Prägendes Jahr für Rekordmeister Der FC Bayern 2019: Zwischen Uli Hoeneß und ungewisser Zukunft
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der FC Bayern geht wieder nicht als Herbstmeister in die Winterpause der Bundesliga. Uli Hoeneß hinterlässt schon jetzt eine spürbare Vakanz. Und die kommenden Monate werden weitere einschneidende Herausforderungen mit sich bringen – die Bilanz eines aufregenden Jahres beim Rekordmeister.
Mit einem rot-weiß gestreiften Fanschal des FC Bayern schritt Uli Hoeneß durch die Katakomben der Allianz Arena. Mit ernster Miene und entschlossenem Gang ging der selbsterklärte Patron des deutschen Rekordmeisters in Richtung Kabine der Münchner.
Neben ihm Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge, Jörg Wacker, Vorstand für Strategie und Internationalisierung, sowie Bruno Kovacevic, seit Jahren Hoeneß’ treuer Chauffeur. Als wäre er nie weg gewesen.
Uli Hoeneß hinterlässt beim FC Bayern eine große Lücke
An jenem 21. Dezember 2019, um 17.49 Uhr, war er aber nicht mehr der Präsident, sondern nur noch ein einfacher Aufsichtsrat. Kurze Zeit darauf verließ Herbert Hainer die Katakomben aus Richtung der Kabine, zurückhaltend und schüchtern.
Der Hoeneß-Nachfolger wählte die Seite der Gastmannschaft – er muss sich offensichtlich noch zurechtfinden, in der enormen Lücke, die Hoeneß hinterlassen hat. Bei der Bilanz des Jahres 2019 muss auch deshalb mit der Jahreshauptversammlung vom 15. November begonnen werden.
Oliver Kahn wird künftig wohl der starke Mann
Es war ein emotionaler Abend – mit großer Aussagekraft. Erstens, dass Hoeneß gelöst wirkte. Zweitens, dass Karl-Heinz Rummenigge gelöst wirkte wegen des Abgangs seines Kontrahenten in der Frage, wer wirklich das Sagen hat.
Drittens, dass nicht Hainer, sondern künftig in erster Linie Oliver Kahn das Sagen haben dürfte: der Ex-Torwart, der im Januar in den Vorstand aufrückt, um zum 1. Januar 2022 dessen Vorsitz von Rummenigge zu übernehmen. Viertens, dass es Sportdirektor Hasan Salihamidzic neben Kahn vermutlich schwer haben wird.
"Olllliiiii, Ollllliiii, Olllllliiii", hallte es durch die weitläufige Olympiahalle, als bei der Jahreshauptversammlung der Name Kahn fiel. "Ulllliiii Hoeneß, du bist der beste Mann", skandierten Tausende Mitglieder Patriarch Hoeneß zu. Bei Salihamidzic gab es nur verhaltenen Applaus.
Oliver Kahn bringt sich in Position
Kahn lässt dagegen erahnen, wie offensiv er seine Rolle interpretieren wird. So äußerte er sich jüngst Chef-like zur Trainer-Frage. "Das gehört zur Philosophie des FC Bayern! Dominant, attraktiv, nach vorne, dass man Dinge erkennt, (…) die man bei anderen Mannschaften nicht sieht. Da sind die Erwartungen größer geworden und damit auch an den Trainer", meinte der 50-jährige Geschäftsmann.
Um eine Spitze gegen den großen nationalen Rivalen folgen zu lassen. "Wenn man Meister werden will, tritt man normalerweise anders auf", sagte er als Experte im ZDF über Borussia Dortmund.
Herbert Hainer sucht beim FC Bayern nach seiner Rolle
Hoeneß-Nachfolger Hainer gab indes einen ersten Vorgeschmack darauf, welches Thema während seiner Präsidentschaft Gewicht haben wird: die bayerischen Wurzeln des Klubs, bei dem in (bayerischen) Fankreisen immer öfter die Identitätsfrage gestellt wird.
Bei der Jahreshauptversammlung 2019 rief der ehemalige Adidas-Chef: "Der FC Bayern ist bayerische Heimat, der FC Bayern ist 'Mia san mia', das ist unsere Seele, und diese Seele müssen wir uns immer bewahren." Vor dem polarisierenden Trainingslager in Doha/Katar, zu dem die Spieler am 4. Januar aufbrechen, meinte der 65-jährige Niederbayer nun im Interview mit der "SZ": "Für mich steht fest, dass sich in Staaten wie Katar Veränderungen und Verbesserungen ergeben, wenn die Welt wegen eines Trainingslagers oder einer Fußball-WM genauer hinschaut."
