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"Angela Merkel – Im Lauf der Zeit" liefert nur einmal große Erkenntnis


Neuer Angela-Merkel-Film
Nur eine glanzvolle Minute

  • Steven Sowa
MeinungVon Steven Sowa

Aktualisiert am 20.02.2022Lesedauer: 4 Min.
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Angela Merkel: Mehr als zwei Monate nach ihrer Amtszeit erscheint nun ein großes dokumentarisches TV-Porträt über die Ex-Kanzlerin.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel: Mehr als zwei Monate nach ihrer Amtszeit erscheint nun ein großes dokumentarisches TV-Porträt über die Ex-Kanzlerin. (Quelle: MDR/BROADVIEW TV)

Mit "Angela Merkel – Im Lauf der Zeit" ist das ohnehin gut gefüllte Filmarchiv zur ersten Kanzlerin Deutschlands um ein Werk reicher. Doch nur in einer Minute des Porträts wird plötzlich ein Trumpf sichtbar.

Es gibt diesen einen Moment in "Angela Merkel – Im Lauf der Zeit", der eine zentrale Erkenntnis liefert. Eine Erkenntnis, die Merkels 16-jährige Kanzlerschaft auf den Punkt bringt. Dafür reicht eine Filmszene, die nur 66 Sekunden dauert – und trotzdem einen seltenen Einblick in das Innenleben einer Politikerin gewährt. Vor allem bei Angela Merkel. Also ausgerechnet der Frau, die es über all die Jahre tunlichst vermieden hat, ihre Gefühle der Öffentlichkeit preiszugeben.

Es ist der 9. Dezember 2020. Angela Merkel sieht müde aus. In einem weinroten Blazer tritt sie an das Pult im Bundestag und macht etwas für sie Außergewöhnliches. Sie wird emotional. "Ich will nur sagen, wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und anschließend es das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben", plädiert sie vor den Abgeordneten eindringlich dafür, in den Lockdown zu gehen.

Jetzt könnte man meinen: Angela Merkel und Emotionalität – allein das ist schon ein Erkenntniswert. Doch Torsten Körner, der die Kanzlerin bereits 2016 für den Film "Die Unerwartete" porträtierte, gelingt eine Tiefenbohrung. Der einzige echte Coup in "Angela Merkel – Im Lauf der Zeit", aber dazu später mehr. Er spricht sie auf diese Rede an und erreicht damit, dass die Ex-Kanzlerin ihren gesamten Politikstil erklärt.

"Es war der Versuch, durch eine sehr starke Emotionalität in Erinnerung zu rufen, dass dieses Virus eigentlich total berechenbar ist. Es ist ja sehr simpel, was dieses Virus macht", beschreibt Merkel den Aufbau ihrer Rede und schlussfolgert: "Ich war damals, ja, man muss schon sagen, verzweifelt darüber, dass das alles so einfach zu sehen ist, aber keiner wollte es oder viele wollten es nicht so wahrhaben. Und das hat mich dann zu diesem emotionalen Auftritt geführt."

Und dann kommt es zu der zentralen Erkenntnis. Angela Merkel urteilt über sich selbst: "Allerdings muss ich sagen, dass die Wirksamkeit nicht besser war, als wenn ich sehr kühl und emotionslos gesprochen hätte. Also das, was immer gesagt wird, 'Ach wäre sie doch ein bisschen emotionaler, schon würden wir ihr alle folgen', ist überhaupt nicht richtig."

Rums. Das hat gesessen. Das alte 2015er-Bild der "Eiskönigin", zerlegt von der Regentin selbst. In ihrem so typischen, analytisch diskursiven Stil.

66 Sekunden, platziert nach über einer Stunde Dokumentation und endlich hält dieses "politische Roadmovie", wie der Filmemacher sein Werk selbst nennt, was es verspricht. Auch wenn Angela Merkel emotionaler gewesen wäre, nahbarer, volkstümlicher oder voller Leidenschaft: Es hätte nichts geändert – Angela Merkel bleibt Angela Merkel.

