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Wiesn 2022: Das Corona-Rätsel nach dem Oktoberfest


Trotz Entwarnung Krankenhäuser am Limit
Das Corona-Rätsel nach der Wiesn

Von Christof Paulus

Aktualisiert am 16.10.2022Lesedauer: 4 Min.
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Der Biergarten im Schottenhammel-Festzelt auf dem Oktoberfest (Archivbild): Nach der Wiesn werden steigende Corona-Fallzahlen für München zum Desaster.Vergrößern des Bildes
Der Biergarten im Schottenhammel-Festzelt auf dem Oktoberfest (Archivbild): Nach der Wiesn werden steigende Corona-Fallzahlen für München zum Desaster. (Quelle: IMAGO/Wolfgang Maria Weber)

Alarm in den Münchner Kliniken: Trotz Beschwichtigungen vor dem Oktoberfest ist das Personal in der Wiesn-Welle am Limit. War man in Bayern zu naiv?

Katerstimmung in München. Zwei Wochen nach dem Ende des Oktoberfests ist die Sieben-Tage-Inzidenz auf über 1.000 geklettert, in den Krankenhäusern sind immer mehr Patienten mit Corona infiziert. Das Klinik-Personal ächzt unter der Last von Tausenden infizierten Personen in Bayern: Nach der großen Party auf der Theresienwiese folgt das böse Erwachen. Man hätte es wissen müssen, statt ins Verderben zu rennen, sagen jetzt viele. Aber die Lage in München ist viel komplexer, als es scheint.

Dass sich auf und nach dem Oktoberfest viele Menschen mit Corona infizieren, war vorhersehbar. Die Stadt hat das Fest nicht geplant, weil sie das nicht wusste – sondern trotzdem. Der Hintergrund: Die aktuell dominierende Omikron-Variante ist weit weniger gefährlich als vorherige, wer krank wird, stirbt so gut wie nie daran. Markus Frühwein, stellvertretender Bezirksvorsitzender des Hausärzteverbandes in München, nannte Grippeviren im Gespräch mit t-online etwa "sicher ähnlich gefährlich, wenn nicht sogar gefährlicher". Und: "Die Wiesn-Grippe gab es früher auch schon."

Klinik-Personal durch Wiesn-Welle in München belastet

Und nicht einmal die Kliniken waren davon ausgegangen, dass es nach dem Oktoberfest für sie eng werden könnte. Einen Anstieg an Intensivpatienten habe man auch nach anderen Volksfesten nicht bemerkt, hieß es etwa noch im September vom Sprecher der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, Eduard Fuchshuber. Nun, zwei Wochen nach der Wiesn, stellt er fest: Das Klinik-Personal sei "am Ende". Und dabei ist vieles am Ende doch so gekommen wie erwartet. Aber der Teufel steckt im Detail. Oder in diesem Fall: Details.

Eines davon: Dass die Omikron-Variante weniger gefährlich ist, bestätigt sich auch aktuell. Man müsse "nicht mit einer vergleichbaren Inanspruchnahme der Intensivstationen rechnen, wie in den ersten Corona-Wellen", teilt etwa das Gesundheitsreferat der Stadt München auf Anfrage von t-online mit. Und tatsächlich stellt sich auch heraus: Corona bringt inzwischen viel weniger Menschen ins Krankenhaus. Und das, obwohl in Bayern aktuell so viele Infizierte wie noch nie stationär behandelt werden. Wie passt das zusammen?

Die nackten Zahlen sehen so aus: In Bayern sind in der vergangenen Woche 2.554 mit Corona infizierte Personen ins Krankenhaus gekommen. Zum Vergleich: Das sind etwa doppelt so viele wie in der Sommerwelle im Juli und ebenfalls doppelt so viele wie im vergangenen November. Die Inzidenz in München lag am Dienstag bei 1.497, ist zum Wochenende auf 964 gesunken. Das sind Werte, wie man sie aus der ersten Omikron-Welle kennt. Aber sie brauchen offenbar eine Einordnung.

Corona in den Krankenhäusern schwächen Personal in München

Denn der größte Teil der Patienten sei aktuell "mit" und nicht "wegen" Corona im Krankenhaus, stellt das Gesundheitsreferat fest. "Diese Fälle werden oft nur zufällig erkannt, weil vor oder während der stationären Aufnahme eine Routinetestung erfolgt ist", heißt es in einer Stellungnahme. Dennoch: "Für die Krankenhäuser ist die Belastung durch Coronainfizierte aber auch unabhängig von der Frage, ob sie mit oder wegen Corona kamen, hoch."

