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Corona in Köln: Intensivpfleger – "Die Patienten werden deutlich jünger"


Kölner Intensivpfleger
"Die Patienten werden deutlich jünger"

  • Lena Kappei
InterviewVon Lena Kappei

Aktualisiert am 18.04.2021Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Ein Pfleger auf der Covid-Intensivstation der Uniklinik Dresden (Archivbild): Das Pflegepersonal auf Deutschlands Intensivstationen ist am Limit und fordert bessere Arbeitsbedingungen.Vergrößern des Bildes
Ein Pfleger auf der Covid-Intensivstation der Uniklinik Dresden (Archivbild): Das Pflegepersonal auf Deutschlands Intensivstationen ist am Limit und fordert bessere Arbeitsbedingungen. (Quelle: Max Stein/imago-images-bilder)

Die Situation auf Deutschlands Intensivstationen ist dramatisch und das Pflegepersonal geht an seine Grenzen. Der Intensivpfleger Dominik Stark berichtet im Interview vom massiven Druck in seinem Arbeitsalltag in der Uniklinik Köln.

Die Corona-Zahlen steigen und die Lage auf Deutschlands Intensivstationen spitzt sich zu. Es gibt kaum noch freie Betten für Erkrankte und das Personal arbeitet täglich am Limit. Der Kölner Intensivpfleger Dominik Stark kritisierte kürzlich in einer von Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf produzierten TV-Dokumentation den Pflegenotstand. Im Interview mit t-online erzählt der 29-Jährige nun von der extremen Belastung in der aktuellen Situation, was er von Corona-Leugnern hält und welche Worte er an die Politik und Gesellschaft richten möchte.

t-online: Wir sind mittlerweile in der dritten Welle angekommen. Wie sieht die Lage derzeit auf den Intensivstationen aus?

Dominik Stark: Die Lage ist sehr, sehr angespannt. Die Bettenkapazitäten auf den Intensivstationen waren schon seit Monaten an der Grenze, weil die Kurve einfach nicht abgeflacht ist. Aber durch die dritte Welle sind viel mehr neue Corona-Fälle hinzugekommen und es wird noch kritischer. Die Patienten werden deutlich jünger und durch die verschiedenen Virusmutationen haben wir immer mehr sehr schwere Verläufe. Wir haben noch nie so viele Corona-Patienten beatmet wie jetzt. Zusammen mit allen anderen Erkrankungen, die ja auch anfallen, ist die Situation extrem belastend. Auch die Organisation ist ein Riesenaufwand.

Wie organisieren Sie sich mit den Kolleginnen und Kollegen in diesem besonderen Arbeitsalltag?

Das Problem ist, dass wir nie wissen, was uns erwartet. Man weiß noch grob, welche Patienten auf der Station liegen. Aber die Situation ist so dynamisch, sie kann jeden Tag anders aussehen. Wir versuchen bereits, Personal aus den Intensivbereichen für unsere Corona-Patienten abzuziehen. Das ist aber nicht immer möglich. Weil wir so unterbesetzt sind, müssen wir uns vor jedem Betreten eines Zimmers genau überlegen, was zu tun ist. Man kann nicht häufig rein- und rausgehen, da das Ein- und Ausschleusen mitsamt Schutzkleidungswechsel viel Zeit kostet. Wir müssen da sehr effizient sein.

Wie geht es dem Pflegepersonal aktuell, wie hoch ist der Druck?

Man merkt deutlich, dass Pflegerinnen und Pfleger, die seit einem Jahr permanent Corona-Patienten betreuen, stark belastet sind. Die sind einfach platt. Sobald jemand ausfällt, merkt man das sofort. Es gibt insgesamt einfach viel zu wenig Intensivpflegepersonal. Man muss sehr flexibel einsetzbar sein. Momentan betreut jeder von uns oft leider drei Corona-Patienten am Tag, am besten wäre in den meisten Fällen aber eine Eins-zu-Eins-Betreuung.

Wie gehen Sie mental mit dem um, was täglich auf den Intensivstationen passiert?

Es ist sehr schwierig, zu Hause abschalten zu können. Es nimmt einen immer mit, wenn man sehr schwere Verläufe zwei Wochen lang intensivpflegerisch begleitet und es am Ende doch nicht gereicht hat. Das Thema Corona ist aber auch medial allgegenwärtig und man hat bald das Gefühl, diese Geschichte hört nie auf. Man fragt sich: Was passiert morgen? Wird es noch schlimmer? Bricht alles zusammen? Man hat eben Sorgen.

  • Dazu kommt die körperliche Herausforderung …

Ja, man ist durchgehend auf den Beinen und trägt fast den ganzen Tag Isolationskleidung. Das ist echt anstrengend. Was mich aber derzeit am meisten stört, ist, dass die Patienten – egal ob im künstlichen Koma oder wach – immer allein auf den Zimmern sind. Und dann kommen da Menschen rein, die man vor lauter Schutzkleidung noch nicht einmal erkennen kann. Man hat als Patient sowieso schon Angst, wenn man auf der Intensivstation liegt. Und so geht auch noch das Zwischenmenschliche verloren. Dazu kommt der Druck, dass wir keine Zeit haben, mit den Patienten zu sprechen, um ihnen die Angst zu nehmen. Das belastet uns wirklich.

