Viel kritisierte Entwicklung im Fußball "Alle haben es satt"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Immer aufgeblähtere Wettbewerbe, immer mehr Spiele: Die Kritik an der Entwicklung im Fußball wird lauter. Spieler und Trainer protestieren – und ein Experte warnt.
"Wir brauchen mal eine Pause. Wir haben einfach zu viele Spiele. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein reduzierter Spielplan unser Produkt und unsere Liga aufwerten würde."
Wenn Steve Kerr spricht, hört die Basketballwelt zu. Der 58-Jährige ist seit 2014 Trainer der Golden State Warriors in der NBA, gewann mit den Kaliforniern bisher vier Meisterschaften, dominierte jahrelang die Konkurrenz. Mit der US-Nationalelf holte er zudem bereits zwei olympische Goldmedaillen. Kerrs Wort hat Gewicht – und tatsächlich ist immer wieder im Gespräch, die kräftezehrende reguläre Saison der NBA zu verkürzen. Seit Jahrzehnten schon werden erst 82 Partien innerhalb von nicht einmal sechs Monaten gespielt, ehe es in die Play-offs geht, in denen zusätzlich noch einmal eine zweistellige Zahl an Spielen bewältigt werden muss.
Kerr ist nicht der einzige namhafte Kritiker des vollen Terminkalenders, auch zahlreiche Spieler unterstützen ihn. Das Bewusstsein für die eigene Gesundheit, den eigenen Körper, auch die Langlebigkeit der eigenen Karriere setzt sich immer weiter durch.
Und das nicht nur im Basketball. Auch im Weltsport Fußball nimmt die Diskussion um die gefühlt unaufhörlich steigende Belastung für die Spieler aktuell Fahrt auf. Mit einem Unterschied zur NBA: Während dort der Status quo angezweifelt wird, gilt es hier, eine rasante Entwicklung mindestens aufzuhalten, wenn nicht gar umzukehren. Zum Wohle von Spielern – und Spiel.
"Wenn das so weitergeht, denke ich wirklich, dann wird es einen Moment geben, wo wir keine andere Option haben", prophezeite Mittelfeldspieler Rodri von Manchester City kürzlich auf die Frage, ob es irgendwann zu einem Spielerstreik kommen könnte. "Wir werden sehen." Und weiter: Durch den neuen Champions-League-Modus, die nationalen Liga- und Pokalwettbewerbe und Länderspiele mit den Nationalmannschaften könnten Spieler "wohl auf 70 oder 80 Spiele kommen, das ist zu viel!".
Der 28-Jährige, der bei der EM im Sommer mit Spanien den Titel gewann und dabei zum Spieler des Turniers gewählt wurde, betonte: "40 bis 50 Spiele" seien das Maximum, bei mehr Partien "sinke das Niveau." Es sei einfach "nicht möglich, so viele Spiele auf höchstem Level" zu machen. Rodri selbst ist das beste Beispiel: Der Spielgestalter stand in der vergangenen Spielzeit 50-mal im Trikot von Manchester City auf dem Platz – in Champions League, Premier League, FA Cup, Community Shield (englischer Supercup, Anm. d. Red.), Uefa Super Cup und Klub-WM. EM-Qualifikation, Freundschaftsspiele und Europameisterschaft eingerechnet, waren es sogar 64 Spiele.
VDV-Chef: Schwere Folgen der hohen Belastung
Wenn er am aktuellen Fußball etwas ändern könnte, würde er "die Anzahl der Spiele bei den Nationalmannschaften reduzieren", sagte der langjährige Bundesligatrainer Winfried Schäfer vor der Saison zu t-online. "Die Gier der Verbände nach immer Geld sorgt für immer mehr aufgeblähte Wettbewerbe mit immer mehr Teilnehmern."
Eine Mitschuld macht auch Jürgen Klopp bei den zwei großen Verbänden aus: "Fifa und Uefa arbeiten auch nicht zusammen. Jeder sucht für sich den besten Schnitt zu machen. Das ist ein riesengroßes Problem", sagte Klopp erst im August beim internationalen Trainerkongress in Würzburg. Es gehe einzig "immer ums Geld."
