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Klaus Wowereit im Interview: "Homosexualität ist in der Politik absolut kein Thema mehr"


Klaus Wowereit im Ruhestand
"Es ist schön, endlich Zeit füreinander zu haben"

InterviewVon Janna Halbroth

Aktualisiert am 03.05.2018Lesedauer: 9 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Klaus Wowereit: Der ehemalige Bürgermeister stellt sein Buch "Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin" vor.Vergrößern des Bildes
Klaus Wowereit: Der ehemalige Bürgermeister stellt sein Buch "Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin" vor. (Quelle: Jörg Carstensen/dpa)

Was macht eigentlich Klaus Wowereit? Im t-online.de-Interview verrät er, was ihm sein Coming-out heute bedeutet, wie seine Beziehung den Ruhestand verkraftet und was ihn zum Explodieren bringt.

Klaus Wowereit war 13 Jahre lang Regierender Bürgermeister von Berlin und bleibt im Gedächtnis wie kein anderer. Auf das Treffen mit der Berühmtheit freue ich mich sehr, komme ein bisschen früher zum vereinbarten Treffpunkt. Doch Wowereit ist schon da. Wir haben uns im Büro des Berliner Buchverlages verabredet, der sein neues Werk "Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin" herausbringt.

Mit Pressevertretern kennt der 64-Jährige sich aus, er ist vorbereitet, erwartet mich bereits und hat sich Notizen für unser Interview gemacht. Als ich Wowereit gegenüber sitze, fällt mein Blick auf das riesige Bücherregal hinter ihm. Fast schon symbolisch für seinen Erfahrungsschatz, stapeln sich da Bücherseiten mit unterschiedlichstem Inhalt. "Da fehlt noch ein Buch, meins!", scherzt Wowereit, dem kein Blick entgeht.

Herr Wowereit, seit vier Jahren sind Sie nun im Ruhestand. Hat Sie schon der "Wer wird Millionär"-Effekt gepackt? Vom Sofa aus lässt es sich doch sicher leichter regieren so ganz theoretisch?

Klaus Wowereit: Ich habe 30 Jahre Politik gemacht und davor war ich ehrenamtlich politisch tätig. Politik hat lange Zeit mein Leben geprägt und bestimmt. Das kann man nicht abschalten. Ich bin ja auch ein Bürger und habe Interesse daran, wie unser Land regiert wird, oder wie mein Berlin regiert wird. Dementsprechend bin ich hoch interessiert und manchmal explodiere ich zu Hause auch. Dann kommt ein Kommentar von mir, aber der bleibt dann auch privat. Ich versuche, mich aus öffentlichen Kommentaren zur Tagespolitik herauszuhalten und das ist auch gut so.

Gut so war auch Ihr berühmter Satz: "Ich bin schwul, und das ist auch gut so!" Wie stehen Sie mittlerweile dazu, würden Sie das heute noch mal so machen?

Wenn man Bilanz zieht, war es richtig. Es hat zu einem absoluten Tabubruch geführt. Dieser Tabubruch hatte zur Folge, dass Homosexualität in der Politik absolut kein Thema mehr ist. Viele andere Betroffenen hatten es leichter, es wird die Frage einfach gar nicht mehr gestellt, das bedeutet mir schon sehr viel. Ich hätte es damals nie geahnt, aber mein Statement dazu hat sehr vielen Leuten geholfen, ihren eigenen Weg zu gehen und sich im privaten und beruflichen Umfeld zu outen. Eltern haben mir geschrieben. Sie waren der Meinung, wenn der Regierende Bürgermeister von Berlin sagt, er ist schwul, dann können wir das auch viel selbstbewusster aufnehmen, in Bezug auf unsere Tochter oder unseren Sohn. Da merkt man, man hat etwas bewegt und das bleibt auch.

Haben Sie das Gefühl, es gibt Bereiche, in denen Homosexualität noch ein Tabuthema ist?