Keine Frage: Die Bayern suchen. Nach den richtigen Formulierungen. Nach diplomatischen Begrifflichkeiten. Nach Identität, teils auch Orientierung. Zuletzt suchten sie sogar nach einem Cheftrainer, obwohl ein nachweislich ausgewiesener Fußball-Taktiker die Anleitung einer verunsicherten Mannschaft übernommen hatte: Hansi Flick.
Hansi Flick folgt auf Niko Kovac
Am 2. November verlor der FC Bayern 1:5 bei Eintracht Frankfurt – die Mannschaft wirkte behäbig, ideenlos und lustlos. Und Niko Kovac ratlos. Nach nur eineinhalb Jahren musste der kroatische Coach wieder gehen, sichtlich abgekämpft.
Nachdem sich der 48-Jährige Anfang des Jahres bei sechs Punkten Rückstand auf Dortmund beinahe heroisch behauptet hatte und nach einer "einmaligen Aufholjagd" (Thomas Müller) im Mai das Double aus Meisterschaft und DFB-Pokal gewonnen hatte.
Die Bayern hatten in Person von Flick vorgesorgt und sich im Sommer einen empathischen Spielerversteher dazugeholt. Der 54-jährige Badener kittete zuerst das Verhältnis zwischen Mannschaft und Kovac, um dann selbst Cheftrainer des FC Bayern zu werden.
Kommt doch noch ein Thomas Tuchel oder Pep Guardiola?
Wochenlang wanden sich die Bosse danach in branchenüblichen Phrasen, wenn es um die Trainer-Frage ging. Auch die Pressemitteilung zwei Tage vor Heiligabend deutete nicht gerade darauf hin, dass Flick die langfristige 1-a-Lösung auf der Trainerbank ist.
Er werde "mindestens bis zum Ende der laufenden Saison Cheftrainer" bleiben, hieß es. Flick hat den Bayern Luft verschafft, sie können sich seine Arbeit anschauen und gleichzeitig Ausschau halten, ob sie nicht doch einen ganz großen Namen gewinnen: Thomas Tuchel, Pep Guardiola oder Erik ten Hag.
Maximal spannende Monate beim FC Bayern
Nicht nur deshalb werden die kommenden Monate maximal spannend. Manuel Neuer hatte zu Beginn der Saison gesagt, dass in der Champions League "mindestens das Halbfinale" das Ziel sei. Dabei ist nach Platz drei in der Vorrunde selbst die Meisterschaft in der Bundesliga in Gefahr.
Und: Wird der 33-jährige Routinier auch seinen bis 2021 laufenden Vertrag verlängern? Dieselbe Frage muss bei den Spaniern Javi Martínez und Thiago gestellt werden. Und beim Österreicher David Alaba, der seinen Kollegen als umfunktionierter Innenverteidiger viel Stabilität gab – aber zu Beginn eines Transferfensters stets mit dem FC Barcelona in Verbindung gebracht wird.
Hat Uli Hoeneß weiterhin viel Macht?
Und Neuzugänge? "Wir werden uns alle Optionen offenlassen auf dem Transfermarkt, aber es wird wohl nicht viel passieren", sagte Salihamidzic zuletzt bei Sky. Trotz eines (zweifelsohne stolzen) Eigenkapitals von 497,4 Millionen Euro ist es unwahrscheinlich, dass sich die Münchner die Wunsch-Transfers Leroy Sané (Manchester City) und Kai Havertz (Bayer Leverkusen) sowie den bisher ausgeliehenen Philippe Coutinho (FC Barcelona) allesamt leisten können.
Wie also wettbewerbsfähig bleiben? Es sind Fragen, die der Rekordmeister mit ins Jahr 2020 nimmt. Dann, wenn die Vakanz Hoeneß’ erst richtig Wirkung entwickelt. Oder bleibt er weiterhin mächtig? Als Flüsterer, wenn er bei Aufsichtsratssitzungen genau neben seinem Freund Hainer sitzt? In der Allianz Arena ist der Bayern-Patriarch zumindest nach wie vor ganz vorn mit dabei. Oder um es in den Worten von Kapitän Neuer zu sagen: "Er ist ja nicht weg."
- Bild: Kahn spricht Klartext: Das muss der neue Bayern-Trainer können
- Süddeutsche Zeitung: Herbert Hainer im Interview: "Wir stehen zur Bundesliga!"
- Sport Bild: Kahn-Kritik am BVB: "Angst ist größer als der Mut"
- eigene Beobachtungen und Recherchen