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Rheinland-Pfalz: Hier kämpft die Bundeswehr im Wald gegen Borkenkäfer


Einsatz gegen das Fichtensterben
Kommando Borkenkäfer: Jetzt rettet die Bundeswehr sogar den Wald


Aktualisiert am 01.09.2020Lesedauer: 7 Min.
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Mit dem Schäleisen im Einsatz gegen den Käfer: Im längsten Einsatz in der Landesgeschichte arbeiteten Soldatinnen und Soldaten im Fichtenwald. Hier rammt der Stabsgefreite Dilovan Kassim das Schäleisen unter die Rinde.Vergrößern des Bildes
Mit dem Schäleisen im Einsatz gegen den Käfer: Im längsten Einsatz in der Landesgeschichte arbeiteten Soldatinnen und Soldaten im Fichtenwald. Hier rammt der Stabsgefreite Dilovan Kassim das Schäleisen unter die Rinde. (Quelle: Lars Wienand)

Noch nie war die Bundeswehr im Land so lange im Einsatz: Mehrere Monate versuchten Soldaten in Rheinland-Pfalz verzweifelt, den sterbenden Wald zu retten. Ein Besuch an der Borkenkäferfront.

Der Feind hat sich eine gute Deckung gesucht beim Angriff des Stabsgefreiten Dilovan Kassim. Der Soldat wuchtet das Schäleisen in den Stamm, aber die Rinde geht nur schwer ab an dieser Fichte. Der kräftige, fast zwei Meter große Mann kämpft gegen einen Fünf-Millimeter-Schädling.

Zwar ist Kassim nicht allein, er ist mit fast 20 Kameradinnen und Kameraden in Hillscheid im Westerwald im Einsatz. Aber der Borkenkäfer ist milliardenfach da. Nicht nur hier, sondern in weiten Teilen Deutschlands.

"Wir haben schon Reviere, die fichtenfrei sind", sagt Friedbert Ritter. Er leitet das Forstamt und ist dankbar, dass die Bundeswehr versucht zu retten, wo noch was zu retten ist. Wobei die Betonung auf "noch" liegt. Es geht hier nur darum, das Sterben des Waldes zu verlangsamen. Den Kampf um die Fichte haben sie eigentlich bereits aufgegeben, und der nächste Baum bereitet bereits große Sorgen: die Buche.

Waldreichstes Bundesland

Kein Bundesland ist stärker vom Wald geprägt als Rheinland-Pfalz. Denn mehr als 42 Prozent der Fläche sind bewaldet – mehr als irgendwo sonst in der Republik. Weil das Waldsterben über die Forstämter kam wie Corona über die Gesundheitsämter, sind diese am Ende ihrer Ressourcen. In ihrer Verzweiflung hatte die Landesregierung deshalb Hilfe von der Bundeswehr angefordert. 2019 verhallte der Hilferuf noch, in diesem Jahr stimmte das Verteidigungsministerium zu. "Wir müssen von einer katastrophalen Lage sprechen", sagt Oberstleutnat Günter Bohn, Sprecher des Landeskommandos Rheinland-Pfalz. "Das rechtfertigt den Einsatz der Bundeswehr."

Mehr als 100 Tage rückten die Soldaten an für den Einsatz, der am Montag ausgelaufen ist. Förster Bernd Nückel hätte allerdings im Revier Hillscheid noch weiter Verwendung für die Soldaten gehabt. Es gibt noch viele Bäume, in denen die charakteristischen Bohrlöcher des Käfers zu sehen sind, und der Schädling sich exponentiell ausbreitet. Nückel blickt auf die andere Seite des Hangs nach Osten. Dort sind große Flächen kahl, die "Köppel" genannte Erhebung, ein Wahrzeichen von Montabaur, ist größtenteils kahl.

Dort, wo der Kampf längst verloren ist, kann auch die Bundeswehr nicht mehr helfen. Hier braucht es den Vollernter, und er hinterlässt eine Wüstenlandschaft. Solche Wälder, in denen nichts mehr zu machen war, sind vom All aus gut zu erkennen. t-online.de hat Satellitenbilder der Erdbeoachtungssatelliten Sentinel-2 ausgewertet in besonders betroffenen Regionen. Das Grün des Sommers 2018 hat sich in Braun verfärbt.

Wie rasch die Entwicklung fortschreitet, überrascht manchmal selbst die Experten. Forstamtsleiter Ritter dachte im Frühjahr 2019 auf dem "Köppel" noch, er könne seine Bäume dort halten. Die Lage schien beherrschbar. "Dann wurden wir überrollt von den Käfern, die im Boden überwintert hatten." Und eine weitere Generation Käfer schwärmte massenhaft aus. Früher war es außergewöhnlich, wenn in einem Jahr mal drei Generationen schlüpften. Inzwischen ist es außergewöhnlich, wenn das nicht jedes Jahr passiert. "Ein, zwei verregnete Jahre sind nötig, dann bricht die Population ein", sagt Ritter.

