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München: Darum schließt OB Reiter Gespräche mit "Letzter Generation" aus


Münchens OB Reiter
"Letzte Generation" nimmt "Hunderttausende in Geiselhaft"

  • Olaf Kern
InterviewVon Olaf Kern

13.09.2023Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Eine Aktivistin der "Letzten Generation" bei einer Blockade in München: Oberbürgermeister Reiter findet die Aktionen unverhältnismäßig. (Quelle: Sachelle Babbar/imago images)

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter schließt Gespräche mit der "Letzten Generation" aus. Im Interview mit t-online erklärt er die Gründe.

Protestaktionen von Klimaaktivisten, Wohnungsnot und verstopfte Straßen in der Stadt: Münchens Oberbürgermeister äußert sich im Interview mit t-online zu den drängendsten Problemen der Landeshauptstadt. Dazu gehört auch das Debakel um die neue zweite S-Bahn-Stammstrecke. Außerdem wagt Reiter nach der Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger eine Prognose zur Landtagswahl.

t-online: Herr Reiter, Sie kommen gerade aus dem Sommerurlaub, der Alltag hat Sie längst eingeholt angesichts der Aktionen der "Letzten Generation". Die Klimaaktivisten haben die Stadt München schließlich zum Schwerpunkt ihrer Blockaden gemacht. 30 Personen wurden für 30 Tage in Präventivhaft genommen. Finden Sie das verhältnismäßig?

Dieter Reiter: Man könnte auch die Gegenfrage stellen, ob die Situation verhältnismäßig ist, die uns die "Letzte Generation" zumutet. Ich halte es für nicht verhältnismäßig, Hunderttausende Bürger in Geiselhaft zu nehmen. Niemand ist gegen Klimaschutz. Aber den Verkehr samt Rettungswagen lahmzulegen, das führt zu nichts und dient sicher nicht dem Zweck, den die Aktivisten anstreben.

Die Protestierenden argumentieren, dass ziviler Ungehorsam ein legitimes Mittel sei, wenn es um die Gefahren des Klimawandels geht. Ich nehme an, Sie sehen das anders?

Immerhin ist es ein friedlicher Protest, das ist aber auch das einzig Positive. Es gibt keine neuen Ideen derer, die sich da auf die Straße kleben. Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit Klimaschutz und wir tun als Stadt auch so einiges. München hat sich zum Beispiel das Ziel gesetzt, bis 2025 ihren gesamten Strombedarf aus erneuerbaren Energien abzudecken. Und wir wollen bis 2035 als Stadt klimaneutral sein. Ich hatte auch schon Gespräche mit Mitgliedern von "Fridays for Future", die legitime Formen des Protests wählen. Im Gegensatz dazu sehe ich keine Basis für Gespräche mit der "Letzten Generation", weil ich diese Form des Protests ablehne.


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"Das ärgert mich sehr"


Dieter Reiter über den Umgang mit Studentenwohnungen


Wenn Sie sich derzeit mit anderen Bürgern unterhalten, was sind die drängendsten Probleme?

Die zentrale Herausforderung ist natürlich das Thema Wohnen und Miete. Der Verkehr in unserer Stadt ist auch immer Thema auf meinen Bürgersprechstunden, aber für die Menschen nicht so existenziell wie das Thema Wohnen.

Apropos Wohnen: Bald fängt das neue Semester an den Hochschulen an. Viele Studenten finden derzeit keine Bleibe. Es gibt sogar die Idee, dass man Studenten temporär auf dem Campingplatz unterbringen könnte. Was sagen Sie dazu?

Der Campingplatz sollte ja nur die Möglichkeit schaffen, sich von dort aus auf Wohnungssuche zu begeben. Das war der Hintergrund. Eigentlich ein spannender Vorschlag. Kann ja auch helfen. Wir haben in München aber über tausend leerstehende, sanierungsbedürftige Studentenwohnungen, für die der Freistaat verantwortlich ist, und das ärgert mich sehr. Die CSU-Staatsregierung verweigert einfach seit Jahrzehnten die Mittel für die überfällige Sanierung.

Können Sie da wirklich nichts tun?

