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"Drachenlords" Hater: Die schlechten Gewinner


"Drachenlords" Hater
Die schlechten Gewinner

  • Lars Wienand
Aus Nürnberg berichtet Lars Wienand

Aktualisiert am 23.10.2021Lesedauer: 7 Min.
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"Drachenlord" Rainer Winkler: Der Youtuber ist zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Weil seine Anti-Fans ihn belagern und er seine Aggressionen nicht im Griff hat, wird er immer wieder straffällig.Vergrößern des Bildes
"Drachenlord" Rainer Winkler: Der Youtuber ist zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Weil seine Anti-Fans ihn belagern und er seine Aggressionen nicht im Griff hat, wird er immer wieder straffällig. (Quelle: dpa-bilder)

Der YouTuber "Drachenlord" muss in Haft, weil er sich von seinen Hatern provozieren ließ und zuschlug. Was treibt Tausende an, einen Förderschüler jahrelang mit Hohn und Hass zu verfolgen? Eine Reise in einer Parallelwelt.

Die, die den Youtuber Rainer Winkler alias "Drachenlord" verachten und verhöhnen, haben es geschafft. Sie haben ihn geschafft. Zwei Jahre Gefängnis und Sendepause für den "Drachenlord" – weil seine "Hater", die sich im fränkischen Dialekt "Haider" nennen, ihn zu Straftaten getrieben haben und eine Richterin nicht mehr anders konnte, als Winkler nun zu verurteilen. Wer sind diese Menschen aus dem Internet, die einem Förderschüler einen Kampf erklärt hatten und jetzt Sieger sind, weil eine Richterin ihn aus dem Spiel nimmt?

Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen gegen das Urteil Berufung eingelegt. Mehr hier.

Im Saal E-006 des Oberlandesgerichts Nürnberg sagen fünf von ihnen als Zeugen aus, drei davon sind Medizinstudenten oder Palliativ-Pfleger und selbst bereits verurteilt worden. Zwölf weitere sitzen im Zuschauerraum, darunter eine junge Frau.

Ab 3.45 Uhr vor dem Gericht gewartet

Im Gericht gibt es keine Zwischenfälle mit den Besuchern, nicht einmal Unmuts- oder Beifallsbekundungen. Die Anti-Fans können sich benehmen. Und es will keiner rausfliegen. Gut fünf Stunden vor Prozessbeginn, um 3.45 Uhr in der Nacht, hatte der erste vor dem Eingang gestanden, um sicher einen Platz zu bekommen. 40, 50 standen schließlich unter den Augen eigens angeforderter Polizei in der Schlange vor der Sicherheitsschleuse. Auch auf versteckte Kuli-Diktiergeräte und Video-Brillen sollte der Sicherheitsdienst achten, Handys wurden den "Haidern" sowieso abgenommen.

Namen wollen sie alle nicht sagen, aber der Frühaufsteher hat ein Twitterprofil: Ihm ist wichtig, dass er nicht für die ganze Szene sprechen könne, "jeder hat seine Motivation, niemand kann für alle sprechen".

"Rudi aus Budeln" nennt er sich auf Twitter. Wenn man das schnell spricht, wird die versteckte, extrem geschmacklose Provokation klar. Es spielt an auf den verstorbenen Vater von Winkler. Wer so niederträchtig ist und den Vater erwähnt, kann Winkler richtig reizen.

Man kann ihn aber mit allem reizen, behaupten die, die im Gerichtssaal sitzen. "Wenn nichts los ist, schreit er los, damit wieder etwas los ist."

Damit alle mitbekommen, was im Gericht los ist, führt der Twitter-Rudi in einem schwarzen Büchlein Protokoll. Was er aufschreibt, landet im Netz und erscheint vielleicht auch im Blog der Drachen-Community. Der Blog erscheint im Stil einer Tageszeitung von Altschauerberg, der Heimat von Winkler.

Manchmal zwei Dutzend Einsätze

In dem 40-Einwohner-Ort in Franken waren die Zuhörer im Gericht allesamt schon. Die Polizei ist an manchen Tagen zwei Dutzend Mal dort im Einsatz, weil Winkler oder Nachbarn sie rufen. Im Zeugenstand berichten Beamte davon, wie belastend das für eine kleine Polizeiinspektion ist, und dass manchmal dringendere Einsätze anliegen als "Haider"-Aufkommen vor dem Haus Winkler.

Dem "Drachenlord" fehlt dafür manchmal das Verständnis. Beleidigungen wie "Ihr Deppen", "Arschloch" oder die Verleumdung "der spielt nur am Handy und macht seine Arbeit nicht" kommen zur Sprache, meist wurden sie gesendet an Tausende Zuschauer.

