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Michael Tarnat: "Ich habe die Bayern-Philosophie ein Stück weit mit nach Hannover gebracht"


Hannovers Nachwuchs-Chef Tarnat
"Ich versuche, das Bayern-Selbstverständnis ein bisschen auf 96 zu übertragen“

  • T-Online
InterviewVon Alexander Kohne

Aktualisiert am 21.10.2018Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Kennt sich aus in Hannover: Michael Tarnat spielte von 2004 bis 2009 bei 96. Seit Sommer 2017 leitet er das Nachwuchsleistungszentrum der Niedersachsen.Vergrößern des Bildes
Kennt sich aus in Hannover: Michael Tarnat spielte von 2004 bis 2009 bei 96. Seit Sommer 2017 leitet er das Nachwuchsleistungszentrum der Niedersachsen. (Quelle: Hannover 96)

Mit Bayern wurde Michael Tarnat viermal Meister, gewann die Champions League. Heute leitet er die Talentschmiede von Hannover 96 – und hat eine klare Vision. Diese hat viel mit seinem Ex-Klub zu tun.

Alles ist aufgeräumt, nichts steht herum. Michael Tarnat mag es klar und strukturiert das lässt zumindest sein Büro vermuten, welches trotzdem nicht ungemütlich wirkt. Und so aufgeräumt wie sein Arbeitsplatz präsentiert sich der Leiter des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) von Hannover 96 auch im Interview. Schnell wird klar: Dieser Mann ist geradezu begeistert von seinem Job.

t-online.de: Herr Tarnat, wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Michael Tarnat: Um neun Uhr komme ich ins Büro, beantworte erst einmal E-Mails und erledige sonstige Büroarbeit. Da stehen z. B. auch Telefonate mit Beratern an, die mir Spieler anbieten oder mit denen ich über die Entwicklung ihrer Schützlinge spreche. Danach tausche ich mich mit den Trainern unserer U-Mannschaften über die Trainingseindrücke und die anstehenden Partien aus. Dann steht Videostudium auf dem Programm und ich analysiere Partien, bei denen ich nicht vor Ort sein konnte. Gegen fünf Uhr gehe ich raus und beobachte die Trainingseinheiten der Teams und gegen acht, halb neun bin ich wieder zu Hause. Das ist ganz grob der Alltag – aber natürlich gehören auch viele andere Sachen dazu. Und darüber hinaus diskutiere ich mit unserem Team immer wieder die Philosophie von Hannover 96 hier im NLZ.

Wie würden Sie diese in drei Sätzen zusammenfassen?

Da brauche ich keine drei Sätze, es reichen drei Schlagwörter: Ballbesitz – dominant – offensiv.

Könnten sie diese Schlagwörter jeweils in zwei, drei Sätzen beschreiben?

Klar (lacht). Ich bin total davon überzeugt, im Jugendbereich Ballbesitzfußball zu spielen. Das heißt nicht nur, den Ball von A nach B zu bringen, sondern vor allem zu erkennen, wo der freie Mann oder Raum ist und dann zielstrebig dorthin zu spielen. Dominant heißt für mich, den Gegner bei eigenem Ballbesitz in seine Hälfte zu drücken und überzeugt davon zu sein, wirklich selbst Fußball spielen zu wollen – und zwar auch, wenn man einen Fehler macht. Und offensiv spricht ja eigentlich für sich: Dass man im Spiel nach vorne denkt und nicht immer im Hinterkopf hat, was passiert, wenn man den Ball verliert.

Sie haben sechseinhalb Jahre im Nachwuchsbereich des FC Bayern gearbeitet und unter anderem das dortige NLZ geleitet. Wie wirkt sich das jetzt auf Ihre Arbeit bei 96 aus?

Die Zeit bei Bayern hat mich sehr geprägt und ich habe die dortige Philosophie ein Stück weit mit hierher gebracht. Wir sind mit Bayern damals in der B-Jugend Meister und in der A-Jugend Vizemeister geworden. Darüber hinaus haben zwölf Spieler Profiverträge unterschrieben. Deshalb bin ich von dem Weg total überzeugt und lasse mich davon nicht abbringen. Für 96 heißt das: Auf Dauer sollen alle Jugendteams – und zwar die U11 genauso wie die U23 – einen Widererkennungswert haben. Man soll direkt merken: Da spielt eine Mannschaft von 96.