Der Freistaat könnte uns die Wohnungen ja für einen symbolischen Euro verkaufen. Dann könnten wir die Sanierung in Angriff nehmen. Ich werde hier weiter Druck bei der Staatsregierung machen, weil ich es unglaublich finde, dass man in dieser Stadt einfach weit über tausend Studentenwohnungen über Jahrzehnte leer stehen lässt.

Wie erklären Sie sich die Passivität des Landes?

Ich habe den Eindruck, dass die bayerische Staatsregierung noch nie mit Begeisterung Geld nach München geleitet hat. Für die zweite S-Bahn-Stammstrecke wird zwar viel Geld ausgegeben, dafür bin ich auch durchaus dankbar. Aber Wohnungsbau hat das Land Bayern nie sonderlich interessiert. Wir haben in der Stadt die McGraw-Kaserne. Seit Jahren rede ich auf die Staatsregierung ein: Warum baut ihr nicht dort für eure Staatsbediensteten? Polizistinnen und Polizisten stehen bei mir auf der Matte und sagen: Ihr müsst mehr Wohnungen bauen. Ich verlange vom Freistaat, dass er wenigstens für seine Bediensteten mehr tut. Er hätte die Fläche und das Geld, es dauert aber Jahrzehnte, bis dort was vorangeht.

Sie haben es eben gesagt: Bei der neuen S-Bahn-Stammstrecke investiert Bayern sehr viel Geld – viel mehr sogar als ursprünglich veranschlagt. Alles soll auch noch viel später fertig werden. Wer trägt wirklich Schuld an diesem Debakel?

Das ist relativ einfach: Auftraggeber ist der Freistaat Bayern. Auftragnehmer ist die Deutsche Bahn. Die Deutsche Bahn hat sicher einen nennenswerten Anteil an dem Desaster. Offenbar ist der Bahnchef so weit weg von München, dass er zwar immer wieder kommt, wenn es einen Spatenstich gibt, aber richtig nachhaltig dafür gesorgt, dass es vorangeht, hat er offensichtlich nicht. Wenn ich, wie die bayerische Staatsregierung, Auftraggeber eines Milliardenprojekts wäre, dann würde ich beim Controlling schon etwas genauer hinschauen. Jeder Häuslebauer würde sicher nicht nur alle zwei Jahre auf seiner Baustelle schauen, ob das Haus irgendwie fertig wird. Die Leidtragenden sind leider die Münchnerinnen und Münchner.

Das vorhandene Geld richtig zu verteilen, ist auch für München eine Herausforderung. Neue Wohnungen, Schulen, energetische Sanierungen, Verkehrswende, Gasteig oder Tram-Westtangente …

Wir haben viel vor …

… wie soll man das alles bezahlen? Oder besser: Nach welcher Reihenfolge?

Wir müssen priorisieren. Was Sie jetzt aufzählen, liegt im zweistelligen Milliardenbereich. Wenn wir den Haushalt verabschieden, wird dem Stadtrat nichts anderes übrigbleiben, als sich ernsthaft über eine Priorisierung Gedanken zu machen. Ich habe da ein relativ klares Konzept: Wir werden beispielsweise den Schulbau nicht verzögern. Gleiches gilt für den Wohnungsbau.

Wo sollen in München aber noch Wohnungen gebaut werden?

In Freiham haben wir bereits Europas größtes neues Wohnungsbaugebiet am Laufen. Im Osten und im Norden haben wir freie Flächen, über deren Bebauung sich die Begeisterung der Bevölkerung vor Ort sehr in Grenzen hält. Da muss die Politik unbequeme Entscheidungen treffen, die dem Wohle der Gesamtheit und der Stadt dienen. Zudem gibt es auch viele Unternehmen, die sich München als Standort aussuchen. Das ist ja grundsätzlich erfreulich, denn es entstehen viele, gut bezahlte Arbeitsplätze. Diese Menschen müssen aber auch irgendwo wohnen und verdrängen andere Bürger, die sich nicht jede Miete leisten können. Das ist eine Entwicklung, der wir politisch entgegenwirken müssen.

Wie?

