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Köln: Mehr Graffiti während Corona


Zahlen steigen
Psychologe: Sprayer suchen während Corona mehr Gefahren

Von Peter Hesse

19.04.2021Lesedauer: 3 Min.
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Eingeworfene Fensterscheiben und Graffiti in Poll: Die Zahl von Spray-Aktionen in Köln nimmt zu.Vergrößern des Bildes
Eingeworfene Fensterscheiben und Graffiti in Poll: Die Zahl von Spray-Aktionen in Köln nimmt zu. (Quelle: Future Image/imago-images-bilder)

Mit der Corona-Pandemie haben sich Graffiti-Taten im Raum Köln mehr als verdoppelt. Ein Psychologe erklärt in t-online die Hintergründe der Aktionen.

Verbotene Graffitis werden auch in diesem Jahr stetig mehr. Gab es im Jahr 2019 ganze 225 Anzeigen im Raum Köln alleine im Bereich der Bahn wegen Graffitis, so hat sich in der Corona-Pandemie dieser Wert im Folgejahr mehr als verdoppelt. "Die genaue Zahl können wir aus ermittlungstechnischen Gründen noch nicht bekannt geben", sagt Johanna Hanke, Sprecherin der Bundespolizei, auf Anfrage.

Die steigenden Fälle von Vandalismus bedeuten zugleich hohe Sonderausgaben. Der Schaden, der allein der Deutschen Bahn durch Graffiti und Vandalismus entsteht, bezifferte sich im Jahr 2019 auf über 40 Millionen Euro – und auch hier steigt die Tendenz. Im Jahr 2020 gab es laut Deutscher Bahn im gesamten Bundesgebiet ganze 26.178 Fälle an Sachbeschädigungen durch Sprayer. Das sind rund vier Prozent mehr als im Vorjahr.

Die Arbeit der Reinigungstrupps, die Graffiti wieder entfernen müssen, ist sehr komplex: die Umweltbelastung ist hoch, dazu besorgen zahlreiche Arbeitsstunden und speziell geschultes Personal viele Extrakosten. Um die aufgesprühte Farbe vom Lack der Züge zu entfernen, werden stark reizende Chemikalien eingesetzt. Außerdem ist die Reinigung der Züge nur in speziell ausgestatteten Werkstätten unter Einhaltung von strengen Arbeits- und Umweltvorschriften möglich.

Die lange Geschichte der Graffitis

Was den wenigsten Tätern klar ist: Auch wenn sie strafrechtlich meist unter das Jugendstrafrecht fallen und oft sogar ohne Strafe davonkommen, kann die Deutsche Bahn den materiellen Schaden als zivilrechtliche Forderung über 30 Jahre im Nachhinein geltend machen. Beträge von vielen Tausend Euro können so noch Jahre später eingefordert werden, auch wenn die Täter zum Zeitpunkt der Tat minderjährig waren oder über kein Einkommen verfügten.

Sich an Wänden zu verewigen hat in der Geschichte der Menschheit eine lange Tradition. Graffitis, so wie sie uns im alltäglichen Großstadtbild begegnen, kamen erstmals im Hochsommer 1971 auf. Damals berichtete die New York Times über die Kritzeleien von einem Botenjungen, der sein Pseudonym "TAKI 183" während seiner Arbeit durch die Stadt New York auf sehr vielen Wänden verewigte.

Sprayer erleben viele Defizite während Corona

Falko Rheinberg und Yvette Manig vom Institut für Psychologie der Universität Potsdam haben lange über Graffiti geforscht. Für t-online hat sich der Bochumer Psychologe Thomas Junga mit deren Studien auseinandergesetzt. "Jugendliche erfahren innerhalb der Corona-Pandemie viele Defizite", sagt Junga. Sie können ihre Freunde nicht treffen, die Schule findet häufig als Stream-Unterricht statt und sie sprayen zudem viel mehr, "weil sie schlicht und einfach viel mehr Tagesfreizeit haben". Sie suchten nach dem Thrill und vermissten das Leben in einer Gruppe unter Gleichgesinnten, was unter Corona-Bedingungen brachliegt.

"Der Sprayer sieht sich viel mehr bereit, sich der Gefahr auszusetzen und möglicherweise geschnappt zu werden", sagt Junga. Die Motivation für verbotenes Verhalten innerhalb der Corona-Pandemie habe sich verstärkt. Eine U-Bahn oder eine Häuserwand mit seiner "Spraydosen-Kunst“ zu verzieren, sei "ein Substitut, für etwas anderes". Der Sprayer erobere sich mit seinen schnell hingeschmierten Kürzeln das Stadtbild so, wie an anderer Stelle ein Hund sein Revier markiert. "Es geht dem Sprayer darum, von seiner Umwelt wahrgenommen zu werden", erläutert Junga.

Sprayen als Angstbewältigung

Die Grafittisprüher spielen mit der Polizei ein "urbanes Räuber und Gendarm"-Spiel und erlebten mit ihrem delinquenten Verhalten einen hohen Sanktionsdruck, wie Junga erklärt: "Für ein schnell gespraytes Bild brauchen sie nur fünf Minuten – aber dieser Husarenstreich kann bereits eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten bedeuten."

Innerhalb der Sprayer gebe es außerdem eine große Konkurrenz um die Fragen: Wer ist der beste, wer macht die abgefahrensten Bilder an möglichst verbotenen Orten? "Die Sprayer sehen sich als sogenannte 'Sensation Seeker'", erklärt der Psychologe. Ihr verbotenes Sprayen erleben sie als "eine aktive Bewältigung von Angst – und das erleben sie extrem positiv".

Sprayer stammen aus allen möglichen Gesellschaftsschichten und sind meist zwischen 16 und 21 Jahren alt. "Das hat auch den Grund, dass ab 21 das Jugendstrafrecht nicht mehr gilt – und ein 28-jähriger seine Freizeitbeschäftigungen in anderen Bereichen findet", sagt Thomas Junga, der auch betont, dass die Motive der Sprayer meist nicht politisch motiviert sind.

"Die Denke bei Ihnen ist eher: 'wir werden nicht gesehen, wir werden nicht gehört – und keiner kümmert sich um uns'". Also müssten die Aggressionen irgendwo "rausgelassen" werden. Junga hat diese Art von Frustbewältigung vor einigen Tagen sogar selbst erlebt: sein privates Auto wurde nachts mit einem großflächigen Namenskürzel (englisch: "Tag") besprüht. Die Reinigung hat er selbst mit einer Flasche Terpentin erledigt.

Verwendete Quellen
  • Anfrage bei Johanna Hanke, Sprecherin der Bundespolizei
  • Gespräch mit Psychologe Thomas Junga
  • Pressemitteilung der Deutschen Bahn, 2. April 2021
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