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Ex-BVB-Star Neven Subotic: "Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren"


Neven Subotic
"Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren"

  • Dominik Sliskovic
InterviewVon Dominik Sliskovic

Aktualisiert am 12.05.2020Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Neven Subotic: Der Profi von Union Berlin fordert mehr soziale Verantwortung von Fußballern.Vergrößern des Bildes
Neven Subotic: Der Profi von Union Berlin fordert mehr soziale Verantwortung von Fußballern. (Quelle: Bernd König/imago-images-bilder)

Neven Subotic wird schon bald wieder in der Bundesliga auf dem Platz stehen – trotz Corona-Krise. Im Interview mit t-online.de wünscht er sich mehr Verantwortung von Fußballern und Hilfe für Afrika.

Am 16. Mai nimmt die Bundesliga ihren Spielbetrieb nach der wochenlangen Corona-Zwangspause auf. Neven Subotic und Union Berlin empfangen direkt im ersten Geisterspiel Rekordmeister Bayern München. Doch was denken Spieler wie der zweifache Deutsche Meister eigentlich über die politische Entscheidung?

Subotic macht sich auch Sorgen. Und zwar um den afrikanischen Kontinent. Seit Jahren baut er mit seiner Neven Subotic Stiftung in Nordäthiopien Brunnen, um Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen. Im Interview mit t-online.de blickt der 31-Jährige differenziert auf die anstehende Rückkehr in den sportlichen Alltag und sieht in der aktuellen Situation viele Chancen für den Profifußball, aber auch für die weltweite Entwicklungszusammenarbeit.

t-online.de: Herr Subotic, mitten in der Corona-Krise soll die Bundesliga-Saison wieder aufgenommen werden. Ihr Kölner Kollege Birger Verstraete hat Bedenken formuliert und eine anonyme Abstimmung unter den Profis über die Zukunft der Liga vorgeschlagen. Was halten Sie davon?

Neven Subotic: Ich kann für mich nicht recht entscheiden, ob es nun der richtige Moment wäre oder nicht. Ich bin wie jeder andere Arbeitnehmer auch darauf angewiesen, dass die obersten Instanzen, sei es das Gesundheitsministerium oder das Arbeitsministerium, grünes Licht geben, dass die Richtlinien und Maßnahmen greifen und unsere Gesundheit sichergestellt ist. Da geht es uns Fußballern genauso wie anderen Industrien oder Organisationen, die auf die Wiederaufnahme der Arbeitsfähigkeit warten. Im Gegensatz zu anderen Arbeitnehmern befinde ich mich jedoch in einer Luxussituation. Nichtsdestotrotz halte ich mich eigenverantwortlich knallhart an die Hygiene- und Schutzregelungen: Ich habe keinen Kontakt zu anderen Menschen, ich wasche mir die Hände gründlich und regelmäßig, ich halte Abstand, ich trage eine Schutzmaske.

Verstraete macht sich Sorgen, weil seine Freundin zur Corona-Risikogruppe gehört. Daher wünscht er sich Mitspracherecht – erhielt jedoch stattdessen einen offensichtlichen Maulkorb vom Verein. Sagen Sie: "Ich werde alles dafür tun, gemeinsam mit meinem Verein Union Berlin die Schutzmaßnahmen einzuhalten, um meinen Job wieder antreten zu können"?

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein Menschenrecht. Jeder Mensch darf und soll selbst darüber entscheiden, ob die Maßnahmen für ihn gesundheitlich vertretbar sind. Es bedarf einer ständigen Prüfung und wir bei Union Berlin werden diesbezüglich mit allen Verantwortlichen dauerhaft im Gespräch sein.

In einem Videobeitrag von DAZN sagten Sie, es sei komisch, vor leeren Tribünen ein Tor zu schießen. Das erinnere Sie an Kreisliga A. Inwiefern kann diese neue – hoffentlich nur vorübergehende – Normalität dabei helfen, den Profifußball zu erden?

