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Literatur - Porträt eines Provokateurs: Michel Houellebecq


Literatur
Porträt eines Provokateurs: Michel Houellebecq

Von dpa
02.01.2018Lesedauer: 3 Min.
Der französische Autor Michel Houellebecq 2017 zu Gast in Frankfurt.Vergrößern des BildesDer französische Autor Michel Houellebecq 2017 zu Gast in Frankfurt. (Quelle: Boris Roessler./dpa)
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Berlin (dpa) - Vor gut 20 Jahren mischte ein schmächtiger, unscheinbarer, kettenrauchender Mann mit unaussprechlichem Namen den Literaturbetrieb auf.

"Am Anfang war Michel Houellebecq nur ein Gerücht, das aus Paris kam, ein Name, den man weitersagte und der außerhalb Frankreichs vor allem deshalb auffiel, weil kaum einer ihn richtig aussprechen konnte. Der Name kursierte in den vielfältigsten Varianten: "Ullebeck", "Huellebek", "Üllbäh" oder "Uällbeck"? Wie hieß der Mann richtig? Und wer war er, dieser Michel Houellebecq?" Es ist lange her, dass man sich diese Frage stellen musste.

Heute ist Michel Houellebecq der bekannteste Schriftsteller Frankreichs, für die einen ein Skandalautor, ein Reaktionär und Islamfeind, für die anderen ein Visionär mit untrüglichem Gespür für die Erschütterungen und Malaisen unserer Zeit. Seine Bücher ("Unterwerfung") jedenfalls lassen keinen unberührt. In ihrem Buch "Wer ist Michel Houellebecq?" versucht die Literaturredakteurin Julia Encke dem Phänomen Houellebecq auf die Spur zu kommen.

Das Buch mit dem Untertitel "Porträt eines Provokateurs" ist keine umfassende Biografie, eher eine Annäherung an den Schriftsteller über sein Werk. Encke hebt keine unbekannten Quellen oder Geheimnisse. Wer sich überraschende, skandalträchtige Geständnisse und Bekenntnisse Houellebecqs erhofft, wird enttäuscht. Die hier wiedergegebenen biografischen Fakten, Zitate und Szenen waren so oder ähnlich meist schon in anderen Veröffentlichungen zu lesen.

Etwa die desaströse Beziehung zu seiner Mutter, einer sich selbst verwirklichenden Ärztin und Aussteigerin, die den kleinen Michel früh im Stich ließ, Erfahrungen, die er später in seinem Skandalbuch "Elementarteilchen" verarbeitete, eine rüde Abrechnung mit den 68ern. Encke erzählt von einer letzten missglückten Begegnung zwischen Houellebecq und der verhassten Mutter: "Als er mit seinem Sohn aufstand, um zu gehen, habe er gewusst, dass er seine Mutter nie wiedersehen würde - "ich zitterte vor Freude.""

Im Vergleich dazu erfährt man über Houellebecqs zwei Ehefrauen kaum etwas, über seinen Sohn gar nichts. Houellebecqs Bild in der Öffentlichkeit wurde maßgeblich von einer - hier ausführlich zitierten - Reportage der amerikanischen Journalistin Emily Eakin geprägt, die den Schriftsteller im Sommer 2000 in seinem Haus in Irland besuchte. Sie zeichnete das Schreckgespenst eines vom Alkohol umnebelten Mannes, der in einem Sessel zusammengerollt ein ganzes Wochenende verdämmerte, doch immerhin genug Energie hatte, die Journalistin anzubaggern. Damit stand sein Image fest.

Encke zeigt Houellebecq als gewieften Provokateur, als Meister der Inszenierung, als Antihelden mit Parka und Fluppe im Mund. Ähnlich wie die Selfiehelden unserer Zeit spielt der Starautor mit vollem Körpereinsatz, nur anders, inszeniert er sich doch als schmuddeliger Clochard oder veröffentlicht sogar eine Computertomographie seines Gehirns.

Überraschend ist die Erkenntnis, dass Houellebecq trotz seines verhuschten, manchmal fast schüchternen Auftretens durchaus sehr selbstbewusst ist. Schon sehr früh, als seine ersten Gedichte nur in Insiderkreisen kursierten, war er fest von seiner literarischen Berufung überzeugt. Das Phänomen Houellebecq kann die Autorin über seine Biografie nicht lösen. Dazu ist dieser Mann zu sehr Chamäleon.

Seine Magie erklärt sich vielmehr durch seine Werke, jenen Gesellschaftsromanen, die den Nerv der Zeit treffen, die Wunden offenlegen: unseren ziellosen individualistischen Lebensstil, den selbstzerstörerischen Konkurrenzkampf, den fundamentalen Mangel an Glauben. Terroranschläge, den Islam, die rechten Nationalisten, all diese Themen hat Houellebecq frühzeitig angesprochen, manches hat sich fast prophetisch erfüllt und seinen Ruhm noch gemehrt. Man darf annehmen, dass er seine Nase weiterhin in den Wind hält.

- Julia Encke: Wer ist Michel Houellebecq? Porträt eines Provokateurs, Rowohlt Verlag, Berlin, 256 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-7371-0017-5.

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