Vom Leerstand geplagt Hat die Breite Gasse noch eine Zukunft?
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Einkaufsstraße ist das Sorgenkind der Nürnberger Innenstadt. Zig Läden stehen dort leer. Wie konnte das passieren und gibt es einen Ausweg?
Die Breite Gasse in Nürnberg: Was vor zehn Jahren noch eine Einkaufsmeile war, verkommt zusehends. Bei rund zwanzig kleineren und größeren Läden blickt man nur noch in leere Fenster – und das teilweise seit Jahren. Wie konnte das passieren und hat die Straße überhaupt noch eine Zukunft?
Nürnbergs Wirtschaftsreferentin Andrea Heilmaier (CSU) sieht in der Breiten Gasse zumindest kein spezifisches Nürnberger Problem. Sie sagt: "Die Nürnberger Innenstadt steht – wie die Innenstädte vieler anderer Städte auch – vor großen Herausforderungen, wie dem Strukturwandel im Einzelhandel." Der führe zu den Leerständen.
Achim Mletzko, Fraktionsvorsitzender der Grünen und damit faktisch die Opposition im Rathaus, schlägt ähnliche Töne wie die Referentin an. Er betont: "Ich würde dem Eindruck entgegentreten, dass die Stadt Nürnberg, was Stadtentwicklung betrifft, nicht aufmerksam gewesen wäre. Ganz im Gegenteil."
Christine Kayser, seine Amtskollegin von der SPD, sagt, die Immobilien in der Breiten Gasse seien im Privatbesitz. Darauf habe die Stadt schlicht keinen Einfluss. "Vielleicht muss jemand mal deutlich sagen, dass der Handlungsspielraum einer Kommune begrenzt ist." Zeigt sich also in der Breiten Gasse ein Phänomen, an dem die Stadt nichts ändern kann?
Der Handlungsspielraum ist begrenzt.
Christine Kayser (SPD)
Leere Schaufenster wegen Spekulation?
Sophie May arbeitet als Stadtentwicklerin für ein Hamburger Unternehmen. Sie kennt die Situation in Nürnberg, genau wie die in anderen Städten im ganzen Land. Ein Grund für die Situation in der Breiten Gasse könnte Spekulation sein, erklärt sie. Das heißt, die Besitzer ließen ihre Läden bewusst leer stehen, weil sie auf eine Steigerung des Marktwerts der Immobilie oder auf potentere Mieter hofften.
Für die Sozialdemokratin Kayser ist das eines der Hauptprobleme. Die Besitzer der Läden dort seien gewohnt, Mieten von teils deutlich mehr als 100 Euro pro Quadratmeter aufrufen zu können. "Bis die verstehen, dass sie für so viel Geld da keine Läden mehr reinbekommen, dauert es", sagt die Stadträtin.
Große Leerstände haben Auswirkungen auf kleinere Läden
Spekulation sei aber, so Stadtentwicklerin May, längst nicht der einzige Grund für Leerstände. Onlinehandel und Einkaufszentren am Stadtrand machten etwa den Geschäften in der Innenstadt die Kunden streitig. Genauso spielten auch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine eine Rolle – alles Faktoren, die sich wohl auch in der Breiten Gasse bemerkbar machen.
Hinzu kommt mutmaßlich noch ein Sondereffekt: die großen leer stehenden Immobilien in der direkten Umgebung. May spricht in diesem Zusammenhang von einem "Trading-Down-Effekt". Will heißen: Sobald ein größeres Gebäude leer bleibt, wird die direkte Umgebung als weniger attraktiv wahrgenommen. Dass in der Breiten Gasse gerade viele kleine Läden leer stehen, hängt also mutmaßlich auch mit dem "City-Point", dem "Schuh Leiser"-Areal und dem ehemaligen "Kaufhof" zusammen.
Große Leerstände in der Breiten Gasse
Der "prominenteste Leerstand" in der Breiten Gasse dürfte der "City-Point" sein. Das ehemalige Einkaufszentrum wurde 2017 von einem Düsseldorfer Unternehmen gekauft – ursprünglich mit dem Ziel, an der Stelle einen Neubau zu errichten. Passiert ist seitdem nichts.
Ähnliches gilt für das "Schuh Leiser"-Areal. Das alte Schuhgeschäft wurde abgerissen, woraufhin Bauarbeiten begannen – die jedoch wenig später wieder eingestellt wurden. Der Neubau ist bis heute nicht fertiggestellt.
Am Rande der Breiten Gasse liegt zudem das ehemalige Kaufhof-Gebäude. Das steht seit Sommer 2023 ebenfalls leer. Hier gibt es aber Hoffnung: Die Stadt hat das Kaufhaus vor wenigen Wochen gekauft und will nun selbst ein neues Nutzungskonzept entwickeln.
Ähnliches Bild in anderen Städten
May sagt, die Probleme in Nürnberg seien in Deutschland bei Weitem kein Einzelfall. Sie begreift das aber als Chance. Viele Innenstädte seien bislang sehr handelsorientiert gewesen. Jetzt könnten dort eine Mischnutzung oder andere Konzepte etabliert werden, die auch außerhalb der Geschäftszeiten Frequenzen bringen.
In diese Kerbe schlägt auch Wirtschaftsreferentin Heilmaier. Sie will die Nürnberger Innenstadt zu einem "vielfältigen, multifunktionalen Ort für alle Zielgruppen" entwickeln. Die Innenstadt müsse im Gesamten ein Ort zum "Erleben, Begegnen, Wohnen und Arbeiten werden."
Andere Städte setzen den Rotstift an
May sagt allerdings, es gebe bundesweit auch den Trend mancher Städte, ihre zu groß gewordenen Einzelhandelsbereiche "gesundzuschrumpfen". Ein Schicksal, das auch Nürnberg und damit der Breiten Gasse droht? Schließlich hat die Stadt ohnehin eine der größten Fußgängerzonen Europas.
Von so radikalen Maßnahmen redet in der Stadtpolitik niemand. Achim Mletzko von den Grünen sagt: "Ich glaube nicht, dass einmal der Hauch des Todes durch die Breite Gasse weht." Er plädiert dafür, dass sich dort künftig Gastronomie und Einzelhandel die Flächen teilen. Auch sollten dort wieder Wohnungen entstehen.
Die Wirtschaftsreferentin verweist in diesem Zusammenhang auf die Umgestaltung der Breiten Gasse – eine bereits beschlossene Sache. Ab 2025 soll sie nicht nur ein neues Pflaster bekommen, sondern auch Bäume, Trinkbrunnen sowie Spiel- und Bewegungsangebote. Damit werde die Straße für die Zukunft gewappnet.
Probleme könnten sich noch 20 Jahre lang hinziehen
Außerdem erhofft sie sich "massiv positive Effekte" durch die Wiederbelebung des Kaufhofs. Kayser von der SPD will nicht so lange warten. Sie fordert, dass die Stadt zusammen mit den Eigentümern Zwischennutzungsmöglichkeiten findet. In den verwaisten Geschäften könnte etwa Kunst ausgestellt werden, sagt sie.
Fest steht: Bis die Maßnahmen wirken, dürfte es noch dauern. Stadtentwicklerin May geht davon aus, dass die Transformation der Innenstädte noch Jahrzehnte andauern wird.
Kayser sagt, die noch aktiven Geschäfte in der Breiten Gasse hätten ein sehr gutes Sortiment. Die Bürger sollten sie so gut wie möglich unterstützen – auch bevor die Umgestaltung abgeschlossen ist. "Jammern hilft nichts", findet die Sozialdemokratin.
- Eigene Recherchen