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Virtual Reality: "Die virtuelle Welt wird unsere analoge Welt nie ersetzen"


Depressionen und Belastungsstörung
Diese Technologie kann bei der Bearbeitung von Traumata helfen

Von Steve Haak

Aktualisiert am 16.02.2022Lesedauer: 6 Min.
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Neurowissenschaftlerin Maren Urner: "Virtual- oder Augmented Reality kann ein hilfreiches Mittel bei Therapien sein."Vergrößern des Bildes
Neurowissenschaftlerin Maren Urner: "Virtual- oder Augmented Reality kann ein hilfreiches Mittel bei Therapien sein." (Quelle: Lea Franke)

Firmen wie Meta sehen in virtuellen Realitäten die Zukunft des Internets. Eine Neurowissenschaftlerin erzählt, warum die virtuelle Welt unsere analoge nicht ersetzen wird und Kriegsveteranen mit Virtual Reality therapiert werden.

Das Metaversum ist für Unternehmen wie Microsoft oder den Facebook-Konzern Meta der nächste Schritt in der Evolution des Internets. Beide Firmen arbeiten an eigenen virtuellen Plattformen und wollen, dass die soziale und berufliche Interaktion in diesen digitalen Welten stattfindet.

Meta ist mit seinen Plänen weit. Im vergangenen Jahr hat der Konzern seine Virtual-Reality-Plattform Horizon Worlds für alle Nutzer geöffnet. Microsoft hatte mit Mesh einen Gegenentwurf zu Metas Plänen vorgestellt. Unterhaltungen will das Unternehmen in virtuelle Umgebungen verlagern.

Auch wenn die Pläne der Unternehmen konkret sind und es erste Entwürfe zu den virtuellen Welten gibt: Befürchtungen, dass sich das ganze Leben irgendwann nur noch in der virtuellen Realität abspielt, seien unbegründet, sagt die Professorin für Medienpsychologie und Bestseller-Autorin Maren Urner im Gespräch mit t-online.

t-online: Unternehmen wollen, dass wir uns privat und beruflich in virtuellen Welten bewegen. Besteht die Gefahr, dass wir in diese digitalen Welten abdriften statt uns mit der Realität auseinanderzusetzen?

Maren Urner: Natürlich besteht die Gefahr. Aber es gibt dazwischen ganz viele Graustufen. Ich will mit den positiven Aspekten anfangen. Wir haben uns immer schon Geschichten erzählt und dabei fremde Welten erfunden. Ob das nun früher die Heldengeschichten am Lagerfeuer waren oder mit der Erfindung des Buchdrucks die aufgeschriebenen. Diese Vorstellungskraft ist etwas, das uns von allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten unterscheidet. Später mit den Medien Film und Fernsehen kamen weitere Komponenten dazu, die mehr Sinne ansprechen und das Eintauchen intensivieren. Mit der virtuellen Realität gehen die Sinnerfahrungen noch einmal tiefer.

Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. Sie studierte Kognitions- und Neurowissenschaften unter anderem an der McGill University in Montreal, und wurde am University College London promoviert. Ihre beiden Bücher "Schluss mit dem täglichen Weltuntergang" (Droemer 2019) und "Raus aus der ewigen Dauerkrise" (Droemer 2021) sind SPIEGEL-Bestseller.

Gefährlich kann es werden, wenn ich einzelne Aspekte meines eigenen Lebens vernachlässige. Das ist vergleichbar mit anderen Suchtverhalten. Darum ist es wichtig, dass nahestehende Personen potenziell Betroffene ansprechen und ihre Sorge zum Ausdruck bringen, wenn sie das Gefühl haben, jemand vergesse das eigene Leben.

Grundsätzlich bringen Rollenspiele, also das Verbringen von Zeit in anderen Welten und als andere Identitäten, viele positive psychologische Aspekte mit sich. Das lässt sich natürlich auch körperlich und damit auch in der Gehirnaktivität nachweisen. So können auch Erfahrungen mit Virtual- oder Augmented Reality ein hilfreiches Mittel bei Therapien sein.

Wollen Sie sagen, dass Personen mit psychischen Erkrankungen durch Virtual Reality geheilt werden können?

Ich lehre an der Hochschule unter anderem das Fach Digitales Spielen und Lernen. Dort ist genau dieser Ansatz ein Thema. Es gibt bereits erste Studien und Projekte, die zeigen, dass diese Technologie bei der Bewältigung von Traumata helfen kann. Vor allem in den USA zeigen Ergebnisse mit Kriegsveteranen positive Wirkungen bei Posttraumatischen Belastungsstörungen oder Depressionen. Diese Technologien sind sehr vielversprechend, weil sie gesunde Methoden zur Krankheitsbekämpfung sind. Natürlich ist die Entwicklung kostspielig, aber ich denke, diese Kosten lohnen sich.

Was passiert da genau bei solchen Therapien? Wie muss ich mir das vorstellen?

Stellen Sie sich vor, jemand war im Irak im Einsatz und leidet in der Folge an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. In einer Virtual Reality bewegt sich der Betroffene während der Therapie dann in einer entsprechenden Modellierung in einer Umgebung und in Situationen, die für die Auslösung des Traumas mitverantwortlich sind. Das fühlt sich realistischer an als beispielsweise eine rein verbale Schilderung und bleibt bei aller Nähe stets eine Modellierung. Durch die vielen angesprochenen Sinne wird eine Nähe zu den entsprechenden Situationen und Erfahrungen im Irak hergestellt, es fühlt sich aber nicht genauso an, als wäre der Betroffene vor Ort.

