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Corona-Drittimpfung für alle? Experte: Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun


Booster-Pflicht in Israel
Dritte Impfung für alle? "Hat mit Wissenschaft nichts zu tun"


Aktualisiert am 14.10.2021Lesedauer: 4 Min.
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Eine Seniorin erhält in Israel eine Corona-Auffrischungsimpfung: Kommt auch in Deutschland der dritte Piks für alle?Vergrößern des Bildes
Eine Seniorin erhält in Israel eine Corona-Auffrischungsimpfung: Kommt auch in Deutschland der dritte Piks für alle? (Quelle: Amir Levy/getty-images-bilder)

Seit Anfang Oktober gelten in Israel nur jene Bürger als vollständig geimpft, die sechs Monate nach der zweiten auch die dritte Impfung hinter sich haben. Kommt das auch bei uns?

In Israel gilt der sogenannte Grüne Pass als Eintrittskarte zu den meisten Bereichen des öffentlichen Lebens wie Restaurants, Universitäten, Sport- und Kulturveranstaltungen oder Fitnessstudios. In ihm wird die doppelte Impfung bescheinigt, der Genesenenstatus vermerkt oder ein negatives Testergebnis attestiert. Bis zum Alter von zwölf Jahren können Kinder kostenlos getestet werden, ab zwölf Jahren muss der Test bezahlt werden.

Ende August beschloss die israelische Regierung: Als vollständig gegen das Coronavirus geimpft gelten fortan nur noch jene Personen, die auch den dritten Piks erhalten haben. Das Dokument als Impfnachweis verfällt, wenn nicht sechs Monate nach der zweiten Impfung auch die Booster-Impfung absolviert wurde – unabhängig von der Altersgruppe. Bislang haben etwa 37 Prozent der Israelis bereits drei Impfdosen erhalten.

Kommt diese Regelung auch in Deutschland und beginnt dann die Impfkampagne von vorn? t-online fragte den Immunologen Dr. Andreas Radbruch, Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin.

t-online: Herr Radbruch, was halten Sie von dem israelischen Weg, die dritte Impfung für alle – egal welchen Alters – zu verordnen?

Andreas Radbruch: Was in Israel passiert, hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Die Publikationen auch der Israelis zeigen, dass die Impfstoffe mit zwei Impfungen eine sehr gute und langandauernde Wirkung haben. Schwere Erkrankungen und auch Infektionen als solche werden noch lange Zeit nach der zweiten Impfung wirkungsvoll gestoppt. Zweimal Geimpften nach einem halben Jahr den "Impfstatus" zu entziehen, ihnen die Immunität abzusprechen, widerspricht allen wissenschaftlichen Untersuchungen.

Was, meinen Sie, steckt hinter diesem Weg?

Für mich sind das rein politische Entscheidungen.

Das heißt, die dritte Impfung ist unnötig?

Nicht generell, in bestimmten Risikogruppen kann sie sehr wichtig sein. Bei Älteren oder Menschen, deren Immunsystem aufgrund von Vorerkrankungen oder durch medizinische Behandlungen geschwächt ist, reagiert das Immunsystem, zumindest was die Antikörper betrifft, so richtig erst nach der dritten Impfung. Bei manchen übrigens selbst dann noch nicht.

Aber alle anderen jetzt zum dritten Mal zu impfen, ist nach der gegenwärtigen Datenlage unnötig. Nach jeder Impfreaktion sinkt der Antikörperspiegel im Laufe der Zeit ab. Er pendelt sich auf einem niedrigeren Niveau ein, das uns aber immer noch genauso gut vor schweren Krankheitsverläufen schützt wie kurz nach der Impfung. Auch der Schutz gegen symptomatische Infektionen bleibt sehr gut, er ist kurz nach der Impfung bei rund 90 Prozent und später dann 80 Prozent.

Und das reicht auch?