Im Fußballgeschäft ist so viel Geld im Umlauf, dass ich nicht glaube, dass die Corona-Krise ihm einen allzu großen Schlag versetzen wird. In den kommenden Monaten und gegebenenfalls im nächsten Jahr werden die Bundesligisten gemäßigter wirtschaften, aber es wird sich leider nichts fundamental ändern. Da müssen wir uns keine Illusionen machen.

Joshua Kimmich und Leon Goretzka haben die Spendeninitiative "We Kick Corona" ins Leben gerufen und mithilfe ihrer Kontakte Dutzende Sportgrößen zu beträchtlichen Spenden animiert. Was denken Sie über die Aktion?

Ich dachte: Super! Und wissen Sie, warum? Weil es nicht um Fußball geht. Es geht bei ihrer Initiative nicht darum, dass sie auf einen Teil ihres Gehalts verzichten, dass es ihrem Wirtschaftsunternehmen, ihrem Klub ein bisschen besser geht. Es geht ihnen wirklich darum, die Gesundheit der Gesellschaft zu wahren. Und das ist das allerwichtigste Ziel momentan. Jegliche wirtschaftlichen Aspekte sollten sich dahinter anstellen. Dafür wird der Staat schon an den richtigen Stellen Milliardenbeiträge hineinpumpen.

Ich hoffe, dass "We Kick Corona" nicht das Ende des Liedes sein wird, sondern Kimmich, Goretzka und ihre Partner auch nach dieser Krise weiter ihre gemeinnützige Hilfe anbieten werden. Auch dann, wenn Deutschland nicht von einer Pandemie betroffen ist.

Sie hoffen also, dass durch diese Initiative ein Paradigmenwechsel im Denken junger Fußballprofis entsteht.

Eine Spende ist eine konkrete Maßnahme, ihre Aussage wird jedoch negiert, wenn man in den anderen Bereichen seines Lebens nicht sozial und solidarisch agiert. "We Kick Corona" kann ein Startschuss zu einem sich anbahnenden Paradigmenwechsel sein, aber es müssen weitere konkrete Maßnahmen folgen. Vom Geldsammeln allein ändert sich nichts ins Positive. Man muss die anvertrauten Spenden effektiv einsetzen, sodass etwas Wirkungsvolles daraus entstehen kann.

Ist das eine Sache, die dem Profifußball abhandengekommen ist: soziales Bewusstsein?

Fußball ist mittlerweile ein Geschäft, eine Industrie. Er wird von wirtschaftlichen Faktoren getrieben. Und die haben Priorität, wie wir in der aktuellen Situation sehen. In der öffentlichen Diskussion um die Bundesliga geht es zentral um diesen Aspekt: "Wann geht es wieder los? Die Klubs brauchen das Geld." Und das, obwohl sehr gut aufgedeckt wurde, dass es zunächst einmal eine gesundheitliche Problematik ist. Ich bin der Erste, der sagt: "Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren", sollte nachgewiesen werden, dass es Krankenhäusern an Testkits fehlt, wenn wir Spieler mehrmals wöchentlich auf das Coronavirus getestet werden. Ich wünsche mir, dass mehr Fußballer ihr Verhalten hinterfragen und sich ihrer Rolle in der Zivilgesellschaft bewusst werden.

Ich sehe jedoch keine nachhaltigen Konzepte, die Fußballer in diese Richtung entwickeln könnten. Die Klubs haben kein Interesse daran. Bislang fehlte ein breiter gesellschaftlicher Druck, um daran wirklich etwas zu verändern und die bisherigen Aktivitäten zu hinterfragen. Ich habe aus vielen persönlichen Gesprächen aber das Gefühl, dass auch immer mehr Fans sich eine viel stärkere, wirkungsvollere Verantwortungsübernahme wünschen. Wir haben eine so wichtige Vorbildfunktion. Ich wünsche mir, dass wir diese auch gemeinsam viel stärker und ehrlicher wahrnehmen.

Ihre Aussagen ähneln denen von Amin Younes, der im t-online.de-Interview sagte, dass Fußballer absichtlich "dumm gehalten werden".