Tatsächlich kann durch den neuen Modus in der mit Blick auf weitere TV-Vermarktungsoptionen von 32 auf 36 Klubs aufgestockten "Königsklasse" eine Mehrbelastung von bis zu vier zusätzlichen Spielen entstehen. Im Sommer 2025 wird zudem die Klub-Weltmeisterschaft in einem neuen Format ausgetragen: mit dann 32 Mannschaften, die in 64 Spielen um den Retortentitel spielen sollen.
Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballer (VDV), sagt auf Anfrage von t-online: "Als Spielergewerkschaft machen wir uns schon seit vielen Jahren für Verbesserungen im Gesundheitsschutz stark. Insbesondere die Ausweitung internationaler Wettbewerbe führt dazu, dass Profis im Spitzenbereich sehr viele Matches spielen und sehr viele Flugkilometer zurücklegen müssen." Die Gefahren seien groß und kaum kalkulierbar: "Durch diese hohe Belastung steigt das Risiko von Verletzungen und psychischen Erkrankungen. Dies kann in der Folge auch dazu führen, dass die Spieler ihre Karrieren frühzeitiger beenden müssen."
"Das muss man sich mal vorstellen"
Seit Jahren schon warnt auch Klopp vor der maßlosen Erhöhung der Spielzahl. "In England gibt es noch gar keine Lösung für den Fall, dass ein Klub alle Endspiele erreicht", sagte der 57-Jährige in Würzburg weiter. "Sollte eine Mannschaft alle Cup-Finals erreichen, wissen sie noch nicht, wie sie das regeln sollen. Sie hoffen, dass keiner so weit kommt. Das muss man sich mal vorstellen. Spieler werden komplett überbelastet." Das alles sei "völliger Wahnsinn".
Klopps langjähriger Torwart beim FC Liverpool, der Brasilianer Alisson Becker, stimmte zuletzt zu: "Vielleicht spielt unsere Meinung keine Rolle, aber jeder weiß, was wir davon halten, mehr Spiele zu haben: Alle haben es satt", erklärte Alisson vor dem Champions-League-Auftakt mit den "Reds". Müde und erschöpfte Spieler könnten "nicht auf hohem Niveau mithalten".
Gerade die Möglichkeiten zur Erholung zwischen den Spielen würden fehlen, was auch Folgen für das Leistungsvermögen der Spieler hat. Baranowsky plädiert für ein konsequentes Umdenken: "Unter dem Gesichtspunkt der Verletzungsprävention benötigen wir einen ausgewogenen Match-Kalender, der ausreichende Regenerationsphasen zulässt."
Rodris City-Teamkollege Manuel Akanji – 53 Partien 2023/24 – beklagte ebenfalls vor einigen Wochen: "Irgendwann wirst du zu müde sein, um noch mehr Spiele zu spielen. Und dann kommen definitiv Verletzungen. Wir trainieren so hart wie möglich und wir sind fit – aber es muss ein Limit geben." Der Schweizer dachte öffentlich über einen drastischen Schritt nach: "Vielleicht gehe ich mit 30 in Rente.“
"Weniger ist mehr"
"Profifußball ist kein Gesundheitssport. Die Verletzungszahlen sowie die medizinischen Folgekosten sind sehr hoch", merkt Baranowsky an. Die Spielergewerkschaft setze sich nun dafür ein, "dass der Gesundheitsschutz für bezahlte Mannschaftssportler zukünftig mittels einer speziellen Vorschrift gestärkt wird. Verletzungen sollen dadurch reduziert und Kosten gesenkt werden."
Baranowsky wird deutlich: "Verbände und Klubs haben eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber den Profis. Die Gesundheit der Spieler muss immer Vorrang vor ökonomischen Interessen haben." Die Devise müsse lauten: "Weniger ist mehr. Nur fitte und ausgeruhte Spieler können Topleistungen bringen."
Eine Gewissheit, die nun immer mehr auch im Fußball zum Thema wird. Steve Kerr wird es freuen.
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- Antworten von VDV-Geschäftsführer Ulf Baranowsky auf Anfrage von t-online
- eigene Recherche