Ja, das Immungedächtnis unseres Körpers ist genial: Da werden auf Dauer nur so viele Antiköper produziert, wie es braucht, um immun zu bleiben. Immunität funktioniert nicht nach dem Prinzip: Viel hilft viel. Wir können von unserem Immunsystem lernen, wie viele Antikörper es eigentlich braucht, um immun zu bleiben.

Das heißt, Sie sehen die dritte Impfung für alle hierzulande nicht kommen?

Ich hoffe nicht, denn sie ist unnötig. Viel wichtiger wäre es, sich darum zu kümmern, dass möglichst viele Menschen auf der ganzen Welt ein Impfangebot bekommen.

Was meinen Sie damit?

Dort, wo niemand geimpft ist – und es gibt immer noch Länder, bei denen kaum Menschen geimpft sind – hat das Virus viele Möglichkeiten, neue Varianten zu entwickeln. Und vielleicht auch solche, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können, und vor denen unsere Impfstoffe nicht schützen. Dann fangen wir auch hier wieder von vorne an.

Wenn die Welt nicht gut immunisiert ist, sind wir auch in Deutschland nicht sicher. Eine Pandemie ist kein nationales, sondern ein globales Problem.

Wie erklären Sie sich eigentlich, dass das RKI die Impfquote hierzulande jetzt durch Umfragen bestimmt? Wir bekommen doch jeden Tag Auflistungen über die gelieferten Impfdosen und darüber, wie viele Menschen den Piks bekommen haben. Wie kann es sein, dass wir nicht wissen, wie viele Bundesbürger nun tatsächlich geimpft sind?

Das kann ich mir auch nicht erklären. In Deutschland, das so viel Wert auf Präzision legt, ist das tatsächlich etwas merkwürdig. Vielleicht wurden nicht alle Impfungen von Haus- und Betriebsärzten gemeldet?

Hätten Sie eine andere Option, zu ermitteln, wie die Impfquote eruiert werden könnte?

Eine Möglichkeit wären Antikörper-Messungen bei repräsentativen Stichproben. Geimpfte und Genesene haben unterschiedliche Antikörper gegen das Coronavirus im Blut. So wie bei repräsentativen Umfragen wüsste man dann: Wie viele sind geimpft worden und wie viele haben sich infiziert, vielleicht einige sogar, ohne dass sie es gemerkt haben? Dann hätten wir mehr Klarheit über die Immunität in der Bevölkerung, könnten das mit den offiziellen Zahlen vergleichen.

Was bräuchte man dafür?

Nur einen winzigen Tropfen Blut pro Person.

Was wir sicher wissen: In Deutschland ist die Mehrheit gegen das Virus geimpft, eine Minderheit will oder kann sich nicht impfen lassen. Wie lange müssen dann die Anti-Corona-Maßnahmen aufrechterhalten werden? Wann kommt für die Geimpften die Normalität zurück?

Entscheidend ist, dass die Risikogruppe der Älteren jetzt weitgehend geschützt ist. Die Impfquote liegt hier bei über 85 Prozent. Und auch die Impfquote in der Gesamtbevölkerung ist nicht schlecht, wenn auch noch nicht optimal. Aber das macht letztlich keinen großen Unterschied. Es wurde immer gesagt: Wenn jedem ein Impfangebot unterbreitet wurde, enden die Maßnahmen. Dies wäre nun der Fall.

Aber wir sehen: Manche wollen sich nicht impfen lassen ...

Ja, das ist dann aber das selbst zu verantwortende Lebensrisiko. Jeder kann sich für das eine oder andere entscheiden. Was die Verantwortlichen hier anstreben, ist meines Erachtens ein verzerrtes Ideal. Entweder ich will eine Impfquote von 99 Prozent, dann brauche ich eine Impfpflicht. Oder ich sage: Jeder hat das Angebot erhalten, mehr geht nicht, nun überlassen wir das Risiko dem Einzelnen selbst, bringen aber für die Mehrheit die Normalität zurück.

Herr Radbruch, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Andreas Radbruch
  • Eigene Recherche
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