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Fußballer müssen merken, dass sie ihr eigener Mensch sind. Das klingt simpel, ist es für viele von ihnen jedoch nicht, weil sie seit ihrem zehnten Lebensjahr darauf getrimmt werden, Profifußballer zu sein. Sie können und kennen nichts anderes. Eine soziale Charakterentwicklung hin zum Nutzen für das Gemeinwohl benötigt die Initiative eines jeden selbst. Der jährliche Pflichttermin im Krankenhaus reicht nicht aus, um den Blick der Spieler zu schärfen. Im Profifußball schlummert so viel ungenutztes Potenzial – und da gehört es nicht nur zur Pflicht der Klubs, sondern der gesamten Gesellschaft, es ihm zu entlocken.

Neven Subotic, geboren 1988 im bosnischen Banja Luka, wurde Profi bei Mainz 05. Mit Borussia Dortmund wurde der frühere serbische Nationalspieler 2011 und 2012 Deutscher Meister. Ebenfalls 2012 gründete Subotic, der als Kind als Kriegsflüchtling in Deutschland und den USA aufwuchs, die Neven Subotic Stiftung. Die Stiftung finanziert und organisiert Brunnenbau-Projekte in Nordäthiopien und ermöglicht so immer mehr Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Dieses Potenzial könnte sich in der aktuellen Corona-Krise hervorragend nutzen lassen. Was haben die Bilder aus Norditalien in Ihnen ausgelöst?

Eine extreme Trauer. Zu sehen, dass ein technologisch und ökonomisch so fortschrittliches Land wie Italien so stark vom Coronavirus getroffen wurde, hat mir die Augen geöffnet. Dieses Ausmaß – dass an einem Tag über 1.000 Menschen an den Folgen der Pandemie sterben – ist für mich bis heute unfassbar. Es hat in mir die Frage aufkommen lassen, welche Folgen diese Krise erst in Regionen haben könnte, die nicht eine mit Italien vergleichbare Infrastruktur haben.

Eine dieser Regionen könnte Nordäthiopien sein, wo Sie mit Ihrer Stiftung Brunnen bauen. Inwieweit ist die konkrete Arbeit vor Ort zum Erliegen gekommen?

Die praktische Arbeit unserer Stiftung und Partner hat eher zugenommen. Wir reden von einem Virus, vor dem man sich mit guter Hygiene schützen kann – und das ist nur möglich, wenn auch die Menschen in den ländlichen Regionen Zugang zu sauberem Wasser haben. Die Regierung unterstützt uns, indem sie uns Bescheide ausgestellt hat, dass wir die nötigen Brunnenarbeiten auch im aktuellen Ausnahmezustand weiter durchführen dürfen.

Was erhalten Sie für Rückmeldungen bezüglich der Corona-Ausbreitung in Äthiopien?

Wir sind in einem regelmäßigen Austausch mit unseren Partnern vor Ort und holen uns Updates über die Infektionslage ein. Derzeit liegen wir in Äthiopien bei rund 140 bestätigten Corona-Fällen. Sie sehen an der Zahl: Die große Welle ist dem Land bisher erspart geblieben. Und wir hoffen, dass es auch so bleibt. Das Problem ist jedoch, dass momentan alle Staaten versuchen, auf dem Weltmarkt zuzuschlagen und ihre Vorräte an Tests und Beatmungsgeräten zu erhöhen. Da müssen sich finanzschwächere Länder wie Äthiopien leider hinten anstellen. Um die Problematik zu verdeutlichen: Äthiopien verfügt nach eigenen Schätzungen über gerade einmal 150 Intensivbetten – für eine Bevölkerung von über 105 Millionen Menschen. Das zeigt deutlich, wie diese globale Krise die Ungerechtigkeit in der Welt verschärft.

Wie steht es um die Lebensmittelvorräte in Äthiopien? Könnte aus der Corona-Krise eine Hungerkrise entstehen?