Wie in bestimmten Computerspielen und Ego-Shootern bewegen sich die Probanden in einer anderen Welt, die ihren Erfahrungen entsprechend modelliert wurde. So können sich die Probanden schrittweise Situationen annähern, die für traumatische Flashbacks verantwortlich sind und so im besten Fall traumatischen Erfahrungen auflösen.

Neben den Anwendungen im therapeutischen und privaten Umfeld: Microsoft entwickelt eine Konferenzsoftware für berufliche Treffen. Wie ist das zu bewerten? Lässt sich Virtual Reality gedanklich überhaupt trennen in etwas Privates und Berufliches?

Psychologisch ist eine echte Begegnung immer etwas anderes als eine virtuelle. Das wissen wir nach zwei Jahren Pandemie alle ganz genau. Auch wenn es die ersten Hologramme gibt und virtuelle Freundschaften auf Plattformen geschlossen werden können, sind echte Berührungen für uns sehr wichtig, weil wir soziale Wesen sind. Die Haut ist unser größtes Organ und Berührungen spielen eine große Rolle für emotionale Bindungen und Verständigung generell.

Ein Beispiel aus einer Studie: Eine Kellnerin oder ein Kellner erhält mehr Trinkgeld, wenn sie oder er die Gäste beim Bedienen berührt. Dabei sind Geschlecht und Aussehen egal. Berührungen können aber auch sehr unangenehm sein und uns warnen. Der Tastsinn ist also enorm wichtig. Auch wenn virtuelle Erfahrungen immer realistischer werden, fehlen auch Aspekte, die beim Zwischenmenschlichen essentiell sind und die Stimmung beeinflussen, etwa der Blickkontakt. Bei Videokonferenzen ist genau das ein Problem: Es ist nie klar, wer wen gerade anschaut.

Sie denken also, dass etwas Zwischenmenschliches verloren geht, wenn wir mit unseren Kollegen nur in virtuellen Welten sitzen würden?

Da sind wir wieder bei den Grautönen. Jeder sollte abwägen, ob es richtig und wichtig ist, für eine halbstündige Konferenz um die halbe Welt zu reisen – Stichwort: Klimakrise. Wir sollten also genau überlegen, sowohl beruflich als auch privat, brauchen wir den persönlichen Kontakt an dieser Stelle?

In manchen Situationen ist er unerlässlich. Wir können uns virtuell nicht in den Armen liegen und uns berühren. Und ich bin überzeugt davon, dass wir eine vollständige Simulation auch nie erreichen werden. Mit anderen Worten: Die virtuelle Welt wird unsere analoge Welt nie ersetzen. Es gibt unter den Neurowissenschaftlern und Vertretern einer starken künstlichen Intelligenz auch andere Positionen.

Fakt ist: Beim Status quo, also zum jetzigen Zeitpunkt, geht bei virtuellen Treffen vieles verloren, sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Manchmal ist es einfach wichtig, dass Menschen zusammen in einem Raum sitzen, weil dadurch andere Dinge entstehen – das Ergebnis von Gruppen ist häufig mehr als die Summe der einzelnen Individuen.

Lassen sie uns noch kurz dabeibleiben, welche Sinne in der virtuellen Realität angesprochen werden. Können Sie da konkreter werden, ob zum Beispiel anhand der Hirnströme nachgewiesen werden kann, welche Bereiche stimuliert werden?

Das geht über meinen aktuellen Wissensstand hinaus und ich müsste entsprechende Studien auch recherchieren. Was ich allerdings sagen kann, da ein Kollege von mir entsprechende Studien durchgeführt hat: Wenn wir multisensorische Reize wahrnehmen, führt das zu einer intensiveren Verarbeitung im Gehirn. Sehen wir beispielsweise nur ein Bild von einem Hahn oder hören ihn nur krähen, ist die Verarbeitung weniger intensiv, als wenn wir Bild und Geräusch wahrnehmen.

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Um diese Verknüpfungen zwischen Bild und Geräusch zu erschaffen, spielen analoge Erfahrungen eine wichtige Rolle. Generell gilt: Wenn wir etwas selbst erleben, sind die Spuren im Gehirn am intensivsten. Warum können wir uns an Dinge erinnern, wo wir selbst etwas gebaut oder gebastelt haben? Weil wir nicht nur erfahren haben, wie es geht, sondern auch, wie es sich angefühlt hat, vielleicht wie es gerochen oder geschmeckt hat.

Anders formuliert: Je mehr Sinne beteiligt sind, desto intensiver sind unsere Erinnerungen. Daher gibt es auch solche Begriffe wie Begreifen oder Berühren. Wenn jemand sagt, dass es ihn berührt, dann haben wir eine weitere Komponente: Je emotionaler etwas für uns ist, desto stärker ist die Erinnerung daran.

Weil es einen emotionalen Reiz gibt?

Genau. Im virtuellen Bereich kann natürlich auch eine gewisse Emotionalität passieren – Stichwort: Rollenspiele. Wir können uns in andere Welten versetzen wie beim vorhin erwähnten Geschichtenerzählen. Aber mehr haben wir bisher nicht. Mittlerweile gibt es zwar Joysticks, die auch den Tastsinn in die virtuelle Realität mit einbringen wollen. Und vielleicht gibt es irgendwann auch die Möglichkeit, dort etwas zu schmecken oder zu riechen. Doch bisher gilt: Die Erfahrungen in der virtuellen Realität berühren uns in diesem Sinne weniger und sind damit weniger intensiv als die Erfahrungen im echten Leben.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Maren Urner
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