"Wenn er brüllt, war das meine Belustigung"

In jeder Szene gebe es einen kleinen Teil, der extrem sei und ein schlechtes Licht auf alle werfe, meint einer. Er selbst wolle niemanden stören, wenn er ab und an an Winklers Haus vorbeikomme, erzählt er auf dem Gang vor dem Gerichtssaal. "Ich gehe hin, stehe auf öffentlicher Straße, rede nicht, und wenn er rauskommt und brüllt mich an, dann war es für mich halt meine Belustigung des Tages".

Viele wollten einfach mal gucken an der Adresse, manche verbinden das mit Ausflug und Übernachtung in Nürnberg. Seinen Wohnort hat Winkler selbst mehrfach in Streams genannt mit Aufforderungen, doch zu kommen. "2014 ging es los mit Besuchen, seit etwa 2017 hat es deutlich zugenommen", erklärt ein Polizist im Zeugenstand. In einer Verhandlungspause ist das ein Thema unter den "Haidern". Winkler sei mit der Zeit immer vermessener geworden, unverschämter, dreister. Herausfordernder. Oder haben sie ihn dazu gebracht?

Früher hätte er sich vorstellen können, Poster bei Winkler zu kaufen, sagt Twitter-Rudi. Jemand pflichtet bei: "Früher hat er etwas Dummes gemacht, und alle haben dann gelacht, einschließlich ihm. Heute tut er Dummes und greift alle an, die ihn kritisieren. Er hält sich für unfehlbar."

Opfer und Täter

Ein Gutachten wird verlesen, es kommt zum Schluss, dass bei Winkler verminderte Intelligenz und eine narzisstische Störung vorliegt. Die Staatsanwältin hält Winkler vor, Schuld immer nur bei anderen zu suchen, obwohl er auch beteiligt sei. Winkler ist Opfer und Täter, das ist oft zu hören im Prozess.

Erschienen ist Der "Drachenlord", so sein Spitzname im Internet, in einem schmutzigen T-Shirt. Durch ein großes Loch im Shirt blitzt sein stattlicher Bauch. Das ist auch bald Gesprächsthema unter den "Haidern" im Netz, wo jedes Infohäppchen vom Prozess aufgesaugt wird. Winklers Auftritt sei eine Geringschätzung des Gerichts. Winkler gibt seinen Verdienst als YouTuber mit 3.000 bis 6.000 Euro an, und er habe sich gerade erst von Fans Hemden schenken lassen.

Ist das ihr Problem? Nein. Lästern sie? Ja, wie viele Menschen über viele Promis. Und Winkler sieht sich unzweifelhaft als Prominenter und Star, den Kritik nicht scheren muss.

Und das, sagen "Haider" immer wieder, das könne man doch nicht einfach so stehen lassen. In einer Verhandlungspause erzählt einer, dass er Zugbegleiter ist und kurz nach dem Terroranschlag von Wien Österreicher im Zug hatte. "Das waren Haider, und die wollten zum Drachenlord, weil sie sich so aufgeregt hatten."

"Bei mir ist jeden Tag Amoklauf"

Winkler hatte in einem Livegespräch das von Anhängern aufgebrachte Thema Wien abgewürgt. Ein Terroranschlag mit sterbenden Menschen interessiere ihn nicht: "Bei mir ist jeden Tag Amoklauf."

An anderen Tagen, so erzählt er, ätzt er gezielt über Berufsgruppen oder über die faulen Studenten – während er zugleich erzählt, wie müde er nach nur elf Stunden im Bett und ohne Mittagsschlaf ist. Erklärungsversuch eines Haiders: "Das regt Leute auf, und in den Kommentaren blockiert er ja jeden Widerspruch."

Man könnte darüber lachen, Das ignorieren. Nicht mehr zuschauen. Doch so einfach ist es nicht.

Im Zeugenstand erzählen zwei Medizinstudenten, dass sie eigentlich bei Winkler waren, weil die Zivilgesellschaft aufstehen und ein Zeichen setzen müsse bei Äußerungen zum Holocaust. Richterin und Staatsanwältin stößt das übel auf. "Wir brauchen niemanden, der Selbstjustiz betreibt", sagt die Anklagevertreterin. "Natürlich polarisiert er mit den Videos. Aber die Justiz kümmert sich um alles, was strafbar ist im eigenen Maß." Sie schimpft auf "widerliche Doppelmoral".

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Winkler ging Medizinstudenten in die Falle

Die Richterin nennt es "empörend, dass Leute sich daran ergötzen, jemanden psychisch so fertig zu machen und zu provozieren, um ihn in den Knast zu bringen und dass sie sich dann hinterher als Retter der Nation aufspielen".

In einem Video konnten alle im Saal sehen, was sie meint: Die Medizinstudenten kommen angetrunken vom Christkindlsmarkt nach Altschauerberg, Winkler entdeckt sie vor dem Haus und kündigt nach einem Wortgefecht vom Fenster aus erregt an, nach unten zu kommen.

Warum er das dann tut, ist eine der großen Fragen und eines der Probleme.