Denn die Infizierten werden aufwendig isoliert, um das Virus nicht auf den Stationen wüten zu lassen. Und die Auslastung der Intensivstationen sei generell hoch, auch unabhängig von Corona. Die Versorgung ist aber bislang gewährleistet, teilt das Gesundheitsreferat mit. Und bestätigt: Die aktuelle Belastung ist gar nicht zwingend auf die zunehmenden Corona-Fälle zurückzuführen, sondern eine Vielzahl von Faktoren.

Dazu zählt auch ein genereller Anstieg etwa von Atemwegserkrankungen, der aber auch in den Jahren vor der Pandemie für die Zeit rund ums Oktoberfest typisch in München ist. Dass sich Viren in den dicht gepackten Festzelten besonders gut verbreiten, ist aber nicht der einzige dafür relevante Faktor. Sondern auch, dass der Herbst ohnehin Erkältungszeit ist: Das Gesundheitsreferat nennt die Entwicklung "saisonal bedingt".

Fachkräftemangel in Münchner Kliniken ein bekanntes Problem

Das Klinikpersonal bleibt indes davon nicht verschont. "Ich sehe im Moment die größten Probleme durch akute, größtenteils eher kurzfristige Personalausfälle beim Klinikpersonal aufgrund von Atemwegsinfektionen und Corona", sagt Referatsleiterin Beatrix Zurek auf Anfrage von t-online. "Dies führt aktuell zu erheblichen Anspannungen der ohnehin schon engen Personalsituation." Die Personalprobleme seien unabhängig von der Pandemie schon länger bekannt, es fehlen Fachkräfte.

Knappes Personal, das in der Wiesn-Welle erneut enorm viel zu tun hat – aber dennoch kaum schwere Krankheitsverläufe – so lässt sich die Lage in München aktuell zusammenfassen. Könnte man das nicht lösen, indem man symptomfreie Krankenhausmitarbeiter trotz Infektion weiter arbeiten lässt? Tatsächlich habe das Gesundheitsreferat die Möglichkeit, "eine abweichende Einzelfallentscheidung hinsichtlich der jeweiligen Isolationspflicht zu treffen", sagt Zurek.

Die Erfahrung zeige jedoch, "dass diese Fallgestaltung in der Realität kaum nachgefragt wird". Warum, da gibt Hans Theiss einen Hinweis. Er sitzt für die CSU im Münchner Stadtrat und ist Professor für Innere Medizin. "Tatsächlich sind mir kaum Fälle bekannt, die ohne Symptome ablaufen", sagt er im Gespräch mit t-online. Eine kurzfristige Lösung für die belasteten Krankenhäuser sieht er nicht.

Die Wiesn als "Superspreader-Event"

Das Gesundheitssystem müsse massiv gestärkt werden, fordert er. Die Kliniken seien in einer prekäreren Lage als vor der Pandemie. "Und eigentlich müsste es umgekehrt sein", sagt er. Ist die Wiesn also zum großen Irrtum geworden? "Um zu wissen, was genau danach passiert, hätte man eine Glaskugel gebraucht", sagt er. Ein "Superspreader-Event" sei das größte Volksfest der Welt tatsächlich, bilanziert Theiss.

Doch wer München nun für die Wiesn kritisiert, der ignoriere, welche Bedeutung das Fest für die Stadt und das Umland hat. "Sie ist das Sinnbild für die Region, steht für Leben und Leben lassen", sagt Theiss. Ihm selbst wurde auf Twitter vorgeworfen, dass er nach der Wiesn zwar über die Probleme gesprochen hatte, die das Fest für Pfleger, Ärzte und Patienten ausgelöst hat – selbst aber öffentlichkeitswirksam die Wiesn besucht hatte.

Theiss sieht darin keine Doppelmoral. "Ich habe mich stets für Normalität eingesetzt", sagt er. Doch das gehe nicht ohne starkes Personal. Wenn man nicht massiv Geld ins Gesundheitssystem investiere, werde es "komplett kollabieren", ist er überzeugt. Und dann gelte unabhängig von Corona und dem Oktoberfest: "Wir werden uns die Normalität nicht mehr leisten können."

Verwendete Quellen
  • Anfrage an Gesundheitsreferat der Stadt München
  • Telefonat mit Hans Theiss
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