarbeitenden baden aus, was der Konzern versäumt"

Ein zufällig dazugestoßener Rollstuhlfahrer hat ähnliche Erfahrungen machen müssen. "Die Mängel bei der Barrierefreiheit, nicht nur bei der Bahn, machen, dass ich als Problem wahrgenommen werde", sagt Markus Lindenberg aus Hamburg. "Wir werden ständig übergangen, können keine freien Entscheidungen treffen. Um zu bekommen, was ich will, muss ich frech sein. Das Bild des grantigen Rollstuhlfahrers ist leider weit verbreitet", sagt er.

Lindenberg macht seit Jahren schlechte Erfahrungen mit der Deutschen Bahn, sagt er. Im Jahr 2019 machte eine Geschichte deutschlandweit Schlagzeilen, an der er beteiligt war: Als Betreuer einer Paraschwimmermannschaft legte er sich mit der Bahn an, weil eine lange geplante Fahrt zur Deutschen Meisterschaft kurzfristig platzte: Ausgerechnet der barrierefreie Wagen stand nicht zur Verfügung. Als Lindenberg im Nachhinein die Kosten für die alternative Anreise per Bus erstattet haben wollte, verlangte die Bahn Nachweise über die Behinderungen. "Diese Masche ist einfach unerträglich", sagte er damals t-online.

Möglichst normal reisen, ohne ständig auf Barrieren stoßen zu müssen, und nicht dauernd auf fremde Hilfe angewiesen sein – das ist, was sich die in Hamburg versammelten Rollstuhlfahrenden wünschen. "Eine Bahnfahrt ohne Probleme ist die Ausnahme", stellt Lecomte fest, die sich selbst Behindertengerechtigkeits-Aktivistin nennt. "Das Personal ist meist bemüht und freundlich, doch die können die Barrieren auch nicht abreißen", sagen die Betroffenen unisono. "Die Mitarbeitenden baden aus, was der Konzern versäumt."

Verwendete Quellen
  • Persönliches Treffen mit den Protagonisten am Hamburger Hauptbahnhof
  • Schriftliche Anfragen an die Deutsche Bahn
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website