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Sheriff Tiraspol: Wespen mit Hammer und Sichel – der Schrecken von Real Madrid


Sheriff Tiraspol
Wespen mit Hammer und Sichel – der Schrecken von Madrid


Aktualisiert am 29.09.2021Lesedauer: 4 Min.
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Wespen in Schwarz: Die Spieler von Sheriff Tiraspol feiern im Spiel gegen Real Madrid.Vergrößern des Bildes
Wespen in Schwarz: Die Spieler von Sheriff Tiraspol feiern im Spiel gegen Real Madrid. (Quelle: Action Plus/imago-images-bilder)

2:1 bei Real Madrid – Sheriff Tiraspol hat eine Sensation geschafft. Doch wer steckt hinter dem Klub, der aus der Problemregion Transnistrien stammt? Die Spuren führen zu einem Großkonzern.

"Ich widme diesen Sieg meiner Familie, dem Klub und den Menschen in Moldau", sprach der Kolumbianer Frank Castañeda am späten Dienstagabend in die Mikrofone im Bernabeu-Stadion von Madrid. Wenige Minuten zuvor hatte sich tatsächlich Sensationelles zugetragen im Fußballtempel der spanischen Hauptstadt.

Da hatte das von Mannschaftskapitän Castañeda angeführte kleine Sheriff Tiraspol das große Real Madrid überraschend mit 2:1 besiegt und sich mit dem zweiten Sieg im zweiten Spiel seiner noch kurzen Champions-League-Geschichte an die Spitze der Gruppe D gesetzt.

Und das auch noch durch ein herrliches Tor, einen Sonntagsschuss in der 89. Minute, den Tiraspols luxemburgischer Mittelfeldspieler Sebastien Thill von der Strafraumgrenze links oben in den Winkel schweißte, unerreichbar für Reals Torwart Thibaut Courtois, unglaublich für die Fußballwelt.

Bei Sheriff Tiraspol ist nichts normal

Ein Klub mit einem Gesamtmarktwert von 12,38 Millionen Euro, der aktuelle Tabellendritte der Divizia Națională aus der Republik Moldau, gewinnt gegen das Milliarden-Ungetüm Real Madrid, den Rekordsieger der Königsklasse. "Geschichten, die nur der Fußball schreibt", "Fußball-Märchen", "Geld schießt keine Tore" – die beliebteste Sportart der Welt ist reich an Verbrämungen, die in schöner Regelmäßigkeit wieder bemüht werden, ganz gleich, wie abgedroschen, ausgelutscht oder einfach falsch sie auch sein mögen.

Dabei ist das Märchen nicht ganz so märchenhaft, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn Sheriff Tiraspol, dessen Sieg Kapitän Castañeda "den Menschen in Moldau" widmete, ist gar nicht in Moldau beheimatet – und das ist noch das geringste der Probleme.

Fakt ist: Beim FC Sheriff Tiraspol ist so gut wie nichts normal. Tiraspol liegt in Transnistrien, einem Landstrich im Osten von Moldau an der Grenze zur Ukraine. Die Region hat sich 1990 für unabhängig erklärt, sie ist also de facto ein eigener Staat mit eigener Verwaltung und Währung – obwohl kein Land der Welt sie als solchen anerkennt.

Die rot-grün-rote Landesflagge zieren noch immer die Sowjet-Symbole Hammer und Sichel, das Land steht unter entscheidendem Einfluss Russlands, das dort schätzungsweise bis zu 1.400 Soldaten stationiert hat. Knapp 500.000 Menschen leben in Transnistrien, doch weil das Land arm ist, ziehen immer mehr weg.

Doch es wird noch kurioser: Denn eigentlich ist die Region Transnistrien eher eine Firma, ein wie ein Staatsapparat allumfassender Begleiter im Alltag der Menschen dort. Der Name: "Sheriff" – das Unternehmen, das auch Namensgeber der Überraschungsmannschaft ist.

Im Juni 1993 von ehemaligen Polizisten aus der Sowjetunion als Sicherheitsfirma gegründet, ist Sheriff längst ein Großkonzern, zu dem eine Wohnungsbaugesellschaft gehört, eine Supermarktkette, ein TV-Sender, Banken, Casinos und vieles mehr. Allgegenwärtig: Der Sheriffstern als Firmenlogo. 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Transnistrien soll das Unternehmen erwirtschaften.

Folter, Verschleppungen, Bedrohungen

Dazu ist es auch in die Politik des Landes bestens vernetzt, man mag aber vielleicht auch sagen: Sheriff kontrolliert sie. Sozusagen der politische Arm des Unternehmens ist die Partei "Obnovlenie" ("Erneuerung"), 29 der 33 Sitze im transnistrischen Parlament werden von ihr besetzt. Präsident von Transnistrien ist seit 2016 der frühere Armee-Oberst Wadim Krasnoselski, zuvor Sicherheitschef von: Sheriff.

Mit Menschenrechten nimmt man es in Transnistrien dazu nicht so ganz genau: Willkürliche Verhaftungen, Folter, Verschleppungen, Bedrohungen – bereits seit mindestens 15 Jahren sind allerlei Verfehlungen bekannt, wurden in Berichten und Stellungnahmen der EU, des US-Außenministeriums und Nicht-Regierungsorganisationen bereits verurteilt.

Und eben da liegt jetzt auch die Sorge vieler Beobachter beim Blick auf den aktuellen Erfolg des FC Sheriff in der Champions League. "Es könnte auch eine Gelegenheit für Sheriff sein, sich von seiner besten, wohltätigen Seite zu zeigen, als Organisation, die den Sport fördert – gleichzeitig wird die ganze Politik und Wirtschaft von ihnen kontrolliert. Es gibt kaum Mitspracherecht.

Das versuchen sie dann natürlich durch Sportswashing zu verstecken", befürchtet Sabine von Löwis vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) im Interview mit der Deutschen Welle. "Sportswashing", das heißt so viel wie "Das Image über sportliche Erfolge aufpolieren".

Das Stadion hat 200 Millionen Dollar gekostet

Der FC Sheriff ist auch so ziemlich das Einzige, das Transnistrien noch mit Moldau verbindet. Der Klub, erst 1996 gegründet, seit 1998 erstklassig, ist in der ersten Liga von Moldau mittlerweile 19 Mal Meister geworden. Nur der FC Dacia Chișinău (2011) und der FC Milsami aus der Stadt Orhei (2015) kamen den "Wespen", wie die Spieler des FC Sheriff wegen der Vereinsfarben Gelb und Schwarz genannt werden, überraschend dazwischen.

Finanziell ist der Verein bestens versorgt. Er verfügt über ein sehr modernes Trainingsgelände und eine schicke, 200 Millionen Dollar teure Spielstätte, das 2002 eröffnete Sheriff-Stadion. Der Kader ist international. In der Startelf gegen Zagreb stand nur ein Spieler mit einem moldauischen Pass: Silva Henrique de Sousa Luvannor, ein 2013 eingebürgerter Brasilianer.

Auch er hätte den Sieg wohl "den Menschen in Moldau" gewidmet.

Verwendete Quellen
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