Union-Star Kevin Behrens im DFB-Kader: Mit 32 Nationalspieler

Drei neue Spieler hat Julian Nagelsmann in seinen DFB-Kader für die USA-Reise berufen. Einer von ihnen spielt erst seit 2021 Bundesliga und darf nun von der EM träumen.

Die Trophäensammlungen der Stars der deutschen Nationalmannschaft sind ohne Zweifel ein Beleg ihrer fußballerischen Qualität. Joshua Kimmich zum Beispiel ist bereits achtmal deutscher Meister geworden, gewann zudem dreimal den DFB-Pokal und jeweils einmal die Champions League, die Fifa-Klub-Weltmeisterschaft sowie den Confederations Cup. In Mats Hummels Vita stehen sechs Bundesligatitel, drei Pokalsiege und der Gewinn der WM 2014. Torwart Marc-André ter Stegen sicherte sich mit dem FC Barcelona unter anderem fünf Meisterschaften in Spanien und holte 2015 die Trophäe in der Königsklasse.

Kevin Behrens hat auch schon ein paar Pokale gewonnen. 2011 holte er seinen ersten Titel. Damals wurde der Stürmer mit dem SV Werder Meister in der Bremen-Liga. Wohlgemerkt nicht mit der ersten Mannschaft der Norddeutschen, auch nicht mit der zweiten, sondern mit der dritten.

Es folgten der Sieg im Landespokal Niederrhein mit Rot-Weiss Essen 2016, der Gewinn des Landespokals Saarland mit dem 1. FC Saarbrücken 2017 sowie die Meisterschaft mit demselben Klub ein Jahr später in der Regionalliga Südwest. Titel hat Kevin Behrens also schon, wirklich bedeutende Trophäen waren aber bis jetzt nicht dabei.

Das könnte sich aber im kommenden Jahr ändern. Dann steht in Deutschland die Europameisterschaft an, bei der die DFB-Auswahl um den Titel mitspielen möchte. Und Kevin Behrens darf sich plötzlich berechtigte Hoffnungen machen, im deutschen Kader für die Heim-EM zu stehen.

Mit 32 Jahren hat ihn der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann das erste Mal für die A-Nationalmannschaft berufen. Er sei "ein bisschen geschockt und sehr überrascht" gewesen, als der neue DFB-Coach sich bei ihm meldete, sagte Behrens jetzt auf der US-Reise der deutschen Elf, bei der er auf sein Debüt für die Auswahl hofft. Er wolle nun einfach "Fußball spielen, mein Bestes geben und zeigen, dass man es verdient hat, hier zu sein". Dass es bei Behrens überhaupt einmal zu einem DFB-Einsatz kommen könnte, war noch vor etwas mehr als zwei Jahren nicht wirklich abzusehen.

Die ganze Karriere unterklassig und plötzlich in Madrid

Denn im Sommer 2021 war der bullige Angreifer mit 30 Jahren überhaupt erst in der Bundesliga gelandet. Davor hatte er nur unterklassig gespielt. Werder Bremen III, SV Wilhelmshaven, Hannover 96 II, Alemannia Aachen, Rot-Weiss Essen und 1. FC Saarbrücken: So hießen die Stationen in der Karriere von Kevin Behrens, bis der 1. FC Union Berlin ihn nach drei Jahren und zwei überzeugenden Spielzeiten mit insgesamt 31 Toren beim SV Sandhausen in die Hauptstadt lotste.

"Jeder Fußballprofi träumt davon, irgendwann einmal in der Bundesliga spielen zu können, deshalb bin ich sehr glücklich, diesen Schritt jetzt tatsächlich zu gehen", sagte Behrens damals nach seiner Vertragsunterschrift. "Ich möchte mit meiner Leistung dazu beitragen, die tolle Entwicklung des Vereins der letzten Jahre auch in der neuen Saison fortzuführen."

Und das tat er, wenn auch zunächst nur als Ersatz. In seiner ersten Spielzeit bei Union kam er zwar auf 24 Einsätze, insgesamt aber nur auf 476 Minuten. Dabei schoss er lediglich zwei Tore. Doch Behrens übte sich in Geduld und wurde belohnt. In der vergangenen Saison erkämpfte er sich einen Stammplatz im Team von Urs Fischer, verpasste in der Liga nur ein einziges Spiel aufgrund einer Gelbsperre und hatte mit acht Treffern maßgeblichen Anteil daran, dass die Köpenicker erstmals in ihrer Vereinsgeschichte die Champions League erreichten.