Was war Ihr bisher emotionalster Moment auf der Station?

In der ersten Pandemiewelle kam ein über 80-jähriger Corona-Patient auf unsere Station. Leider war er schon vorerkrankt und ist dann auch an Covid-19 verstorben. In der ersten Welle gab es ja noch viele Unsicherheiten und die Besuchszeiten waren nicht klar geregelt. Seine Ehefrau, auch über 80 Jahre alt, konnten wir in der besagten Nacht nicht erreichen.

Sie rief dann am nächsten Morgen an und fragte, wie es ihrem Mann geht. Ich musste ihr dann sagen, dass er leider verstorben ist. Dass sie noch nicht mal dabei sein konnte, war für mich und meine Kollegen sehr traurig. Normalerweise binden wir die Angehörigen in solchen Fällen immer mit ein, sodass sie sich verabschieden können. Doch die derzeitige Situation erschwert dies extrem.

Bekommen Sie psychologische Hilfe für Ihren Job?

Es gibt in den Kliniken selbst durchaus Möglichkeiten und Angebote. Aber die meisten Gespräche werden im Pflegeteam geführt. Offen über die Belastung zu sprechen, ist sehr wichtig. Wir helfen uns da gegenseitig. Oft hat man aber gar keine Zeit, zu trauern oder über einen Todesfall nachzudenken, weil man ja noch zwei weitere Patienten zu versorgen hat. Man hat teilweise gar keine Chance, das Erlebte zu verarbeiten – weil man nur im Dauerstress ist.

Haben Sie schon darüber nachgedacht, den Beruf zu wechseln?

Den Beruf zu wechseln ist für mich keine Option. Ich verstehe aber auch, dass manche Kolleginnen und Kollegen resignieren. Natürlich denke ich nach anderthalb Jahren Pandemie darüber nach, wie dieses System weiter funktionieren soll. Es belastet mich schon arg. Ich wünsche mir sehr, dass sich die Arbeitsbedingungen ändern. Wir brauchen wieder mehr Zeit für die Patienten. Und ich möchte nach dem Feierabend nach Hause gehen und sagen können: Ich habe heute alles geschafft, was zu tun war – in einem angemessenen Rahmen. Und ich wünsche mir eine faire Bezahlung für diese anspruchsvolle Arbeit.

Hat sich bisher etwas verändert?

Nein, es wird nur geredet und geredet. Bis heute sehe ich aber keinen guten Ansatz, wie sich die Situation ändern soll. Ich habe Bedenken, dass so noch mehr Leute der Pflege den Rücken kehren und die Bedingungen noch schlechter werden. Wir brauchen endlich Perspektiven.

Kürzlich waren Sie in einer TV-Dokumentation von Joko und Klaas zu sehen, um auf den Pflegenotstand aufmerksam zu machen – gerade in den sozialen Medien gab es ein großes Echo. Welches Feedback haben Sie persönlich bekommen? Was ist seitdem passiert?

Es war wirklich Wahnsinn, dass diese Dokumentation überhaupt ausgestrahlt wurde. Ich habe sehr viele positive Nachrichten bekommen, auch von ganz vielen Leuten außerhalb der Klinik. Es gab viel Zuspruch und großes Lob für das, was ich mache. Aber ich muss ehrlich sagen: Davon kann ich mir nichts kaufen. Das ist auch nicht mein Anspruch gewesen, warum ich das gemacht habe. Leider ist das Interesse nach einer Woche schon wieder abgeflacht. Ich hatte wirklich gehofft, dass die Politik richtig Druck bekommt und handeln muss.

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Die netten Worte haben gutgetan und sie haben mich auch darin bestärkt, weiterzumachen. Ich will dazu beitragen, dass sich etwas bessert. Aber so langsam baut sich bei mir wieder Frust auf. Alle wissen, wie die Zustände sind. Aber es ändert sich nichts.

Wie motivieren Sie sich trotz des Frustes, weiter zur Arbeit zu gehen?

Ich habe mir diesen Beruf bewusst ausgewählt und liebe ihn sehr. Deshalb versuche ich, die positiven Aspekte nicht zu vergessen. Wenn man einen Langzeitpatienten mit schwerem Lungenversagen hatte, der nach drei oder vier Wochen dann zum ersten Mal wieder sprechen oder für zwei Minuten an der Bettkante sitzen kann, dann ist das ein wahnsinnig guter Moment. Dann weiß man, dass das, was man tut, auch einen positiven Effekt hat.

Mir sind auch die Gespräche mit Patienten und den Angehörigen sehr wichtig. Wenn man dann gesagt bekommt, "Ich fühle mich gut aufgehoben", dann bedeutet mir das sehr viel. Das ist auch mehr wert als ein Corona-Bonus. Man wird als Pfleger eine Bezugsperson zu dem Menschen und geht mit ihm gemeinsam durch diese schwere Zeit. Und im Idealfall erlebt man dann seine Verlegung auf die Normalstation. Dafür macht man diesen Job am Ende des Tages.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Demos von Corona-Leugnern sehen?