Es gibt bereits eine akute Nahrungskrise in Äthiopien. Gut sechs Millionen Menschen sind aufgrund von Dürren und Heuschreckenplagen auf Hilfe angewiesen. Es wäre auch ohne die Corona-Krise ein schwieriges Jahr für Äthiopien. Das Land benötigt internationale Zusammenarbeit – und die bricht aufgrund der Pandemie immer mehr weg. Eingeplante Gelder und Nahrungsmittel werden von Staaten wie den USA infrage gestellt oder gänzlich gestrichen. Wir sehen, dass aktuell alle Länder der Welt um begrenzte Ressourcen buhlen. Die, die ohnehin schon proportional viel haben, bekommen jedoch noch mehr. Währenddessen laufen die, die fast nichts haben, Gefahr, noch weniger zu haben. Damit wird das ganze Konzept der Entwicklungszusammenarbeit, dass wir Krisen wie diese kollektiv lösen, infrage gestellt.

Der Grünen-Politiker Boris Palmer polarisierte kürzlich mit Aussagen, man rette mit dem rigiden Lockdown Menschen, die ohnehin in einigen Monaten aufgrund ihres Alters oder ihrer Vorerkrankungen sterben würden. Stattdessen solle die Wirtschaft wieder angekurbelt werden, um so die Kindersterblichkeit in Afrika einzudämmen. Wie beurteilen Sie diese Argumentation?

Man kann sich beliebige Dinge aussuchen und sagen: "Wenn das passiert, hilft das jenen." Aber oft, wie in diesem Fall, sind die Lösungen kurzsichtig. Ich weiß nicht, aus welchen Altersgruppen Herrn Palmers Wählerschaft besteht, aber es sollte doch klar sein, dass er als Politiker für alle seine Mitbürger verantwortlich ist. Eine solch einfache Lösung für ein globales Problem in den Raum zu stellen, ist ethisch nicht vertretbar. Die Rechnung geht nicht so einfach auf, wie er sich das vorstellt.

Äthiopien zahlt für Entwicklungshilfen höhere Zinsen als jedes europäische Land auf seine aufgenommenen Schulden. Äthiopien nimmt jedes Jahr mehr Schulden auf, als es in sein Gesundheitssystem investieren kann. Wenn es eine einfache Rechnung gibt, dann ist es ein Schuldenerlass für Staaten wie Äthiopien. Das würde ihnen mehr Autonomie und Möglichkeiten auf dem Weltmarkt geben sowie ihr Gesundheitssystem fundamental stärken.

Die viel beschworene Solidarität geht aktuell nur selten über die eigene geografische Region und soziale Klasse hinaus. Wie können wir ermöglichen, dass sie jedoch global wirkt?

Der Begriff Solidarität ist so verwässert, dass er gar nichts bedeutet. Die kommenden Wochen und Monate werden entscheidend sein, ob sich daran etwas ändert, ob er an Kontur gewinnt. Momentan sehe ich jedoch keine positiven Anzeichen für einen solchen Wandel. Allein in Europa gab und gibt es riesige Abstimmungsprobleme, und es wirkt auf mich so, als scheitere die Idee eines offenen und einigen Kontinents in der Praxis immer wieder an nationalen Alleingängen. So auch aktuell und ich frage mich: Wo bleibt da der europäische Gedanke? Wenn die Krise überstanden ist, ist es zu spät, sich solidarisch zu zeigen.

100% WASH – das ist das Motto der Neven Subotic Stiftung: Zugang zu sauberem Wasser, Sanitäranlagen und Hygiene (kurz: WASH) ist nicht nur die Grundlage für ein gesundes, sondern auch für ein selbstbestimmtes Leben. Deshalb baut die Stiftung Brunnen und Sanitäranlagen für die Menschen in der Tigray-Region im Norden Äthiopiens. Dies hat auch einen direkten positiven Effekt auf das Bildungswesen: Kinder besuchen den Schulunterricht, anstatt kilometerweit Wasser von entlegenen Wasserstellen zu transportieren. Wie sichergestellt wird, dass auch wirklich hundert Prozent der Spenden vor Ort in die Projekte fließen, und wie Sie dabei helfen können, erfahren Sie auf der Website der Neven Subotic Stiftung.

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