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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umbruch wirft Fragen auf Deutschlands ESC-Zukunft gerät in Gefahr

Deutschlands 15. Platz wirft die Frage auf: Wie geht es jetzt weiter beim Eurovision Song Contest? Veränderungen sind im Gange. Doch dabei wird es nicht bleiben.
"Nichts weniger als der Sieg rechtfertigt eine solche Zusammenarbeit", sagte ARD-Programmdirektorin Christine Strobl im Januar über die gemeinsame "Chefsache" mit RTL. Die beiden TV-Anstalten wollten beim Eurovision Song Contest klotzen statt kleckern. Doch seit dem Wochenende steht fest: Von einem Sieg war Deutschland mit dem Duo Abor & Tynna weit entfernt – am Ende landete der Beitrag "Baller" auf einem enttäuschenden 15. Platz im hinteren Mittelfeld.
Die Erwartungen waren dieses Jahr so hoch wie lange nicht mehr. Durch die Kooperation von RTL und ARD, aber auch durch die Ankündigungen Stefan Raabs, der als Chefjuror den Vorentscheid verantwortete und Dinge sagte wie: "Ich fahre hier nicht hin, um Zweiter zu werden. Der Zweite ist der erste Verlierer." Wer große Töne spuckt, muss sich daran messen lassen, kommentierte t-online anschließend. Denn selbst die Top Ten, für die Raab einst als Garant galt, wurde verfehlt.
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Dementsprechend fiel auch die Reaktion Raabs nach der Niederlage aus. "Ich übernehme die Verantwortung", gab der 58-Jährige zu Protokoll, um dann noch einmal seine Strategie der vergangenen Wochen und Monate für das Publikum zu entschlüsseln. "Natürlich verspreche ich immer, dass wir gewinnen. Und zwar so lange, bis das Gegenteil bewiesen ist." Sonst brauche man ja gar nicht erst anzutreten.
Doch was genau die Konsequenzen sind, ist unklar. Stefan Raab gilt seit Jahrzehnten als großer ESC-Fan, nahm im Jahr 2000 mit "Wadde hadde dudde da" einst selbst am Wettbewerb teil. Der Ehrgeiz des Entertainers ist weithin bekannt, umso mehr dürfte ihn der Ausgang des diesjährigen ESC schmerzen – oder seine Motivation befeuern, den Fehler wiedergutzumachen.
Der SWR übernimmt vom NDR
Die Frage ist nur: Darf er das? Fraglich. Die ARD hatte die Zusammenarbeit an den erhofften Erfolg gekoppelt, wie die eingangs zitierte Ansage der ARD-Programmdirektorin Strobl zeigt. Als sie in einem Interview mit der Programmzeitschrift "Hörzu" gefragt wurde, ob das Konzept mit Raab beendet werde, sollte nicht der Sieg herausspringen, antwortete sie: "Absolut." Der Anspruch sei "ganz klar", zu gewinnen. Das ist nicht eingetreten.
Davon abgesehen wird hinter den Kulissen bereits fleißig an einem Umbau der deutschen ESC-Strukturen gearbeitet. Künftig wird die Verantwortung vom NDR zum SWR übergehen. Das gab der öffentlich-rechtliche Rundfunk Anfang des Jahres bekannt. Wie genau der aktuelle Stand ist, will der SWR auf Anfrage nicht beantworten. "Zu Ihren Einzelfragen können wir derzeit noch keine Detailantworten geben", teilt eine Sendersprecherin t-online mit.
Aktuell wird an ersten Ideen gearbeitet.
grit krüger
Man freue sich, für 2026 die Federführung des Eurovision Song Contests zu übernehmen. "Nach dem eindrucksvollen Finale 2025 startet das Team in die Konzeptionsphase, um den ESC mit Kreativität und Innovation zu gestalten. Aktuell wird an ersten Ideen gearbeitet", so Grit Krüger aus dem ESC-Team des SWR, und weiter: "Unser Ziel ist es, die künstlerische Vielfalt des ESC zu feiern und den Wettbewerb auch weiterhin zu einem besonderen Erlebnis für alle Beteiligten, das Publikum und die ESC-Community zu machen."
