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Köln: Pflegekräfte protestieren für mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen


Zum Tag der Pflege
"Jede dritte Pflegekraft erwägt, auszusteigen"

  • Lena Kappei
InterviewVon Lena Kappei

12.05.2021Lesedauer: 6 Min.
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Mitarbeiter auf einer Intensivstation (Symbolbild): In Köln wollen Pflegekräfte für mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen protestieren.Vergrößern des Bildes
Mitarbeiter auf einer Intensivstation (Symbolbild): In Köln wollen Pflegekräfte für mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen protestieren. (Quelle: Reichwein/imago-images-bilder)

Kölner Pflegekräfte haben sich zusammengetan und gehen am Internationalen Tag der Pflege auf die Straße. Sie fordern von der Politik mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Denn die Kündigungswelle nach Corona droht bereits – und damit im schlimmsten Fall ein zusammenbrechendes Gesundheitssystem.

Anderthalb Jahre mit Corona sind vergangen, die Berichte über Intensivstationen und Pflegekräfte am Limit waren und sind immer noch zahlreich. Trotz Hilferufe der Pflegekräfte in Personalnot ist bisher nicht viel passiert. Der Verein "CologneCares" hat am 12. Mai, dem Internationalen Tag der Pflege, am Heumarkt in Köln für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld für Pflegekräfte demonstriert. Denn der Pflegeberuf sei eigentlich ein Traumjob und brauche mehr Nachwuchs, erzählt der Kölner Intensivpfleger Dominik Stark im Interview mit t-online.

Herr Stark, warum gehen Sie auf die Straße?

Dominik Stark: In den vergangenen Monaten hat man nur noch Negatives über die Situation der Pflegekräfte gehört. Es wurden die Missstände aufgezeigt, jetzt müssen wir aber auch aktiv werden und die Politik auffordern, bestimmte Sachen zu ändern. Ich habe mich mit ein paar Kollegen zusammengetan und "CologneCares" gegründet, inspiriert von "MünsterCares". Wir wollen eine vereinte Stimme für alle Pflegekräfte in Köln sein und für bessere Bedingungen in der Pflege einstehen.

Die Corona-Pandemie hat eine Kündigungswelle ausgelöst…

Aktuelle Umfragen haben ergeben, dass jede dritte Pflegekraft in Erwägung zieht, aus dem Beruf auszusteigen. Das lässt sich sicher auf die besondere Belastung der letzten anderthalb Jahre zurückführen. Aber schon vorher waren die Rahmenbedingungen nicht gut. Wir könnten in den nächsten zehn Jahren 500.000 bis 600.000 Pflegekräfte verlieren, auch aufgrund des Renteneintrittsalters.

Will niemand mehr diesen Beruf ergreifen?

Doch, schon. Wir haben Auszubildende, aber der akute Personalmangel kann einfach nicht gedeckt werden. Schließlich werden auch die Patientinnen und Patienten älter, multimorbider und müssen wegen mehrerer Krankheiten behandelt werden. Wir werden also deutlich mehr Personal brauchen.

Kann das Gesundheitssystem zusammenbrechen?

Wir sehen bereits die Hilferufe vieler erschöpfter Pflegekräfte und Mediziner. Das System ist sehr fragil. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir das Ruder noch herumreißen können. Aber wir dürfen jetzt keine weiteren Pflegekräfte mehr verlieren. Sonst schaffen wir es nicht mehr, alle Patienten zu versorgen. Auch unabhängig von der Pandemie.

Welche Versprechen der Politik wurden bisher eingehalten?

Bisher habe ich noch keine deutliche Besserung feststellen können. Es ist das Pflegepersonal-Untergrenzengesetz gekommen. Damit sollte vorgeschrieben werden, wie viele Pflegekräfte pro Patient vorhanden sein müssen. Klingt erstmal gut. Allerdings wurde das offenbar von jemandem erstellt, der gar keine Ahnung von der Materie hat und an der Basis arbeitet.

Bei uns auf der Intensivstation wird vorgeschrieben, dass eine Pflegekraft maximal zwei Patienten betreut. Dabei wird zwischen 6 und 22 Uhr aber auch die Teamleitung in den Betreuungsschlüssel gezählt, obwohl sie nicht am Bett arbeitet. Oder auch Praxisanleiter, die sich um die Auszubildende kümmern. Die sind zwar da, aber nicht für die Patienten. Das verzerrt das Bild und ist am Ende scheinheilig.

Häufig werden Pflege-Kollegen von Zeitarbeitsfirmen gebucht, um den Personalmangel aufzufangen. Diese erhalten einen höheren Stundenlohn als festangestellte Pflegekräfte.

Ich sehe das sehr kritisch. Ich finde es generell nicht verwerflich, wenn Pflegekräfte in die Zeitarbeit gehen. Schließlich wird dort mit Dienstauto, Tankkarte oder hundertprozentigen Zulagen an Wochenenden und Feiertagen gelockt. Und man hat flexible Dienstpläne. Aber es ist der völlig falsche Ansatz, Pflegekräfte abzuwerben und wieder für sehr viel mehr Geld an das Krankenhaus zu verkaufen. Die Flexibilität ist okay, aber die Kräfte sollten genauso viel verdienen wie die Kollegen auf der Station, die genau die gleiche Arbeit leisten. Alles andere ist frustrierend. Zeitarbeitsfirmen können eine Option sein – aber nicht die bessere Option.

Was verdient eine Pflegekraft im Schnitt und was wäre Ihrer Ansicht nach angemessen?

