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Revolution im Skispringen? Dieses System soll die Diskussionen beenden


Haltungsnoten im Skispringen
Dieses System soll die Diskussionen beenden

  • Melanie Muschong
Von Melanie Muschong

Aktualisiert am 13.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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Karl Geiger in Klingenthal: Der DSV-Adler legte eine Telemark-Landung hin.Vergrößern des Bildes
Karl Geiger in Klingenthal: Der DSV-Adler legte eine Telemark-Landung hin. (Quelle: opokupix/imago-images-bilder)

Nichts wird im Skispringen so intensiv diskutiert wie die Haltungsnoten. Während der Fan am Fernseher nah dran ist, sitzt die Jury weit weg. Das hat sich dank einer Technik geändert. Doch bringt die auch was?

In einem Turm sitzen und eine Entscheidung über eine Szene treffen, die ganz weit entfernt ist? Genau das mussten Kampfrichter beim Skispringen jahrelang machen. Sie hatten nur diesen einen Moment. Diesen einen Blickwinkel. Diesen einen kurzen Eindruck.

Und genau das war das Problem. Denn während die Fernseh-Zuschauer die Landung eines Skispringers scharf herangezoomt in Topauflösung sehen konnten, musste die Jury ganz genau hinsehen. Was folgte? Endlose Diskussionen über Haltungsnoten bei der Landung. Oftmals verärgerte Springer und ein internationaler Skiverband (FIS), der handeln musste.

Monitor in den Richterkabinen

Und genau das ist vor Kurzem geschehen. Nun gibt es den Videobeweis im Skispringen. Dazu stehen den Kampfrichtern TV-Bilder zur Verfügung. Die Landung kann so in Ruhe noch einmal angesehen werden. Doch bringt das neue System wirklich etwas und wie steht die Skisprungszene dazu? t-online hat bei Experten, aktuellen und ehemaligen Springern nachgefragt.

"Den Sprungrichtern und Sprungrichterinnen steht zur Punktebewertung ein Tablet mit einer Videoperspektive der internationalen TV-Aufnahmen zur Verfügung", erklärt Hannes Boose t-online. Er wurde 2017 durch den internationalen Skiverband offiziell als Skisprungkampfrichter berufen, ist seitdem im Einsatz. Die Neuerung kommt ihm zugute.

Wie genau dieses System aussieht, erklärt FIS-Skisprungleiter Sandro Pertile t-online: "Seit Engelberg haben wir in den Richterkabinen einen Monitor, der dann zusätzlich eine Videoschleife mit dem Ablauf der Landung liefert. Bis Garmisch-Partenkirchen haben wir eine Seitenansicht verwendet. Seit Bischofshofen haben wir eine Frontansicht bereitgestellt, die den Richtern besser helfen sollte."

Weißflog: "Technischen Weiterentwicklungen nicht verschließen"

Denn nicht selten fühlen sich Springer und Teams durch Haltungsnoten benachteiligt. So zuletzt beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen geschehen. Markus Eisenbichler landete hinter Ryoyu Kobayashi mit nur 0,2 Punkten Rückstand auf Platz zwei. Laut den Verantwortlichen aus Norwegen lag dieser knappe Rückstand vor allem an den Kampfrichtern, die den Deutschen angeblich bevorzugt haben sollen. Obwohl Eisenbichler sowohl in der Luft als auch bei der Landung wackelte, erhielt er Bestnoten.

Der norwegische Sportchef Clas Brede Brathen sagte im "Dagbladet" danach: "Ich habe mit den Verantwortlichen gesprochen und ihnen gesagt, dass ich mir über mögliche Konsequenzen dieser Wertung ernste Sorgen mache." Doch seit genau diesem Springen haben die Wertungsrichter nun die TV-Frontansicht zur Verfügung.

Es ist eine Einführung, die im digitalen Zeitalter längst überfällig war. Das erklärt auch Jens Weißflog, der erfolgreichste deutsche Skispringer, bei t-online. Er hat mit Olympia, der Vierschanzentournee, der Weltmeisterschaft und dem Gesamtweltcup die vier wichtigsten Konkurrenzen der Sportart gewonnen. "Grundsätzlich sollte man sich auch im Skispringen technischen Weiterentwicklungen nicht verschließen. Trotzdem sehe ich nicht immer die nur einfache Einordnung einer Sache, wie die virtuell gezogene Linie beim Fußballvideobeweis zur Abklärung der Abseitsposition."

Schmitt: "Dient der Fairness und dem Sport"

Durch die weit entfernte Sichtweite konnten die Kampfrichter oft gar nicht erkennen, ob es sich um eine Telemarklandung gehandelt hat oder nicht. Auch weil die Springer mit verschiedenen Beinstellungen landen. "Also entweder linkes oder rechtes Bein vorn beim Telemark. So erscheint manche Landung eben als Telemarklandung und manche – von der vermeintlich falschen Seite betrachtet – als weniger gute oder keine Telemarklandung. Ein Videobeweis, der die Landung von vorne filmt, trägt dann zum Aufschluss bei. Somit ist es eine Hilfestellung", ergänzt Weißflog.