Vieles, was Sie beschreiben, erinnert an den FC Barcelona bzw. Pep Guardiola. Der war während Ihrer Zeit im Bayern-Nachwuchs Trainer der Profis. Inwiefern hat Guardiola Sie beeinflusst?

Pep hat mich natürlich beeinflusst. Aber nicht nur er, sondern auch Matthias Sammer (damals Bayern-Sportvorstand, Anm. d. Red.). Wir waren in engem Austausch und besonders mit Matthias habe ich viel über die Nachwuchsphilosophie gesprochen.

Was hat Sie in dieser Zeit bei Bayern am meisten geprägt?

Man muss absolut davon überzeugt sein, was man macht und darf – auch wenn die Ergebnisse mal nicht stimmen – nicht von seinem grundsätzlichen Weg abweichen. Da spielt natürlich das "Mia san mia" eine Rolle, dieser Habitus, dass uns nichts erschüttern kann, den versuche ich auch hier reinzukriegen und dieses Bayern-Selbstverständnis ein bisschen auf 96 zu übertragen. Hannover ist im norddeutschen Raum eine Marke. Wir dürfen uns nicht kleiner machen, als wir sind.


Mit Waldemar Anton, Noah Sarenren Bazee oder Linton Maina haben in den vergangenen Jahren mehrere Nachwuchsspieler den Sprung zu den Profis geschafft. Was ist diesbezüglich Ihr Ziel?

Unser Präsident Martin Kind würde am liebsten zwei bis drei Jungs pro Jahr hochziehen. Das ist natürlich sehr ambitioniert. Aber in die Richtung soll es schon gehen. Es ist schwierig zu sagen: Es sollte mindestens ein Spieler pro Jahrgang sein. Deshalb sagen wir: Das Ziel ist, in vier fünf Jahren ein Fundament an eigenen Spielern im Kader zu haben und darauf weiter aufzubauen. Denn das ist für die Identifikation mit der Region ganz wichtig.

Heute haben fast alle Bundesligaspieler ein NLZ durchlaufen. Wie war das eigentlich bei Ihnen?

Ich komme aus einer ganz anderen Zeit (lacht). Bis ich 20 Jahre alt war, habe ich mit meinen Freunden in Hilden gespielt, beim SV Hilden-Nord. Damals sind wir in die Landesliga aufgestiegen. Dann hat mich zufällig Willibert Kremer gesehen und zum MSV Duisburg geholt. Erst da bin ich Profi geworden – so ähnlich wie aktuell Hendrik Weydandt, der von Germania Egestorf/Langreder zu unserer zweiten Mannschaft gewechselt ist und vor kurzem einen Profivertrag bekommen hat.

Weydandt ist eine echte Ausnahme. Die meisten Jungprofis kommen aus den NLZ. Hoffenheims Ermin Bicakcic kritisierte jüngst: "Viele Jugendspieler sind wie aus der Fabrik. Ich vermisse die Typen." Hat er Recht?

Ja, die Typen fehlen schon ein bisschen. Und da müssen auch wir in den NLZ uns natürlich hinterfragen und ansetzen. Die Jungs sollten auf dem Platz den Raum bekommen, um sich zu entwickeln und Fehler machen zu dürfen. Da dürfen auch mal wieder Eins-gegen-eins-Situationen gesucht werden, ohne dass man gleich meckert, wenn der Ball verloren wird. Zuletzt wurde immer sehr viel über Taktik gesprochen, aber das ist eben nur ein Aspekt des Spiels. Natürlich gehört der Leistungsgedanke dazu, aber es wäre gut, den Spieltrieb, den natürlichen Spaß am Spiel wieder mehr zu fördern und nicht alles von vorne herein taktisch einzuengen.

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Gladbach-Manager Max Eberl sieht die Zukunft des deutschen Fußballs kritisch. Er erwartet: "Es werden in den kommenden Jahren Probleme auf uns zukommen, wenn nicht mehr diese gierigen, jungen Spieler kommen, sondern verwöhnte Jungs, die nicht mehr kritikfähig sind, wenn das Leistungsprinzip nicht mehr Einzug hält bei uns, weil Kinder bei jedem kleinen Widerstand zu ihrem Berater rennen." Stimmen Sie Ihm zu?

