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ME/CFS: Kölner Betroffene berichten aus dem Alltag mit der Krankheit


Wenn der eigene Körper zum Käfig wird
Ausgebremst: Kölnerinnen im Kampf gegen ME/CFS


Aktualisiert am 12.05.2025Lesedauer: 5 Min.
Birgit ist ans Haus gebunden und verbringt ihren Alltag meistens im Bett.Vergrößern des Bildes
Birgit ist ans Haus gebunden und verbringt ihren Alltag meistens im Bett. (Quelle: Birgit)
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Sie liegen im Dunkeln, ertragen selbst alltägliche Geräusche nicht – verlieren Job, Freunde, Selbstständigkeit. Drei Betroffene über ihr Leben mit ME/CFS.

Vergangenes Wochenende sorgte eine ungewöhnliche Demonstration für Aufmerksamkeit in der Kölner Innenstadt. Eine stille Protestaktion. Menschen liegen auf Isomatten – nicht als Symbol, sondern weil sie nicht mehr stehen können. Doch im Mittelpunkt stehen ihre persönlichen Geschichten. Organisiert wurde die Aktion unter anderem von der 43-jährigen Kölnerin Sabine Köhnlein – selbst an ME/CFS erkrankt. "Ich war früher sportlich, aktiv, arbeitete Vollzeit", sagt Sabine. Nach einer Infektion mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber kämpfte die damals 25-Jährige wochenlang mit Nebenwirkungen wie ständiger Müdigkeit, auch Fatigue genannt. Zunächst erholt sie sich wieder – doch nach der dritten Corona-Impfung 2022 verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand

Starke Erschöpfung, Konzentrationsprobleme, körperlicher Zusammenbruch. "Ich musste mich damals bei der Arbeit auf den Boden legen, so fertig war ich", erinnert sie sich. Lange ist sie ratlos, warum ihr Körper nicht mehr so leistungsfähig ist und alltägliche Aufgaben zum Problem werden. Ab dort beginnt ihr Ärztemarathon. Über Facebook sei sie schließlich auf Informationen zur Krankheit ME/CFS gestoßen. Inzwischen ist sie bei einem Kölner Immunologen in Behandlung, der ihr mit der richtigen Einstellung von Medikamenten sehr geholfen habe. Viele Ärzte haben entweder nicht genug Wissen über die Krankheit oder sind nicht bereit, die Erkrankung anzuerkennen, sagt Sabine. Heute arbeitet sie noch zu 90 Prozent im Homeoffice – mehr schafft sie nicht. Damit geht es ihr noch vergleichsweise gut. Viele mit ME/CFS sind dauerhaft arbeitsunfähig

Eine Krankheit mit vielen Gesichtern

ME/CFS ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die häufig nach Virusinfektionen wie dem Epstein-Barr-Virus (EBV) oder COVID-19 auftritt. Schätzungen zufolge sind in Deutschland über 500.000 Menschen betroffen – viele davon schwer. Die Symptome: extreme Erschöpfung, die durch Ruhe nicht besser wird, kognitive Beeinträchtigungen wie zum Beispiel Gehirnnebel, Muskelschmerzen, Kreislaufprobleme und Belastungsintoleranz. Schon kleine Anstrengungen – wie Duschen oder ein Gespräch – können Betroffene tagelang außer Gefecht setzen. Dann spricht man auch von einem sogenannten "Crash". Deshalb müssen viele Betroffene die eigenen körperlichen und kognitiven Aktivitäten so steuern, dass Überanstrengung und Crashes vermieden werden. Das Pacing soll Betroffenen helfen, innerhalb ihrer Energiegrenzen zu bleiben.

Das Schicksal von Finja – von der Sportlerin zum Pflegefall

Mehr als nur einige Tage außer Gefecht gesetzt wurde auch die 18-jährige Finja. Vor drei Jahren erkrankte sie an einer Coronainfektion. "Sie war ein Energiebündel", erinnert sich ihre Mutter. Skaten, Theater, Leistungskurs Sport – Finja war voller Lebensfreude. Heute ist sie zu 100 Prozent schwerbehindert, sitzt im Rollstuhl, wird zu Hause gepflegt. Ihr Pflegegrad liegt bei 4 – schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit.

Monatelanges Liegen in einem abgedunkelten Zimmer, flüssige Nahrung, kaum soziale Kontakte. Selbst ein kurzer Besuch einer Freundin – alle sechs Wochen – verlangt ihr so viel ab, dass sie sich danach tagelang erholen muss. "Man lebt im Ausnahmezustand. Ich weiß gar nicht mehr, wofür ich das alles mache", sagt Finja. Ihre Mutter, früher Polizeibeamtin, gab 2022 ihren Beruf auf, um rund um die Uhr für ihre Tochter da zu sein. Auch ihre drei Geschwister verzichten inzwischen zu Hause auf Besuch – jede zusätzliche Reizquelle könnte zu viel für Finja sein. Die Familie lebe völlig isoliert, so die Mutter. Auch Schulbildung kann die ehemalige Gymnasiastin nicht mehr erhalten, da sie durch die Erkrankung nicht aufnahmefähig ist. Sie musste vom Schulunterricht befreit werden. Die 18-Jährige beschreibt ihre aktuelle Situation als einen "Zustand der Folter".