Das sieht neben dem dreifachen Olympiasieger auch Skisprung-Ikone und Eurosport-Experte Martin Schmitt im Gespräch mit t-online so: "Es ist vernünftig, dass die Kampfrichter nachschauen können, ob es ein Telemark war oder nicht. Es sollte heute keine Frage mehr sein, dass man auch auf technische Hilfsmittel zurückgreift."

Kein Vetorecht der Springer

Beim Skisprung-"Videobeweis" gibt es nicht die Möglichkeit, dass Springer ein Veto einlegen können, damit sich der Kampfrichter die Ansicht noch einmal ansieht. "Natürlich hat man nicht die Zeit, nach jedem Springer noch fünf Minuten Wiederholungen anzugucken, aber ich glaube, die Hilfe für die Wertungsrichter ist sinnvoll und dient der Fairness und dem Sport", ergänzt Schmitt.

Severin Freund, Olympiasieger im Team 2014 und Skiflug-Weltmeister 2014, macht dies mit einer selbst erlebten Anekdote deutlich. t-online erzählt er: "Die Schanzen heutzutage werden nicht kleiner und damit werden auch die Entfernungen nicht kleiner. Als ich wegen meines Kreuzbandrisses in Planica zugeschaut habe, da stand ich selbst im Hang und dort wird es schon relativ witzig. Ich behaupte von mir, dass ich schon ein relativ gutes Auge habe, aber da zu erkennen, ob jemand einen sauberen Telemark gemacht hat oder nicht, ist Glückssache. In einem Sport, wo 0,5 Punkte zwischen Bronze und Silber entscheiden, haben die Noten einen hohen Wert."

"Sprung, der flüssig ausschaut, kann Asymmetrie vom Ski haben"

Allerdings glaubt Schmitt nicht an ein Ende der Diskussionen um die Haltungsnoten. Schmitt erklärt: "Überall, wo Wertungsrichter aktiv sind, wo Haltungsnoten entscheidend sind, gibt es Diskussionen. Es gibt gewisse Vorgaben. Bei uns ist es ein Abzugssystem, also wie viele Punkte für welche Fehler abgezogen werden. Und das kann man unterschiedlich interpretieren. Ein Sprung, der ganz flüssig ausschaut, kann eine Asymmetrie vom Ski haben oder einen Arm, der weg vom Körper ist. Man zieht überall einen halben Punkt ab. Dann bin ich bei den drei Punkten Flug, Landung, Ausfahrt bei 18,5 Punkten. Wenn bei einem fast perfekten Sprung überall ein halber Punkt fehlt, versteht vielleicht jemand die Welt nicht mehr, weil er denkt, das war ein super Sprung."

Im Skispringen beträgt die höchste Haltungsnote 20 Punkte. Die Haltungsnoten werden von fünf Punktrichtern vergeben. Die höchste und die niedrigste Note werden gestrichen.

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Bei dem neuen Videobeweis im Skispringen gibt es einen Unterschied zum Fußball. So sagt auch Punktrichter Boose: "Die Bewertung ist nach wie vor eine Tatsachenentscheidung, die im Nachhinein nicht veränderbar ist – im Gegensatz zum Videobeweis, wie er beispielsweise im Fußball umgesetzt wird." Und das wiederum beschäftigt die Skisprung-Szene, wie zuletzt im Fall Eisenbichler geschehen.

"Wollen keine Roboter im Richterturm"

Eine Studie von zwei Forschern der Universität Tübingen – Tim Pawlowski und Felix Otto – sowie Axel Krumer von der Universität Molde beschäftigt sich mit den Haltungsnoten im Skispringen. Die im März 2021 erschienene Studie wertete Jurynoten von der Saison 2010/11 bis zur Sprungzeit 2016/17 aus. Das Ergebnis: Richter wiesen ihren Landsleuten deutliche höhere Punktzahlen zu.

Jens Weißflog glaubt, dass die Haltungsnoten-Diskussionen nicht enden werden, "da der Gesamteindruck als subjektive Wertung erhalten bleibt. Wiederum ist die Streichung der höchsten und niedrigsten Wertung nach wie vor ein relativ gesundes Mittel, was in die Wertung einfließt." Pyeongchang-Olympiasieger Andreas Wellinger merkt gegenüber t-online anhand eines Vergleiches an: "Die Diskussionen halten unsere Sportart interessant. Was wäre der Fußball ohne die Diskussionen über Foul, Elfmeter und Abseits – trotz Videobeweis."

Das gibt auch Rennleiter Pertile zu, der zudem ergänzt: "Wir wollen keine Roboter oder Maschinen in unserem Richterturm, sondern Menschen, die versuchen, die Leistung unserer Athleten zu verstehen."

Verwendete Quellen
  • Eigener Kontakt zu Sandro Pertile
  • Eigener Kontakt zu Andreas Wellinger
  • Eigenes Interview mit Martin Schmitt
  • Eigenes Interview mit Severin Freund
  • Eigener Kontakt zu Hannes Boose
  • Eigener Kontakt zu Jens Weißflog
  • uni-tuebingen.de: Internationale Presse berichtet über Studie zum Skispringen
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