t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeSportFußballFußball international

Spanien: Der Kampf des FC Sevilla gegen die Elite


"So weit oben nicht erwünscht"
Sevilla kämpft gegen die Verhältnisse in Spanien

Von t-online
Aktualisiert am 31.01.2017Lesedauer: 5 Min.
Sevilla-Profi Nico Pareja hadert mit den Schiedsrichterentscheidungen im Spiel gegen Espanyol.Vergrößern des BildesSevilla-Profi Nico Pareja hadert mit den Schiedsrichterentscheidungen im Spiel gegen Espanyol. (Quelle: ZUMA Press/imago-images-bilder)
Auf Facebook teilenAuf x.com teilenAuf Pinterest teilen
Auf WhatsApp teilen

Von Florian Haupt

Es sollte ein historischer Tag werden bei sonnigem Wetter in der Vorstadt von Barcelona. Durch einen Sieg bei Espanyol wollte der Tabellenzweite FC Sevilla die Tabellenführung der Primera División übernehmen - jedenfalls für ein paar Stunden. Doch der Traum währte nicht mal zwei Minuten.

Dann gab es ein Laufduell bis in den Strafraum der Gäste, einen Fall von Espanyol-Stürmer Piatti und eine strittige Entscheidung: Elfmeter - plus Rote Karte für Sevillas Verteidiger Pareja.

"Es scheint, als wäre Sevilla so weit oben nicht erwünscht", schimpfte Torwart Sergio Rico nach der folgenden 1:3-Niederlage. Mit ihm ist auch der FC Barcelona indigniert, dem am selben Tag während des 1:1 bei Betis erst ein Elfmeter verweigert wurde und dann ein Tor, bei dem der Ball um anderthalb Breiten die Linie überquerte.

Sarkastischer Glückwunsch an den Liga-Chef

Am Abend gewann Real Madrid dann 3:0 gegen San Sebastián und übervorteilte seine beiden Titelkonkurrenten plötzlich wieder um vier Punkte (plus noch ein Nachholspiel).

Wo Spanien sowieso leidenschaftlich gern über Schiedsrichterfehler und Verschwörungstheorien debattiert, wird es in den nächsten Tagen kaum ein anderes Thema geben. "Herzlichen Glückwunsch zur Meisterschaft an Javier Tebas (Liga-Chef und Real-Madrid-Fan, d. Red.), Sie haben es geschafft", formulierte ein Sevilla-naher Journalist sarkastisch auf der Internetseite der Sportzeitung "As".

Der spannendste Fußball der Primera División

Der FC Sevilla muss also erst mal noch warten. Aber so viel steht fest: Er wird sich nicht entmutigen lassen, er wird weiter "stören", wie Nationalspieler Vitolo sagt. Mit einem Fünftel der Etats der beiden Großklubs wird es nächstes Wochenende wieder versuchen, Real zu jagen und Barça ebenbürtig zu bleiben, also die Rolle zu spielen, die in den letzten Jahren Atlético Madrid ausfüllte.

Auch diese Saison stellt sich die spanische Meisterschaft wieder als Dreikampf da - mit der besonderen Note, dass der Außenseiter den spannendsten Fußball der Titelkandidaten spielt.

Fünf Europacup-Titel - chancenlos in der Liga

Sevilla hat eine unglaubliche Dekade hinter sich. Fünf Mal gewann der zuvor international zweitrangige Verein in dieser Zeitspanne den Uefa-Cup (seit 2010 Europa League). Um die Meisterschaft mitspielen konnte man während dieser Erfolgsära allerdings nur einmal, in der Saison 2006/2007.

Woche für Woche mit den beiden Granden nicht nur des spanischen Fußballs mitzuziehen, erfordert noch mal ein anderes Level. Umso bemerkenswerter, dass es Sevilla in einer Saison gelingt, vor der es nicht nur wie üblich zwei, drei seiner Stars verlor. Sondern mehr als den halben Kader und den Trainer gleich dazu.

City-Leihgabe Nasri schlägt voll ein

Sportdirektor Monchi Rodríguez hat sich darüber nicht beschwert. Der Architekt der großen Jahre weiß, dass sein Verein ein Verkaufsklub ist: einer, der so gut Spieler scoutet wie wohl kein anderer in Europa, aber nicht das Geld hat, um sie auch dann noch zu halten, wenn ganz Europa von ihrer Qualität erfahren hat. Sogar Inter Mailand, seit Jahren erfolglos, konnte im Sommer dem Spielmacher Éver Banega hinreichend mehr Gehalt bieten, um ihn von der schlechteren Perspektive zu überzeugen.