Der "Mensch Merkel" bleibt blass

Es ist eine Deutung, die auch auf den Film selbst zutrifft. Die zwischen Mai und Dezember 2021 entstandene Zeitreise ist sicherlich ein sehenswertes Porträt einer prägenden politischen Figur. In zwei verschiedenen Interviews hat Torsten Körner mit Angela Merkel im Kanzleramt nicht nur über ihre 16 Jahre an der Spitze, sondern auch über ihren Weg zur Macht gesprochen. Von "Helmut Kohls Mädchen" bis zu der Machtpolitikerin, die selbstbestimmt ihr Ende wählt und am 8. Dezember 2021 die Regierungsgeschicke in die Hände von Olaf Scholz legt. Von einer Frau, die in dem Film von Christine Lagarde wegen ihrer langen Verhandlungsnächte als "Late-Night-Lady" betitelt wird oder von Barack Obama als "Außenseiterin", weil sie die erste Kanzlerin Deutschlands war.

Doch neben den unbestritten sensationellen Gesprächspartnern, bei denen noch Theresa May oder Ursula von der Leyen hervorzuheben sind, liefert der Film wenig bahnbrechend Neues. Die biografische Spurensuche versandet in der DDR-Vergangenheit und den Erzählungen über Horst Kasner, ihren Vater, den evangelischen Pfarrer. Anekdoten über Merkels Warmherzigkeit, vorgetragen von ihrem Freund, dem Schauspieler Ulrich Matthes, kratzen nur an der Oberfläche. Die so oft schon gestellte Frage nach dem "Mensch Merkel", sie wird auch hier nicht beantwortet. Auch wenn Merkels Flüchtlingspolitik viel Raum gegeben wird, ihre ikonischen Worte "Wir schaffen das" und "Ein freundliches Gesicht" in Erinnerung gerufen werden, bleibt die Persönlichkeit der 67-Jährigen weitgehend blass.

Dafür ist ein wohlwollender, der ehemaligen Kanzlerin zugeneigter Film entstanden. "Angela Merkel – Im Lauf der Zeit" gleicht in seiner Machart der klassischen Würdigung großer zeithistorischer Persönlichkeiten. Wobei Zeit ein wichtiges Stichwort ist. Torsten Körner spielt mit den Motiven der Schnelllebigkeit, dem Ticken der Uhr – und gewährt am Ende dem Thema Klima nicht mal zehn Minuten Zeit. Sicherlich eines der wenigen inhaltlichen Versäumnisse in einer ansonsten politisch klug austarierten Dokumentation.

Die Entscheidung Körners, seinen Film ohne Off-Kommentar zu erzählen, überlässt den Zuschauern die Deutungshoheit. Das ist geschickt, weil der Dokumentarfilmer damit dem Vorwurf entgeht, Angela Merkel nachträglich zu glorifizieren. Doch die Auswahl seiner Gesprächspartner, der inhaltlichen Schwerpunkte und des Zeit-Narrativs zeigen, wie viel Respekt der studierte Germanist und Theaterwissenschaftler vor der Physikerin hat.

Angesichts der herausragenden Leistungen Merkels ist das nachvollziehbar, doch Körner muss sich einen anderen Vorwurf gefallen lassen. "Freuen darf sich das Publikum sicherlich auf ein ungewöhnliches Merkel-Porträt und eine Kanzlerin, die sich persönlicher zeigt als zuvor", preist er seinen Film an – und man möchte ihm entgegnen: Mit 66 Sekunden echtem Highlight einen 90-Minuten-Film zu bewerben, ist gewagt.

Ab dem 20. Februar ist "Angela Merkel – Im Lauf der Zeit" in den Mediatheken zu sehen. Arte zeigt ihn am 22. Februar um 20.15 Uhr, im Ersten wird er am 27. Februar um 21.45 Uhr ausgestrahlt.

Verwendete Quellen
  • "Angela Merkel – Im Lauf der Zeit" in der ARD-Mediathek
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