Ich halte mich da mittlerweile bedeckt, weil mir die Kraft fehlt, in die Diskussion zu gehen. Ich kann die Leute verstehen, die Kritik an der Politik äußern. Teilweise fehlt es wirklich an Transparenz und man blickt im Regelchaos nicht mehr durch. Aber dass die Kapazitäten nicht mehr reichen, die Intensivstationen voll sind und wir nicht mehr wissen, wohin mit beatmeten Patienten, sind klare Fakten. Das ist nicht erfunden, das ist die Wahrheit. Das sollte man so anerkennen. Gegen die Maßnahmen zu demonstrieren, ist der völlig falsche Weg, dafür habe ich kein Verständnis. Es gab ja auch schon Corona-Leugner, die sich infizierten und auf der Intensivstation gelandet sind. Die belegen dann auch ein Beatmungsbett. Alle werden eben gleichbehandelt.

Hatten Sie persönlich schon Kontakt mit Corona-Leugnern?

Ich erinnere mich an einen Patienten, der mit Herzinfarkt in die Notaufnahme kam. Routinemäßig muss dort jeder getestet werden. Dieser Patient hat sich aber geweigert, einen Test zu machen. Corona sei Quatsch und wir würden völlig übertreiben. Wir mussten lange diskutieren. Am Ende hat er es endlich eingesehen, nachdem er sah, was auf der Intensivstation wirklich los ist. Er hat sich dann sogar entschuldigt. Die Einsicht kommt oft erst, wenn man selbst betroffen ist.

Haben Sie persönlich Angst vor dem Virus?

Ich arbeite jetzt seit sieben Jahren in der Pflege und habe auch schon andere Infektionsfälle im Alltag betreut, darunter die Grippe oder Tuberkulose. Wir haben uns schon immer gut und streng isoliert. Wenn man die Maßnahmen einhält, ist man recht gut gesichert. Ich glaube, dass man sich eher im Supermarkt ansteckt als auf der Intensivstation. Wie es da teilweise abgeht, ist schon erschreckend. Es gibt keine Personenbegrenzungen, die Einkaufswagen werden nicht desinfiziert, jeder fasst alles an und es wird nicht ausreichend auf Abstände geachtet. Da sehe ich mich auf der Intensivstation mit Corona-Patienten auf der viel sichereren Seite.

Das ist schon eine klare Aussage.

Ich habe gerade von einem Edeka-Supermarkt gelesen, der einen Live-DJ hatte und die Kunden sind da durch den Laden getanzt. Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe hier Corona-Patienten, die in den Neunzigern geboren sind und beatmet werden müssen. Und dort tanzen Hunderte Menschen im Supermarkt.

Bei weiter steigenden Zahlen wird bereits die Triage befürchtet. Sehen Sie die auch kommen?

Das wäre das Schlimmste für uns. Aber wenn es so weitergeht, werden wir nicht um eine Triage herumkommen. Immer wieder Kapazitäten schaffen zu müssen, ist für das Personal enormer Druck. Ich denke, dass wir in Deutschland immer noch gewährleisten können, alle Notfälle versorgen zu können. Aber was bringen uns ausreichend Beatmungsgeräte, wenn wir kein Personal haben, um diese zu bedienen? Irgendwann wird das Limit erreicht sein. Es gibt jetzt schon Kliniken, die ihre Betten sperren müssen, weil sie nicht genügend Personal haben.

Welchen Appell haben Sie an die Politik?

Alle Menschen, die in den Krankenhäusern arbeiten, geben tagtäglich alles für die Patienten. Das wollen wir auch so weitermachen. Aber man muss aufpassen, dass man die Mitarbeiter in den Krankenhäusern nicht verliert, weil sie dem Druck nicht mehr standhalten können. Ich erwarte, dass konkret gesagt wird, wie wir zukünftig verfahren. Wie bekommen wir neue Pflegekräfte in die Kliniken? Da müssen Gelder bereitgestellt werden. Und zwar ohne Diskussion und soviel wie möglich.

Das Gesundheitssystem betrifft uns alle als Gesellschaft, da darf man nicht sparen. Auch an den Arbeitsbedingungen muss gearbeitet werden. Dafür werde ich mich auch weiterhin einsetzen. Wir müssen irgendwann zur Eins-zu-Eins-Betreuung kommen.

Was möchten Sie den Menschen in der aktuellen Phase sagen?

So schwer es auch ist: Seid weiter ruhig, geduldig und erfüllt die Mindestmaßnahmen, um andere Leute nicht anzustecken. Da wäre man schon auf einem guten Weg. Wir alle wollen aus der Pandemie heraus. Wenn ich mit Abstand, Masken und wenig Sozialkontakten dazu beitragen kann, dass weniger Menschen erkranken, dann ist das das Mindeste, was ich als Bürger tun kann.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Dominik Stark
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