Wir hatten am Dienstag ein herausragendes Fußballspiel in der Champions League und es ist schon merkwürdig, dass man bei den Fußballern, bis auf ehemalige wie Hitzlsperger, keinen kennt. Obwohl es sie ja geben soll (lacht). Statistisch betrachtet müssen es auch mehrere sein. Nicht nur im Profifußball, sondern auch bei den Jugendmannschaften gibt es ein Klima, bei dem es sich keiner traut, sich zu outen. Leider muss man in Deutschland feststellen, dass es bestimmte Umfelder gibt, wo das noch immer ein Tabu ist, auch in Wirtschaftskreisen ist Homosexualität nicht gerade Karriere fördernd. Es wird sich nur sehr sehr selten geoutet. Es besteht die Mentalität: Du kannst es sein, aber bitte nicht darüber reden.

Klaus Wowereit war von Juni 2001 bis Dezember 2014 regierender Bürgermeister von Berlin. Von 2009 bis 2013 war er stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Er war im Aufsichtsrat der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH.

Haben Sie Ihr Coming-out mit Ihrem Partner oder Ihrem privaten Umfeld besprochen?

Nein, eigentlich nicht. Ich hatte nicht so viel Zeit. Ich habe es in der Fraktion hinter verschlossenen Türen vor über hundert Leuten gesagt, dann sollte es auf dem Parteitag eigentlich nicht noch einmal wiederholt werden, so war auch die Beratung damals. Aber dann habe ich mich eben doch dazu entschlossen, weil es dann medial auch schon benutzt wurde.

Haben Sie das Echo auf den Satz ansatzweise erwartet?

Nein, überhaupt nicht. Das war ja sogar weltweit ein Thema. Wer kannte schon Klaus Wowereit als Fraktionsvorsitzenden in Berlin? Da hat man nicht so ein Forum. Auf einmal ging das auf hundert hoch. Das war schon enorm. Ich habe das in keinster Weise erwartet. Es war auch nicht für mich im Vordergrund, welche Wellen das schlägt. Ich hatte damals keine Zeit abzuwägen und zu analysieren, was nutzt, was schadet mir oder der SPD. Es war aus der Situation heraus. In der Nacht am Mittwoch ist die Koalition geplatzt, am Sonntag war der Parteitag. Das ging alles sehr sehr schnell.

Sie haben zum Beispiel den König von Saudi-Arabien getroffen, in seinem Land wird Homosexualität sogar mit der Todesstrafe bestraft. Wie kann man so etwas ausklammern, wie funktioniert das?

Das ist in der Tat eine schwierige Situation. Da hat man sich sehr zurücknehmen müssen. Ich finde, das war in dem Moment auch richtig, aber es fiel schon schwer! Man muss das ausklammern, haben die anderen dann ja auch gemacht. Natürlich ist es eine heikle Angelegenheit. Man darf nicht verkennen, wie viele Ländern es noch auf der Welt gibt, wo eine offene Diskriminierung stattfindet. Diese Länder sind nicht einmal so weit weg. Da wird der Christopher Street Day verboten. Homosexualität wird dort als abartig bewertet. Das passiert vor unserer Haustür und das machen wir uns gar nicht bewusst, es ist aber so.

Das Privatleben von Politikern wird heute öfter in der Öffentlichkeit thematisiert. Auch Altbundeskanzler Gerhard Schröder steht derzeit mit seiner Verlobung in den Medien, das hätte es früher so nicht gegeben, oder?

Das ist richtig. Deformierung hat es aber auch früher schon gegeben. Es gab einfach eine andere Medienlandschaft, muss man dazusagen. Das ist nach und nach durchbrochen worden. Auch von der Seite der Politiker, die dann selber versuchten, Medien zu instrumentalisieren, mit Homestories zu ihrem Privatleben. Da gab es natürlich zwei Seiten. Es gibt immer noch Dinge, über die nicht berichtet wird, aber die Grenzüberschreitung nimmt da sicherlich immer weiter zu. Das ist auch so ein Punkt. Ich finde, auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben ein Recht auf Privatleben. Das ist erst mal ein sehr theoretischer Anspruch. Ich möchte auch, wenn ich privat ins Restaurant gehe und dort esse, nicht abgeschossen werden. Obwohl es ja nichts Verfängliches ist, aber die Privatsphäre zu respektieren, ist aus meiner Sicht dringend notwendig. Mit dem Caroline-Urteil hat es dazu ja auch ein klares Urteil gegeben. Heute ist die Rechtsprechung oft auf der Medienseite.