Ja, zum Teil schon, denn heutzutage wird den Jungs teilweise zu viel abgenommen. Ich kenne es noch so, dass man Hindernisse selbst aus dem Weg räumt. Heutzutage werden die Jungs allerdings oft gar nicht erst mit Hindernissen konfrontiert, weil sich die Berater darum kümmern. Aber das kann nicht Sinn der Sache sein. So können sich keine Persönlichkeiten ausbilden. Außerdem geht es da um immer jüngere Spieler. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum schon ein zwölf- oder 13-Jähriger einen Berater haben muss. Der sollte bei Problemen mit seinen Eltern und Trainern sprechen.

Noch einmal zum FC Bayern. Die Münchener haben vor gut einem Jahr ein neues Jugendzentrum eröffnet, das über 70 Millionen Euro gekostet hat. Wie sehen Sie die Nachwuchsarbeit dort aktuell?

Die Jugendarbeit ist hervorragend und mit dem neuen, hochmodernen Bayern Campus sind sie in eine neue Dimension vorgestoßen. Damit hat Bayern nicht nur europaweit, sondern weltweit Maßstäbe gesetzt.

Wo steht 96 im Vergleich dazu?

Ein großes Stück dahinter (lacht). Aber auch wir sind sehr gut aufgestellt. Nur Bayern ist natürlich in jeder Hinsicht nochmal eine andere Liga. Die scouten weltweit, haben vor kurzem erst den 17-jährigen Kanadier Alphonso Davies verpflichtet und dafür Millionen bezahlt (laut "Kicker" zehn Millionen Euro Ablöse plus bis zu neun Millionen Euro Prämien, Anm. d. Red.). Das sind bei uns natürlich andere Dimensionen. Wir scouten im norddeutschen Raum, konzentrieren uns besonders auf die Region Hannover.


Trotz immenser Investitionen hat Bayern lange keinen Star mehr aus der eigenen Jugend rausgebracht. Wann kommt denn nun der neue Thomas Müller?

Das ist schwierig zu sagen. Auf jeden Fall meinen die Bayern es ernst. Das sieht man daran, dass Hasan Salihamidzic zuletzt viele Spieler aus dem Nachwuchs mit Profiverträgen ausgestattet hat. Vielleicht müssten sie noch etwas mehr Mut haben, diese öfter einzusetzen. Das Problem ist, dass 20 Nationalspieler im Kader stehen und immer der Druck da ist, Titel zu holen – am besten die Champions League. Das macht es natürlich schwierig. Aber aus meiner Zeit bei Bayern weiß ich, dass einige sehr talentierte Jungs dort sind, beispielsweise Meritan Shabani oder Lukas Mai, die beide bereits in der Bundesliga debütiert haben – Lukas sogar Ende letzter Saison gegen 96.

Wie viele Spieler aus dem Bayern-Nachwuchs schaffen in den nächsten drei Jahren den Sprung in den Profi-Kader?

Vier bis fünf.

Sie erwähnten Hasan Salihamidzic, der mit Ihnen als Spieler 2001 die Champions League gewann. Könnten Sie sich vorstellen, wie Salihamidzic zu Bayern zurückzukehren?

Nein, überhaupt nicht, weil ich mit meiner Aufgabe bei 96 total glücklich bin.

Ein anderer ehemaliger Mitspieler von damals ist Niko Kovac. Der trainiert den Klub mittlerweile. Hätten Sie ihm das damals zugetraut?

Nein, das hätte ich Niko damals – ehrlich gesagt – nicht zugetraut. Dass er und Robert (Kovac, Bruder und Co-Trainer, Anm. d. Red.) die Bayern nun trainieren, freut mich total. Wir stehen noch in gutem Kontakt, schreiben uns regelmäßig.

Wie war denn damals das Zusammenspiel der Kovacs?

Niko war auf dem Spielfeld eher der Stratege im Mittelfeld, Robert als Innenverteidiger dagegen eher fürs Rustikale zuständig. Sie haben sich immer gegenseitig den Rücken freigehalten und sich zu einhundert Prozent vertraut. Das tun sie heute noch – ein Riesenvorteil, gerade im Trainergeschäft.

Werden die Bayern mit den Kovacs Meister?

Ganz eindeutig: Ja. Bei Bayern traue ich ihnen noch sehr viel zu.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Michael Tarnat über seine Arbeit als NLZ-Leiter beim "Sportbuzzer"
  • Michael Tarnat beim "Sportbuzzer" über Hendrik Weydandt
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