In den Krankenhäusern haben wir durchschnittlich eine Bezahlung von 3.000 bis 3.200 Euro brutto. In der Altenpflege sind es nur 2.500 bis 2.700 Euro brutto. Das ist absurd, wenn man bedenkt, dass alle Pflegekräfte die ersten zwei Jahre die gleiche Ausbildung machen und erst im letzten Jahr sich für einen Bereich entscheiden. Da kann man sich ja ausrechnen, wo die meisten Auszubildenden dann lieber arbeiten wollen. Das darf nicht sein. Deshalb fordern wir ein Einstiegsgehalt generell von 4.000 Euro brutto für alle Pflegekräfte, um eine gleiche Attraktivität zu schaffen. Je nach Zusatzqualifikation oder Weiterbildung soll dann ein Anreiz entstehen, zusätzlich Geld zu verdienen. Grundsätzlich finde ich aber, dass das Geld nicht alles ist.

Das bedeutet?

Auf den Intensivstationen beispielsweise darf es eigentlich nie zu einer Eins-zu-Drei-Betreuung kommen. Den Fall hatten wir aber in der Hochphase der Pandemie. Normal wäre eine Pflegekraft für einen bis höchstens zwei Patienten auf der Intensiv. Wir wollen eine professionelle und hochqualifizierte Pflege anbieten. Ich will mir auch mal Zeit nehmen können, um mich um meinen Patienten zu kümmern. Dafür braucht man viel mehr Personal.

Die Politik muss Werbekampagnen für die Pflege fördern, die positiven Aspekte betonen und finanziell unterstützen. Nur so können wir eine Basis erreichen, um wieder gute Leute zu bekommen – und vor allem zu halten. Die Pflegekräfte, die in den letzten ein bis zwei Jahren ausgestiegen sind, muss man auch wieder aktiv einfangen. Dafür braucht es Gespräche. Sind es andere Dienstzeiten? Braucht es eine Einstiegsprämie? Die Leute, die am Bett arbeiten, müssen zurückgeholt werden.

Obwohl die Corona-Zeit gezeigt hat, wie anstrengend dieser Beruf sein kann: Was ist Ihrer Meinung nach das Schönste an der Pflege?

Wir tragen eine hohe Verantwortung. Man weiß, dass man viel getan hat, wenn es ein Patient wieder geschafft hat, einen schweren Krankheitsverlauf zu überstehen. Die Dankbarkeit der Patienten für uns Pflegekräfte ist unbezahlbar. Man begleitet einen beatmeten Patienten manchmal über Wochen, tut Tag und Nacht alles dafür, dass es ihm besser geht. Und dann kann er endlich wieder für fünf Minuten aus eigener Kraft sitzen. Das sind die Momente, wofür man das macht. Das Dankeschön danach ist sehr viel wert und berührend. Das kann auch kein Bonus ersetzen.

Wie muss man gestrickt sein, um eine gute Pflegekraft zu sein?

Das ist sehr individuell. Man sollte aber grundsätzlich engagiert und interessiert sein und Empathie mitbringen. Man muss einfach Lust haben, in einem sozialen Beruf zu arbeiten. In der Pflege trifft man zwangsläufig auf viele Leute, da muss man auch mal gerne ins Gespräch kommen. Der Pflegeberuf ist aber sehr vielfältig. Wenn einem die ganzen Maschinen auf der Intensivstation zu viel sind, kann man es in anderen Bereichen versuchen, beispielsweise in Ambulanzen oder OPs. Man kann sich jedes Jahr anders orientieren, das macht die Pflege so spannend.

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Ist die Pflege ein Traumberuf?

Mit Jobs wie "Influencer" haben wir sicher eine harte Konkurrenz. Aber für mich ist die Pflege ein absoluter Traumberuf. Wir könnten viel mehr junge Menschen dafür begeistern, wenn wir wieder positiver über diesen Job erzählen. Man leistet hier viel und kann stolz darauf sein. Wir brauchen eine neue, motivierte Generation in der Pflege. Die Corona-Pandemie kann auch eine Chance sein. Die dreijährige Ausbildungszeit ist so vielschichtig und man tut etwas Gutes für die Gesellschaft. Das ist schon ziemlich cool.

Ist die "Akademisierung" der Berufe ein Problem?

In gewisser Weise schon. Wobei es oft Leute gibt, die die Zeit bis zum Medizinstudium in der Pflege überbrücken und dann lieber bleiben, weil sie die Arbeit so spannend finden. Wir sollten nicht nur auf Abiturienten schauen. Nur weil man einen Haupt- oder Realschulabschluss hat, heißt das noch lange nicht, dass man nicht für die Pflege geeignet ist. Das ist Quatsch. Wir müssen die Menschen wieder für die praktischen Ausbildungen begeistern.

Nach der "Alles dicht machen"-Aktion ist Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Kulturschaffenden ins Gespräch gekommen. Wurde auch das Gespräch mit Pflegenden gesucht?

Nein. Es war schon traurig für uns, dass Schauspielerinnen und Schauspieler da sofort Gehör bekommen haben. Ich gönne ihnen das. Aber wir Pflegekräfte sind seit anderthalb Jahren in den Medien präsent, beklagen die Probleme und passiert ist bisher nichts.

Ist die Pflege aktuell menschenwürdig?

Die Kollegen geben alles, um die Patienten gut behandeln zu können. Aber die Bedingungen machen es verdammt schwer. Noch schaffe ich es, menschenwürdig zu pflegen. Aber es ist ein schmaler Grat. Noch mehr Druck und Belastung darf es nicht geben.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Dominik Stark
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