Doch der ersehnte Regen bleibt aus. Seit Jahren. 2018 war es überall in Deutschland zu trocken, im Westerwald fehlten dem Kompetenzzentrum für Klimafolgenforschung zufolge 30 Prozent Niederschlag, 2019 wieder zehn Prozent, und auch in diesem Jahr hat es viel zu wenig geregnet.

"30 Grad kannten wir nur vom Rheintal"

Wo der Wind laut Westerwaldlied angeblich so kalt pfeift, war es 2018 zwei Grad und 2019 1,5 Grad wärmer als im langjährigen Mittel. "Wir haben hier regional eine noch stärkere Klimaverschiebung, die wir nicht erklären können", sagt Ritter. Und Förster Nückel sagt, als er von der Höhe in Richtung des nur wenige Kilometer entfernten Rheins blickt: "30 Grad und mehr kannten wir doch nur von da unten. Das haben wir jetzt hier immer wieder."

Der Borkenkäfer mag die Hitze, für die Fichte ist sie eine Katastrophe. Ihre Wurzeln sind flach, dort, wo der Boden fast völlig trocken ist. Hat sie nicht genug Wasser, kann sie nicht den Harz produzieren, um die Eindringlinge einschließen zu können. Sonst lassen sich die Larven in den Leitbahnen den Zuckersaft einfach ins Maul fließen, den der Baum in der Krone produziert und zu den Wurzeln transportiert. Der Baum wird ausgesaugt. Und wenn die Käfer ausfliegen, bohren die Männchen in den nächsten Baum eine Höhle, um dort Weibchen zu befruchten. Ein Weibchen kann bis zu 130.000 Nachkommen in einem Jahr hervorbringen.

Die Bäume, deren Stämme die Soldaten in kleineren Gruppen bearbeitet haben, wurden überwiegend vor 60, 70 Jahren gepflanzt. Damals sei das eine "Jahrhundertleistung" gewesen, sagt Forstamtsleiter Ritter. "Auf dem 50-Pfennig-Stück war nicht ohne Grund eine pflanzende Frau abgebildet."

Im Westerwald waren nach dem Zweiten Weltkrieg ganze Wälder als Reparationsleistungen nach Westen abtransportiert worden. "Franzosenhiebe" nennen das die Alten heute noch. Damals sollten Fichten die Wiederaufforstung beschleunigen, weil sie vielseitig verwendbar sind und leicht verfügbar waren: Aus einem Kilo Eicheln wachsen 600 Bäume, aus einem Kilo Fichtensamen aber 60.000 Bäume.

Doch die Fichte kommt mit Hitze und Trockenheit eben nicht so gut zurecht. "Wir haben hier im Revier seit 30 Jahren keine Fichte mehr gepflanzt, weil für den Forst absehbar war, dass sich das Klima ändert", sagt Revierförster Nückel. Drei Jahrzehnte sind eine lange Zeit, aber der Umbau des Forsts dauert deutlich länger. Es sei denn, statt des Borkenkäfers kommen Orkane.

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So wie im Hunsrück. Dort warfen die "Jahrhundertstürme" Vivian und Wiebke 1990 massenhaft Fichten um. Wo damals die Schäden groß waren, ist inzwischen der Anteil des Laubwalds bereits viel höher. Im Westerwald, im Forstamtsbezirk von Friedbert Ritter, ist – oder besser: war – jeder vierte Baum eine Fichte. Das entspricht ungefähr dem deutschlandweiten Schnitt, liegt aber deutlich über dem Durchschnitt von 19,5 Prozent in Rheinland-Pfalz.

Warum überlassen die Experten den Wald nicht sich selbst? So wie etwa im Bayerischen Wald, wo zur ersten Welle des Waldsterbens ab 1984 nichts gegen den Borkenkäfer unternommen wurde und auf einem Drittel der Fläche des Nationalparks die alten Fichten starben. Die Natur soll sich selbst heilen.

Liebe Leserinnen und Leser: Haben Sie sich bei Ihrem letzten Waldspaziergang über große Mengen an abgestorbenen Bäumen erschrocken und diese im Bild festgehalten? Schicken Sie uns Ihr Foto an leseraufruf@t-online.de und beschreiben Sie kurz, wo und in welcher Situation Sie das Bild aufgenommen haben. Eine Auswahl der Einsendungen werden wir mit Nennung des abgekürzten Namens publizieren.

