20 Jahre im Profifußball Es schmerzt
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Ich habe Schmerzen. Mein Körper erinnert mich an die fast 20 Jahre Profifußball, die in ihm stecken. Deshalb kämpfe ich dafür, dass es die nächste Generation besser hat.
Vor ein paar Tagen war ich beim Arzt. Ein Knorpelschaden bereitet mir immer wieder Schmerzen, ein Doc muss sich das regelmäßig anschauen. Zudem zwickt der Rücken öfter, und auch die Wade macht zu. Es sind die körperlichen Spuren und Nachwirkungen von 20 Jahren Profifußball, die mich knapp sieben Jahre nach meinem Karriereende noch immer begleiten. Sie erinnern mich an eine fantastische Zeit. Aber es tut auch weh. Nicht nur im übertragenen Sinn, sondern wortwörtlich: Es schmerzt.
Das ist wohl einer der Preise, die man für jahrzehntelangen Leistungssport zahlen muss. Ich will jetzt gar kein Mitleid. Nur: Als ich da so bei der Untersuchung sitze, habe ich schon darüber nachgedacht, was für gesundheitliche Schäden der Job als Spieler hinterlassen kann, manchmal eben auch für den Rest des Lebens. Er belastet den Körper. Heute vielleicht noch mehr als zu meiner Zeit. Belastung ist deshalb nicht zufällig eines der großen Schlagworte, die nicht zuletzt in diesem Frühling und Sommer in den Fußball-Diskussionen immer wieder auftauchen.
"70 Partien in einer Saison: Das klingt nun wirklich nicht gesund."
Gerald Asamoah
Jürgen Klopp und Pep Guardiola beschweren sich seit Jahren lautstark über die aus ihrer Sicht zu hohe Anzahl an Spielen in der Premier League mit ihrer kaum existenten Winterpause. Dazu auch noch die zwei nationalen Pokalwettbewerbe. Plus Europapokal. Und dann auch noch Länderspiele mit den Nationalmannschaften. Die internationale Spielergewerkschaft Fifpro hat im Mai eine Studie präsentiert, die genau das dokumentiert: Es sind zu viele Spiele. Superstar Kylian Mbappé von Paris Saint-Germain stimmt zu: "Was zu viel ist, ist zu viel." Und auch deutsche Nationalspieler wie Manuel Neuer und Lukas Klostermann weisen in Interviews darauf hin, dass man das Thema dringend im Blick behalten solle. Gerade jetzt, wo eine Winter-Weltmeisterschaft im November und Dezember vor der Tür steht, die die Spielpläne beeinflusst und aufgrund derer wir uns bei Schalke 04 schon jetzt intensiv mit der Trainingsgestaltung in dieser Phase beschäftigen und bei der noch niemand so recht zu wissen scheint, welche Folgen diese Pause haben wird.
Ich denke, für jeden ist nachvollziehbar, dass es nicht immer mehr Spiele und Wettbewerbe werden können. Für Akteure, die in Top-Ligen am Ball sind, dazu noch international spielen und für Nationalmannschaften auflaufen – die also viele Englische Wochen und Reisen abspulen –-, sind es zum Teil über 70 Partien in einer Saison. Das klingt nun wirklich nicht gesund. Mir ist klar, dass mit Fußball sehr viel Geld verdient wird. Aber das geht auch nur dann, wenn wirklich gespielt wird und nicht, wenn die Hauptakteure (und gerade die Stars!) verletzt sind oder nur zum Teil ihre Top-Leistung abrufen können.
Der Einwand, dass gutbezahlte Profisportler so etwas doch abkönnen müssen, hilft da wahrscheinlich auch nicht weiter, denn auch deren Körper haben natürliche Grenzen. Ich möchte deshalb keine populistischen Phrasen raushauen, nach dem Motto: "Früher war es auch hart oder härter" oder "jammert mal nicht so rum". Ich möchte an dieser Stelle auch niemandem Vorwürfe machen. Aber ich möchte schon darauf hinweisen, dass sich jede und jeder mit der Frage nach der sinnvollen Belastung der Spieler ernsthaft auseinandersetzen sollte, der darauf Einfluss hat.