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Ich betone in Gesprächen mit Unternehmen immer wieder die Notwendigkeit, auch Wohnungen für ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzubieten. Ich wäre sehr dafür, Unternehmen zu verpflichten, entweder selbst zu bauen oder Belegrechte bei Genossenschaften zu kaufen. Wir haben zwar eine Stellplatzpflicht, das heißt jeder, der ein Haus baut, muss auch einen Stellplatz nachweisen. Wenn Unternehmen aber Mitarbeiter nach München bringen, kann ich sie nicht verpflichten, auch die dazugehörigen Wohnungen zu schaffen. Deswegen müssen wir als Stadt auch weiterhin Wohnungen bauen und kaufen. Das geht aber nicht so schnell, wie man sich das vielleicht wünscht. Im Moment hat die Stadt München rund 70.000 Wohnungen. 100.000 sind mein Ziel.


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"Ich habe gar nichts gegen neue Radwege"


Dieter Reiter


Habe ich Sie anfangs richtig verstanden, dass die Verkehrswende für Sie keine Priorität hat? Zuletzt haben Ihre Koalitionspartner in der Stadtregierung, die Grünen, Sie dafür heftig kritisiert, dass Sie sogar jene Verkehrsprojekte nicht mittragen würden, denen Ihre eigene Fraktion zugestimmt hat. Etwa die Verkehrsberuhigung in der Kolumbusstraße.

Da haben Sie mich falsch verstanden. Im Gegenteil: Ich bin durchaus ein Verfechter der Verkehrswende. Ich glaube nur, dass Symbolik und Ideologie die Verkehrswende nicht nach vorne bringen. Die Verkehrswende in München wird sich definitiv nicht daran festmachen, ob wir beispielsweise in der Kolumbusstraße 200 Meter für die Autos sperren.

Für Sie also nur Symbolpolitik?

Oft Symbolpolitik, wie der ein oder andere Radweg in der Stadt.

Was haben Sie gegen mehr Radwege?

Gar nichts, wir bauen ja auch viele. Aber wir brauchen vor allem einen gut funktionierenden öffentlichen Nahverkehr. Wir haben rund 500.000 Pendlerinnen und Pendler jeden Tag, die gezwungenermaßen mit dem Auto in die Stadt fahren, weil die S-Bahn unzuverlässig und die Taktung nicht mehr zeitgemäß ist. Da muss der Freistaat endlich mehr tun. Aber auch wir als Stadt müssen stets daran arbeiten, unsere innerstädtischen Systeme – also Tram, U-Bahn und Bus – zu verbessern. Verkehrswende heißt für mich aber auch, dass wir die Autos so weit wie möglich aus der Altstadt heraushalten und dort mehr Lebensqualität schaffen.

Aber noch mal: Was haben Sie gegen mehr Radwege, egal wo?

Noch mal: Ich habe nichts gegen Radwege. Bei mir liegt auch keine einzige Planung eines neuen Fahrradwegs auf dem Schreibtisch, die ich nicht zur Umsetzung weitergeben würde. Dort, wo wir mehr Sicherheit für den Radverkehr erreichen können, bin ich sogar für eine deutliche Beschleunigung der Umsetzung. Insgesamt fände ich es sinnvoller, die bereits beschlossenen Radwege schneller zu realisieren.

Sie würden sich also nicht als alleiniger Hausherr im Münchner Rathaus beschreiben, der auch mal eigenmächtig Dinge entscheidet?

Es gibt für mich als Chef der Verwaltung klare Entscheidungszuständigkeiten, die ich natürlich auch wahrnehme. Von "eigenmächtig" kann daher keine Rede sein.

Wie zum Beispiel Heizstrahler zuzulassen für Wirte in der Stadt während des Oktoberfests?

Ja, das liegt im Rahmen meiner Zuständigkeit, auch wenn sich manche Kolleginnen oder Kollegen darüber echauffiert haben. Wir reden von einer Ausnahmegenehmigung für 18 Tage, die nun wirklich keine große politische Diskussion rechtfertigt.

Einen Satz bitte zu Hubert Aiwanger: Ist er aus Ihrer Sicht als stellvertretender Ministerpräsident nach der Flugblatt-Affäre noch tragbar?

Dieses Flugblatt ist unsäglich, ekelhaft und einfach unglaublich. Jemand, der dann auch noch so nichtssagend auf die Fragen des Ministerpräsidenten und damit des Landtags antwortet, ist schwer im Amt zu halten. Die Landtagswahl wird es klären. Wenn es am Wahlabend zur gleichen politischen Konstellation kommen sollte, bin ich sehr gespannt, wie der nächste Wirtschaftsminister heißt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Dieter Reiter
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