Ohne Wald verschärft sich Wasserproblem

Im Westerwald ist das jedoch keine Option."Der Wald hier ist ein großes Wassereinzugsgebiet zur Trinkwasserversorgung", sagt Revierförster Nückel in Hillscheid. Fehlen die Bäume, ist die Wasserqualität bedroht. Denn auf freien Flächen beschleunigt sich die Humusbildung und die Auswaschung von Stickstoffen ins Trinkwasser.

Auch deshalb wird der Kampf um die Fichte geführt, die eigentlich keine Zukunft hat. "Wenn wir nur wenige Hundert Hektar retten, ist das eine Riesenleistung", sagt Ritter. Für die Soldaten sei das Ansporn, sagt Sprecher Bohn. Die letzten Kämpfer des Kommandos Borkenkäfer sind eigentlich Feldjäger.

Und sie haben in der Region viel Sympathie gewonnen. Soldaten können von Tagen unter sengender Sonne berichten: zu zweit oder dritt den von Forstarbeitern gefällten Baum entrinden, ihn drehen, um die andere Seite auch zu schälen. Eine halbe Stunde kann das dauern pro Baum. Es waren Tausende Bäume.

Es muss aber auch da weitergehen, wo der Kampf schon verloren ist: 400.000 Setzlinge sind für die kommende Pflanzsaison ausgeschrieben, ein Zehntel der geschädigten Flächen wird damit "in Wiederbewaldung gebracht", wie es im Bürokratendeutsch heißt. Wo rund 10.000 Bäume auf einem Hektar Wald standen, werden nur 2.000 Bäume nachgepflanzt als Schutz für den Boden.

Bürgerwaldprojekte eine Idee

Es ist ein großes Projekt. Und das Personal dafür könnte fehlen. Die Bundeswehr wird wohl dafür nicht ausrücken. Ritter hat die 50-Pfennig-Münze mit der Pflanzfrau im Hinterkopf: "Wir denken auch an Bürgerwaldprojekte, an Gemeinden, wo Bürger selbst mitpflanzen können."

Personelle Engpässe sind aber nur ein Problem. Es müssen auch ausreichend Setzlinge verfügbar sein – und zwar solche, die dem veränderten Klima gewachsen sind. Tannen und Douglasien werden unter den 400.000 neuen Bäumen sein, aber der Schwerpunkt liegt auf heimischen Laubbaumarten. Die Eiche kommt gut klar und ist vielseitig verwendbar, aber auch Spitzahorn und Winterlinde werden gesetzt. Und die Buche nachgepflanzt, wo sie fehlt.

Buchen werden zur Gefahr

Zunächst aber muss Förster Nückel mit den Problemen der Gegenwart kämpfen. Von der Einsatzstelle der Soldaten sind es auf dem Waldweg nur ein paar Kurven, und Nückel steht vor Buchen mit wenig Laub – und das ist braun. Ob sie im nächsten Jahr noch einmal ausschlagen, ist unklar. Nückel denkt bereits darüber nach, Wandervereine in der Region zu warnen. "Tote Fichten stehen jahrelang, ohne dass etwas passiert. Buchen faulen und brechen sehr schnell. Das ist gefährlich." Da könnte auf ihn noch viel Arbeit zukommen.

Weil das fast überall in Deutschland so ist, gibt es viel Geld für die Rettung des Waldes. 800 Millionen Euro haben Bund und Länder 2019 für den Zeitraum von vier Jahren beschlossen. Im Konjunkturprogramm zur Corona-Krise versprach die Bundesregierung weitere 700 Millionen Euro für den Erhalt und die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder. Selbst Waldbesitzer wunderten sich über all die Millionen. Und manch ein Insider befürchtet bereits, dass mit dem Geld auch der Druck wächst, es irgendwie auszugeben.

Der Leiter des Forstamts sieht dieses Problem nicht: "Wir werden das Geld jetzt sehr dringend brauchen." Für sein Forstamt im Epizentrum des Fichtensterbens hat er für vier Jahre jeweils 1,5 Millionen Euro aus dem Geld des Waldgipfels beantragt. Das sind fast zehn Prozent der Summe, die für alle 44 Forstämter in Rheinland-Pfalz vorgesehen ist. "Wir werden aber vor der Frage stehen, wie die Gesellschaft die Gemeinwohlleistung des Waldes in den nächsten 30 Jahren würdigt."

Geld einbringen muss er in Rheinland-Pfalz nicht. In den kommenden Jahren wird der Umbau viel Geld kosten. Die Katastrophe, sagt Ritter, sie sei auch eine neue Startlinie. "Was ich sehe, das tut schon sehr weh. Und ich bin zum Krisenmanager geworden. Aber ich bleibe zuversichtlich, dass wir das auch wieder schaffen."

Verwendete Quellen
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