Monchi machte sich derweil wie immer an den Aufbau des neuen Teams. Als besonders gelungenes Geschäft hat sich inzwischen etwa die Ausleihe von Samir Nasri herausgestellt, dessen Karriere bei Manchester City seit Jahren stagnierte und der für den neuen Trainer Pep Guardiola dort keine wichtige Rolle mehr spielte. Die Schlüsselpersonalie war jedoch eine andere: der neue Trainer, Jorge Sampaoli.

Coach Sampaoli, der Untypische

Ein Geheimnis war der natürlich nicht, immerhin belegte er 2015 sogar Platz drei bei der Wahl zum Welttrainer des Jahres, nachdem er die chilenische Nationalelf zur ersten Südamerikameisterschaft ihrer Geschichte geführt hatte. Mut erforderte sein Engagement trotzdem, denn Sampaoli hatte noch nie in Europa trainiert, ja nicht mal in der ersten Liga seiner Heimat Argentinien. Seine größten Erfolge feierte er auch auf Klubebene im kleineren Nachbarland, bei Universidad de Chile.

Und so traf der 56-Jährige anfangs in Sevilla auf eine gewisse Skepsis unter den Anhängern. Sie wurde durch ein Auftreten weiter genährt, das man getrost als ungewohnt bezeichnen kann. An der Seitenlinie trägt Sampaoli konsequent Trainingsanzug, sehr untypisch in Spaniens erster Liga. Den Interviews danach stellt er sich bevorzugt mit dicker Intellektuellen-Hornbrille, auch nicht gerade Standard unter den Kollegen. Dann doziert er mit typisch argentinischer Rhetorik über den Fußball, irgendwo zwischen poetisch und akademisch.

Er gleicht darin dem Landsmann, den er wie viele argentinische Trainer als sein Vorbild bezeichnet: Marcelo Bielsa. Von "El Loco" - dem "Verrückten" -, seinem Vorvorgänger bei Chiles Nationalelf, hat er außerdem sein Faible für ein 3-3-1-3-System sowie für einen intensiven, offensiven Fußball, der immer das Ziel hat, zu agieren und zu dominieren: auch gegen vermeintlich stärkere Gegner.

Co-Trainer Lillo: laut Guardiola einflussreich wie Cruyff

Um seine Ideen in der schweren Primera División umsetzen zu können, brauchte er allerdings Unterstützung - das ahnte Sampaoli, und diese Demut führte ihn zur Verpflichtung von Juanma Lillo als Assistenzcoach. Lillo ist nicht irgendwer im spanischen Fußball-Kosmos: Guardiola bezeichnet den Basken, der schon mit 29 bei UD Salamanca in der ersten Liga trainierte, als größten Einflussgeber neben Johan Cruyff. Guardiola ließ sogar seine Spielerkarriere bei Sinaloa in Mexiko ausklingen, nur weil dort Lillo trainierte - und er unbedingt einmal unter ihm arbeiten wollte.

Lillo ergänzte Sampaolis Inventar um Positions- und Ballbesitzfußball, wodurch Sevilla so variabel auftritt wie kaum ein anderes Team der Liga. Selbst zu zehnt bei Espanyol diktierte es lange das Geschehen und kam nach einem Angriff, bei dem der Ball wie im Rugby von Spieler zu Spieler wechselte, durch Winterneuzugang Stevan Jovetic zum Ausgleich. Doch vom zweiten Nackenschlag, Espanyols 2:1 just mit dem Halbzeitpfiff, konnte sich die Elf um den seit Wochen überragenden Mittelfeldmann Steven N’Zonzi nicht mehr erholen - so sehr Sampaoli auch von der Seitenlinie einpeitschte und die Spieler persönlich in den Zweikampf zu schieben schien.

Außenseitergeschichte

Der Starkstrom ist bei Sampaoli unverhandelbar, und auch das hat einen klaren persönlichen Bezug: Er ist ein echter Rocker. Seine muskulösen Oberarme sind voll mit Tattoos von Motiven und Liedzeilen seiner Lieblingsband Callejeros. In Sätzen wie "Ich höre nicht zu, und mache weiter" findet er seine eigene Außenseitergeschichte von einem lange unterschätzten Trainer wieder. Und die passt wiederum vorzüglich zu seinem jetzigen Klub, der ja auch als Außenseiter Karriere macht.

Rückschläge gehören da natürlich dazu, und wenn es sie gibt, dann erkennt Sampaoli sie auch an. Barcelona verließ er am Sonntag traurig: "Bei uns ist viel Frust. Es wäre eine immense Freude gewesen, an der Spitze des Championats zu stehen."

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website