Beim Warten auf Winkler rückt der eine angehende Mediziner den anderen ins richtige spärliche Licht, checkt, ob die Kamera läuft und sagt voller Vorfreude. "Wir bringen ihn in den Knast!". Die erhoffte Show beginnt.

Der wutschnaubende Winkler rennt in kühl und berechnend vorgetragene verbale Giftpfeile der beiden Männer. Das "Rainerle", wie sie ihn nennen, redet sich immer mehr in Rage – und stößt sie schließlich. Sie haben sadistisch ihre vermeintliche Überlegenheit demonstriert – und Beweismaterial auf der Kamera.

Taschenlampe ins Gesicht geschlagen

Das mündete in einer der Anklagen wegen Körperverletzung oder gefährlicher Körperverletzung. Einem anderen Mann hat Winkler durchs Tor eine Taschenlampe ins Gesicht gehauen, als der ihn verhöhnt und den Finger durchs Tor in Winklers Reich gesteckt hatte. Einen "Haider" traf an einem anderen Tag ein Backstein am Arm. Einem weiteren Zeugen schlug Winkler ins Gesicht und die Brille kaputt: Da hatte Winkler einen Palliativpfleger gestellt, nachdem der über den Zaun gestiegen war.

Winkler ist am Tag nach seiner Verurteilung wieder auf Sendung. Er hatte alles gestanden, aber sagt, es sei "sehr frustrierend, wenn man nicht weiß, wie man sich verteidigen soll," Er sehe nicht ein, dass er eingesperrt werde, weil er sich verteidige.

Es bestätigt die Bedenken in den Worten der Richterin, ihm noch einmal eine Strafe zur Bewährung zu geben: "Das ist mir zu heiß, ich kann nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass Sie keine Straftaten mehr begehen." Winkler hat zwar sein Haus verkauft, aber von YouTube will er nicht lassen. Kein überzeugender Plan, meint die Richterin.

"Wir sind nicht gut"

Dass sie in der Urteilsbegründung die Medizinstudenten kritisiert, hat auch "Rudi aus Budeln" im Zuhörerraum vernommen. Er widerspricht auch nicht. "Ich hätte auch einer von denen sein können, und Richterin und Staatsanwältin hätten dann das gleiche über mich sagen können"

Und es stimme auch: "Es geht nicht darum, Winkler ins Gewissen zu reden, das ist ja auch seit Jahren nicht mehr möglich. Es geht darum, sich zu unterhalten und zu belustigen." Gefilmt werde auch nicht vordringlich als Beweis für die Polizei. "Es sollen alle was davon haben."

Wenn Twitter-Rudi das eigene Verhalten selbst so analysiert, klingt das in der Klarheit schmerzhaft und erschreckend: "Es ist wie ein Zoo, nur halt besser. Man lässt den Tanzbär tanzen, und es ist so einfach."

Man könnte es menschenverachtend nennen. Sie nennen es das Drachengame. Und "Rudi aus Budeln" gibt an der Stelle auch offen zu: "Wir sind nicht gut." Aber Winkler eben auch nicht.

"Gefängnis ist die einzige Chance"

Andere schwärmen am Rande des Prozesses davon, dass in der Community so viel Kreativität versammelt sei, dass unvergleichliche Internetkultur mit großartigen Satiren entstanden sei, "so etwas gibt es im Internet weltweit kein zweites Mal. Kann es ja auch nicht, weil es nichts Vergleichbares geht, was über so viele Jahre läuft." Rainer Winkler hat durchgehalten.

Aber das tue ihm nicht gut, sagt der Zugbegleiter-"Haider". "Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn. Das Gefängnis ist für ihn die einzige Chance, aus dem Teufelskreis rauskommen." Auch ausgewogene Ernährung gebe es da, Therapieangebote, vielleicht könne er sich beruflich neu orientieren, um nach der Entlassung neu zu starten.

Er muss selbst zugeben, dass das verlogen klingen könne. "Aber ich meine es wirklich so. Er tut mir leid."

Neue Gleichgültigkeit

In der letzten Reihe im Gericht saß einer, der egoistischer denkt: "Ich will nicht, dass er ins Gefängnis kommt, ich will, dass das Spiel weitergeht."

Wenn aber eine mögliche Berufung an der Haftstrafe nichts ändert, dann ist das Drachengame mit dem Urteil zu Ende gespielt, glaubt Twitter-Rudi : "Es wird vorbei sein. Die Haider wissen jetzt, es gibt Gerechtigkeit." Gerechtigkeit, wie sie sie verstehen. "Jetzt macht es mich nicht mehr fertig, was er ins Internet stellt." Der Drachenlord ist besiegt.

Könnte irgendwer der nächste Gegner werden, vielleicht jemand, der mit dem Drachenlord sympathisiert? "Ich zumindest bin da raus,", sagt der "Rudi aus Budeln".

Und der Zugbegleiter überlegt: "Die meisten werden wirklich aufhören. Manche suchen sich vielleicht jemand. Ich hoffe es nicht."

Verwendete Quellen
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