Details zur Planung wolle man "rechtzeitig veröffentlichen", im Frühsommer beginne nun die Vorbereitung auf den ESC 2026. Auch zu den finanziellen Größenordnungen hält sich die ARD-Anstalt bedeckt. "Um das finanziell ohne zusätzliche Mittel leisten zu können, haben wir intern umgeschichtet und werden mit anderen ARD-Häusern kooperieren", ließ Clemens Bratzler, SWR-Programmdirektor, im Januar mitteilen. Dass der ESC kostspielig ist, dürfte auf der Hand liegen – genaue Zahlen gibt es allerdings nicht.
Bleibt die Frage, ob der SWR ausgerechnet in seinem Premierenjahr mit Stefan Raab gemeinsame Sache machen möchte. Schwer vorstellbar, dass die Landesrundfunkanstalt eine von Raab dominierte "Chefsache"-Show veranstaltet, wie zuletzt der NDR in Kooperation mit RTL. Der Privatsender antwortete am Montag nicht auf eine t-online-Anfrage zu den ESC-Plänen. Dabei ist es nicht abwegig, dass man bei RTL weiterhin ein Interesse daran hat, den für viel Geld und die nächsten Jahre unter Vertrag genommenen Raab ins ESC-Rennen zu schicken. Schließlich freute sich RTL bei den Vorentscheid-Shows über gute TV-Quoten.
Womit eines der letzten verbliebenen Argumente für Raab und RTL Erwähnung findet: die Reichweiten und die enorme Aufmerksamkeit, die sich in diesem Jahr auf den Eurovision Song Contest konzentrierte. Denn auch wenn es für Abor & Tynna im Wettbewerb nicht gut lief, ist ein Hype um das Duo entfacht: Hier lesen Sie, wie sehr sich das in Zahlen ausdrückt.
Die zentrale Rolle von Christine Strobl
Auch die TV-Quote am Samstagabend war hervorragend. Gemessen an der Gunst der Fernsehzuschauer war es der beste ESC seit 14 Jahren. Durchschnittlich saßen 9,13 Millionen Zuschauer vor dem Bildschirm. "Mit einer kreativen Allianz aus Stefan Raab, RTL und der ARD ist es gelungen, neue Zielgruppen zu erreichen und dem ESC in Deutschland neue Relevanz und Strahlkraft zu verleihen", jubelte selbst die ARD-Programmdirektorin Strobl.
Womöglich hängt es auch weniger am SWR, was aus Raab wird, als vielmehr an Strobl, die als übergeordnete Instanz im ESC-Universum gilt. Die ARD-Chefin baut den öffentlich-rechtlichen Rundfunk derzeit nicht nur im Unterhaltungsbereich tiefgreifend um. Sie ist die Frau, die zuletzt wegen ihrer Experimentierfreudigkeit in die Schlagzeilen geriet, weil sie die Verlängerung der 20-Uhr-"Tagesschau" auf 30 Minuten anregte. Von "Strobls Kamikaze-Plan" war anschließend in einer Recherche des Branchenportals dwdl.de die Rede und einer "kurzsichtigen Machtdemonstration".
Aufgrund von Sparzwängen verantwortet Strobl die viel diskutierte ARD-Reform. Es werden Stellen abgebaut und Kräfte gebündelt: Landesrundfunkanstalten arbeiten zunehmend in sogenannten "Kompetenz-Centern" zusammen. Ziel sei es, "sich zu spezialisieren und damit an Schlagkraft zu gewinnen", ließ der Senderverbund mitteilen. Bleibt abzuwarten, ob das auch beim ESC in einen "kurzsichtigen Kamikaze-Plan" mündet – und ob Stefan Raab mit am Steuer sitzt.
- Eigene Recherchen
- ARD: "Eurovision Song Contest" vom 17. Mai 2025
- Anfragen an SWR und RTL
- swr.de: "SWR übernimmt Federführung für Eurovision Song Contest"
- hoerzu.de: "'Babylon Berlin', 'Tatort', 'Hart aber fair' – Christine Strobl verrät, was die ARD 2025 plant"
- esc-kompakt.de: "Stefan Raab nach Platz 15 für Abor & Tynna: 'Ich übernehme die Verantwortung für das Ergebnis beim ESC-Finale'"
- youtube.com: Playlist "Eurovision Song Contest 2025 All Song: The Grand Final"