"Der Spieler selbst ist in der Verantwortung, seinen Körper zu pflegen."
Gerald Asamoah
Das sind natürlich vor allem die nationalen und internationalen Verbände, die die Spiele ansetzen und die Wettbewerbe bestimmen. Sie haben es in der Hand – und sollten ja ganz im Sinne ihres "Produktes" (wenn man es so nennen will) ein großes Interesse daran haben, dass sich dieses auch bestmöglich darstellt, sprich: die Spieler fit sind.
Das sind auch die Vereine. Deshalb hat sich bei Fußballvereinen das Team um das Team, also der sogenannte Staff, in den vergangenen Jahren so verändert. Er ist immer größer und spezialisierter geworden. Es sind jetzt unterschiedliche Experten, die die Mannschaft in ihren Kompetenzbereichen betreuen. Ich weiß, viele denken: "Ist das wirklich nötig, dass da so viele rumlaufen? Früher konnten die doch auch so kicken." Das stimmt natürlich. Aber es ist einfach Teil einer Weiterentwicklung, einer Modernisierung, die ich nur befürworten kann. Auch, weil sie eben den Spielern zugutekommt.
Vize-Weltmeister Gerald Asamoah schreibt monatlich als Kolumnist für t-online über aktuelle und spannende Geschehnisse sowie gesellschaftliche Komponenten des Fußballs.
Als Leiter der Lizenzspielerabteilung bei Schalke 04 gehört die sportmedizinische und die physiotherapeutische Abteilung zu meinem Verantwortungsbereich. Sportvorstand Peter Knäbel, Sportdirektor Rouven Schröder und ich legen gemeinsam mit dem Trainerteam extrem viel Wert darauf, dass die Betreuung der Spieler so umfassend und detailliert wie möglich ist, damit die Belastung, die im Training und im Wettkampf nun mal einfach dazugehört, bestmöglich gesteuert – und wenn nötig eine Reha optimal umgesetzt wird. Natürlich ist auch der Spieler selbst in der Verantwortung, sich um sich selbst zu kümmern, seinen Körper zu pflegen und gut zu behandeln. Aber das sollte jedem Profi eh klar sein.
"Das allerletzte Limit sollte nicht überschritten werden. Denn dann kann man noch so viel fitspritzen wollen, dann geht es irgendwann einfach nicht mehr."
Gerald Asamoah
Nicht falsch verstehen, wir reden über Leistungssport, über Kontaktsport. Das bedeutet, dass du immer wieder über (Schmerz-)Grenzen hinausgehen musst. Dass du die Zähne zusammenbeißen musst. Dass es wehtut. Dass man etwas abbekommt und sich nicht direkt auswechseln lässt. So habe ich selbst gespielt, und das erwarte ich auch von den Spielern heute. Aber das ist ja gar nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass das allerletzte Limit nicht überschritten werden sollte. Denn dann kann man noch so viel fitspritzen wollen, dann geht es irgendwann einfach nicht mehr.
Am Ende ist es doch eigentlich ganz einfach: Die Fans wollen Spieler spielen sehen. Und die Spieler wollen spielen. Aber das geht eben nur, wenn Körper und Geist nicht streiken – und über den Geist, über die mentale Belastung, über Druck im professionellen Sport haben wir ja noch gar nicht gesprochen. Damit meine ich jetzt gar nicht unbedingt direkt psychische Erkrankungen, sondern vielmehr, dass sich das Mentale auch auf den Körper, zum Beispiel in Form von Verletzungen, auswirken kann. Dass beides untrennbar zusammenhängt.
Aber das alles ist noch mal ein Thema, das so groß und wichtig ist, dass es eigentlich eine eigene Kolumne verdient.