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Caroline-Urteile
Seit Beginn der 90er-Jahre klagte Caroline Prinzessin von Hannover (damals Caroline von Monaco) gegen die Veröffentlichung von Paparazzi-Fotos. Dazu wurde in mehreren Prozessen verhandelt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fällte 2004 ein Urteil. Seitdem durfte die europäische Presse nur noch mit Einschränkungen über Details aus dem Privatleben Prominenter berichten.

Warum glauben Sie ist gerade das Interesse an dem Privatleben von Politikern so enorm?

Vielleicht, weil da immer noch ein besonderer Anspruch gestellt wird. Bei Politikern sind die Ansprüche somit auch ans Privatleben sehr stark. Bei Schauspielern gehört das ja fast zum Job dazu. Bei Politikern ist es für mich nicht ganz nachvollziehbar, aber es scheint so zu sein.

Ihr Buch ist eine Mischung aus privaten und beruflichen Schilderungen. Wie würden Sie den Inhalt beschreiben?

Es ist einerseits eine Beschreibung der politischen Situation in Berlin. Andererseits aber auch eine Analyse, warum ist die Wirtschaftssituation der Stadt so, wie sie jetzt ist. Genauso ist es ein historischer Rückblick und auch eine Perspektive. Es ist kein Buch, das Sensationen hervorruft, aber hoffentlich hilfreich ist als Grundlage für eine politische Diskussion.

Sie schreiben in Ihrem Buch darüber, dass Politiker gezwungen sind, sich thesenartig auszudrücken. Für komplexe Zusammenhänge sei oft kein Raum. Haben Sie sich dadurch oft missverstanden gefühlt?

(lacht) Man kennt ja die Mechanismen. Manchmal hätte ich die Schlagzeilen und Fragen in Interviews schon vorher schreiben können: Ich habe mich nicht direkt missverstanden gefühlt, aber ich habe mich doch manchmal schon sehr gewundert.

Inwiefern?

Es gibt ja Journalisten, die haben den ganzen Tag nichts zu tun, als Politiker zu beobachten. Und ich wundere mich einfach, dass wir es doch noch verstanden haben und so abzuschließen, dass da so wenig verstanden wurde, wie Politik tickt.

Die Journalisten haben es nicht verstanden?

Ja, manche Dinge sind nachvollziehbar. Aber wenn man dann abstruse Thesen in den Kommentaren gelesen hat, wie, was hätte sein können oder was war. Mit eins und eins hätte man das manchmal schon anders rauskriegen können, es ist aber oft nicht passiert. Zunehmend merkt man aber natürlich auch, wie sich die Medienwelt ändert. Schnelligkeit geht oft vor Recherche und das führt zum Qualitätsverlust. Das ist gar nicht die Schuld der einzelnen Journalisten oder Journalistinnen. Das sind die Mechanismen. Alle müssen liefern und liefern. Eine gute Recherche bleibt auf der Strecke.

Der Papst, Obama, die Queen: Sie hatten Sie schon alle. Welches Treffen mit einer prominenten Persönlichkeit ist Ihnen noch ganz besonders in Erinnerung?

Zum einen ist das auf jeden Fall die Begegnung mit Queen Elisabeth II. Es ist enorm, wenn man mal überlegt, wie viel Zeitgeschichte mit dieser Frau verbunden ist. Ich habe sie schon zweimal gesprochen. Sie ist eine beeindruckende Frau, viel lockerer, als man das immer so denkt. Sie hat sehr viel Humor und eine Natürlichkeit, bei aller majestätischen Distanz, die sich da ergibt. Der Zweite ist Bill Clinton, den habe ich kennen gelernt, als er schon nicht mehr Präsident war. Der hat so ein Charisma und so eine Präsenz, das ist unglaublich. Ich habe viele amerikanische Präsidenten erlebt und Bill Clinton ist da schon herausragend. Den mal in einem relativ kleinen Kreis im Schwarzwald in einer Jagdhütte einen Abend lang erleben zu dürfen, das war schon etwas Besonderes.