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"Man lebt im Ausnahmezustand. Ich weiß gar nicht mehr, wofür ich das alles mache."


Finja


An einzelnen Tagen verspürt Finja einen Funken Energie, der Wunsch, etwas zu unternehmen, werde dann wach, sagt sie. Doch ihre Eltern müssen sie bremsen – jede kleinste Überanstrengung könnte einen körperlichen Zusammenbruch auslösen. Während ihre früheren Mitschüler diesen Sommer das Abitur feiern und ins Leben aufbrechen, bleibt Finja zurück – gefangen in einem Körper, der nicht mehr mitmacht. Ihre Gedanken und Gefühle verarbeitet sie in Bildern – denn das Malen ist oft das Einzige, was noch geht.

Ein starker Körper gibt auf – und keiner versteht warum

Auch Birgit (47) erlebt, wie ihr eigener Körper sie plötzlich daran hindert, ein normales Leben zu führen. Die Mutter von Zwillingen arbeitete früher Vollzeit im Management. Auch sie fühlt sich nach einer Coronainfektion nicht mehr wie sie selbst – Gehirnnebel, Wortfindungsstörungen, ständige Erschöpfung und Schmerzen bestimmen den Alltag. "Ich kann morgens kaum einen Kaffee kochen, ohne völlig fertig zu sein." Selbst Duschen sei eine Herausforderung, Musik hören zu anstrengend, Kochen unmöglich.

Ärzte hätten sie lange nicht ernst genommen, berichtet sie heute. Birgit wird zu mehreren Psychologen geschickt, bekommt eine psychosomatische Behandlung vorgeschlagen. Nach zwei Jahren bekommt sie die Diagnose ME/CFS. Heute hat sie Pflegestufe 3 – schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit – liegt die meiste Zeit des Tages und ist auf Hilfe anderer angewiesen. Finanzielle Unterstützung gäbe es kaum, erzählt sie. "Ich zahle bis zu 500 Euro im Monat aus eigener Tasche für Medikamente oder weitere Untersuchungen. Mein Erspartes ist fast weg. Ohne die finanzielle Unterstützung meines Lebenspartners wäre ich aufgeschmissen", klagt sie. Ihre Stimme ist brüchig und gedämpft, das Sprechen fällt ihr sichtlich schwer.


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"Ich zahle bis zu 500 Euro im Monat aus eigener Tasche für Medikamente oder weitere Untersuchungen. Mein Erspartes ist fast weg. Ohne die finanzielle Unterstützung meines Lebenspartners wäre ich aufgeschmissen."


Birgit


"Freunde habe ich nur noch wenige", erzählt Birgit leise. Viele hätten sich zurückgezogen, weil sie nicht wussten, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Umso dankbarer sei sie für ihre beiden Söhne und ihren Lebenspartner – sie seien immer zur Stelle, unterstützten sie, wo sie nur könnten.

Was bleibt: die Freude über die kleinen Dinge

Inzwischen hilft eine Pflegekraft im Haushalt und nimmt Birgit viele Aufgaben ab. Trotzdem ist ihr Alltag oft eintönig, meist ist sie erschöpft. An guten Tagen reicht die Kraft für eine Tierdokumentation, die sie entspannt anschauen kann. Filme mit schnellen Bewegtbildern ziehen zu viel Kraft. Mit ihrem Partner gemeinsam zu essen, sei kaum möglich – entweder ist es zu anstrengend oder sie schafft es zu den vereinbarten Uhrzeiten nicht, etwas zu sich zu nehmen.

"Oft liege ich dann bis drei oder vier Uhr morgens wach auf dem Sofa. Der Kopf ist nicht ausgelastet, obwohl mein Körper völlig erschöpft ist." Was für andere selbstverständlich scheint, ist für Birgit ein täglicher Kraftakt.

Und doch versucht sie, im Moment zu leben. "Ich nehme jeden Tag so, wie er kommt. Und ich freue mich über die kleinen Dinge – wenn ich mal keine Schmerzen habe oder nicht das Gefühl, jemand hätte mir den Stecker gezogen."

Ihr größter Wunsch: mehr Aufmerksamkeit für die Krankheit. "Ich hoffe, dass wir endlich ernst genommen werden – von der Gesellschaft und von den Ärzten."

Verwendete Quellen

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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