Dort stand Behrens in dieser Spielzeit in beiden absolvierten Gruppenpartien in der Startelf. Zuletzt beim 2:3 gegen Braga, davor am 1. Spieltag gegen den Königsklassen-Rekordsieger Real Madrid. Der Mann, der noch vor zweieinhalb Jahren regelmäßig gegen Mannschaften wie Jahn Regensburg oder die Würzburger Kickers ranmusste, spielte auf einmal im altehrwürdigen Santiago Bernabeu. Ein später, aber rapider Aufstieg, den es so im deutschen Fußball wohl lange nicht gegeben haben dürfte.

Behrens als Alternative: im Zweifelsfall die Brechstange

Dass es Behrens nun auch noch in die deutsche Nationalmannschaft geschafft hat, dürfte aber vor allem mit seinem starken Saisonstart zu tun haben. Vier Treffer gelangen ihm in der Bundesliga in den ersten sieben Spielen. Allein drei davon erzielte er am ersten Spieltag beim 4:1-Erfolg von Union gegen Mainz 05. Bei allen Toren war er per Kopf zur Stelle.

Behrens verkörpert damit eine Qualität, die in der Offensive der Nationalmannschaft schon lange gesucht und aktuell sonst nur von BVB-Neuzugang Niclas Füllkrug abgedeckt wird. Er ist körperlich robust, durchsetzungsstark im Zweikampf und kann vor allem hohe Flankenbälle verarbeiten und verwerten: ein klassischer Stoßstürmer eben.

Gemeinsam mit Füllkrug ist Behrens damit der Gegenentwurf zur spielerischen Lösung, mit der das DFB-Team dank technisch versierter Akteure wie Leroy Sané, Florian Wirtz, Jamal Musiala oder Serge Gnabry im Normalfall zum Erfolg kommen will. Der Unioner wäre vom Typ her eher die Brechstange, wenn das Team zurückliegt und einen Abnehmer für Flanken in den Strafraum braucht.

Er wäre zugleich auch die Alternative zu Füllkrug, der sich seit seiner ersten DFB-Nominierung im Dezember 2022 zwar im DFB-Team etabliert hat, aber dennoch als verletzungsanfällig gilt. Mit Behrens hat Julian Nagelsmann also einen zweiten Offensivspieler der gleichen Bauart in petto. Der Stürmer selbst hat derweil bereits auf dem US-Trip die Chance, sein eigenes Fußballmärchen weiterzuschreiben und sich für weitere Berufungen zu empfehlen.

Behrens auf dem Fahrrad: "Wie bodenständig kann man sein?"

Auch menschlich bringt Behrens noch einmal eine andere Komponente mit ins DFB-Team. Denn trotz seines rasanten Aufstiegs in fußballerische Elitekreise hat der gebürtige Bremer die Bodenhaftung anscheinend nicht verloren.

Nach dem bereits erwähnten Hattrick gegen Mainz 05 veröffentlichte Union Berlin auf X (vormals Twitter) ein Bild des Stürmers, wie er nach dem erfolgreichen Spiel gemütlich mit dem Fahrrad nach Hause radelte. Wo andere Bundesligastars nach solchen Glanzleistungen mit einer ihrer Luxuskarossen nach Hause eilen, lässt es sich Behrens nicht nehmen, wie Otto Normalverbraucher auf dem Drahtesel durch die Hauptstadt zu radeln.

"Wie bodenständig kann man bitte sein?!", kommentierte ein Nutzer auf X den Beitrag. Ein weiterer schrieb "Einfach sympathisch". Für die Fans von Union Berlin wirkt Behrens somit nahbar. Er ist einer von ihnen, nicht abgehoben, sondern trotz all des Trubels ganz normal geblieben. Ein Gefühl, das auch der deutschen Nationalmannschaft hinsichtlich der EM guttun dürfte. Denn die Identifikation der eigenen Anhänger mit der DFB-Elf ist schon vor langer Zeit abhandengekommen. Mit Spielern wie Behrens könnte sie tatsächlich zurückkehren.

Auf der US-Reise stellte der DFB-Neuling seine Bodenständigkeit ebenfalls direkt unter Beweis, indem er den Medien gegenüber die Person hervorhob, die seinen Aufstieg zum Nationalspieler überhaupt erst möglich gemacht hatte: seine Frau. "Sie spielt eine sehr große Rolle, sie hat mir immer den Rücken gestärkt, auch in schweren Zeiten. Sie hat alles mitgemacht, von Wilhelmshaven bis jetzt", erklärte Behrens. "Meine Frau ist die größte Unterstützung."

Der Stürmer selbst hätte noch vor wenigen Wochen nicht wirklich gedacht, dass er einmal für die deutsche Nationalmannschaft auflaufen dürfte. "Ich sage mal so: Mit 25 wäre meine Chance auf jeden Fall höher", sagte Behrens in einem Interview mit der "Bild" im August kurz vor dem Saisonstart in der Bundesliga. Grundsätzlich mag das stimmen, doch letztendlich hat er sich selbst widerlegt.