Finden Sie generell Gefallen an der Monarchie?

(lacht) Ich bin ein Demokrat und ein Republikaner von der Grundeinstellung. Aber in der Tat haben Königshäuser etwas Besonderes. Auch eine Prinzessin, ein Prinz, eine Königin oder ein König sind etwas Besonderes. Weil die deutschen Preußen hier etwas wenig Glamour haben, guckt man da schon dran vorbei und guckt direkt ins Ausland. Das ergreift auch mich schon manchmal. An meiner demokratisch-republikanischen Auffassung ändert das natürlich nichts.

Welches politische Thema stößt Ihnen gerade bitter auf?

Die Koalitionsbildung auf Bundesebene war schon so ein Thema. Ich war vier Jahre lang stellvertretender Parteivorsitzender, ich kenne die handelnden Akteure alle. Ich kenne auch Koalitionsverhandlungen. Die vorletzte große Koalition habe ich ja selber noch mitverhandelt. Das, was jetzt war, war schon ein Trauerspiel. Egal, wie man zur Frage der großen Koalition steht, man kann vorher nicht einstimmig mehrmals Nein sagen und dann auf einmal zum Bundespräsidenten gehen und dann ist die Welt ganz anders. Da muss man schon mal sehen, wie man die Genossen von den Bäumen runterkriegt. Das hat ja dann auch zu Auseinandersetzungen geführt, die für einige interessant waren, aber für die SPD bestimmt nicht hilfreich.

Wie emotional wühlt Sie das Thema BER noch immer auf?

Als die Absage zur Eröffnung für den BER kam, war das eine der schwierigsten Situationen in meiner politischen Laufbahn. Die ganze Dauer und alles, was danach kam, das bewegt mich immer noch. Der Flughafen ist ja immer noch nicht fertig. Ich hoffe, dass das, was Herr Lütke Daldrup da ausgearbeitet hat, mit der Eröffnung 2020 wasserdicht ist. Wir brauchen diesen Flughafen und es ist ganz wichtig, dass wir dieses Thema mal positiv gestalten können und nicht immer nur negativ.

Was beschäftigt Sie in Ihrem Ruhestand?

So einige Themen. Ich bin Präsidiumsmitglied im Verband Berliner Kaufleute und Industrieller. Ich versuche, meine Erfahrungen in der Berliner Wirtschaft mit einzubringen, das ist eine sehr interessante Tätigkeit, wenn auch keine tageserfüllende Tätigkeit. Ich bin in verschiedenen Kuratorien dabei. Ich versuche Ratschläge zu geben, wenn ich gefragt werde, bin Laudator und Kommentator. Ich unterstütze Projekte, wo es darum geht, warum ältere Arbeitnehmer aussortiert werden und nicht mal ihr Erfahrungsschatz für das Unternehmen genutzt wird. Das sind alles Dinge, die ich mache. Da gibt es also nicht ein großes Thema, das meinen Tagesablauf bestimmt. Es ist eine Vielfalt, die mir den Freiraum lässt, und nicht zum Fulltime-Job wird.

Wie verkraftet es Ihre Beziehung, dass Sie plötzlich so viel mehr Zeit haben?

Es ist schön, endlich Zeit füreinander zu haben. Ich glaube, dass wir uns sehr gut aufgestellt haben. Bislang hat es ohne Reibungsverluste geklappt.

Was steht für Ihre Zukunft auf der To-do-Liste?

Mein ganz großes To-do ist eine Reise nach Neuseeland und Australien, aber das werden mein Partner und ich auch sicherlich auch bald schaffen. Ich war schon mal in Australien sechs Tage, dienstlich. Aber für beides in Kombination braucht man schon etwas Zeit.

Dafür und für alles andere wünsche ich Ihnen viel Erfolg und bedanke mich für das Gespräch, Herr Wowereit.

"Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin" von Klaus Wowereit. Edel Books Verlag. 256 Seiten. Erscheinungstermin 4. Mai, 19,95 Euro.

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