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Nachhaltigkeit: Darum ist die Papiertüte nicht besser als die Plastiktüte


Was ist wirklich nachhaltig?
Darum ist die Papiertüte nicht besser als die Plastiktüte


Aktualisiert am 30.07.2021Lesedauer: 6 Min.
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Plastiktonne: Der Durchschnittsdeutsche produziert jedes Jahr über 70 Kilogramm Plastikmüll.Vergrößern des Bildes
Plastiktonne: Der Durchschnittsdeutsche produziert jedes Jahr über 70 Kilogramm Plastikmüll. (Quelle: Michael Gstettenbauer/imago-images-bilder)

Plastik ist überall – obwohl es als eines der größten Umweltprobleme unserer Zeit gilt. Doch Experten sagen: So schlecht wie sein Ruf ist Plastik gar nicht. Woran das liegt und warum Sie nicht komplett darauf verzichten müssen.

Die Welt hat ein Plastikproblem – und Plastik ist allgegenwärtig: Das Gerät, auf dem Sie diese Zeilen lesen, Ihr Auto, Ihre EC-Karte, das alles enthält Kunststoff. Denn kaum ein Material hat so viele Vorteile: wasserdicht, leicht und günstig, verformbar, aber stabil. Wenig verwunderlich also, dass es aus unseren Leben kaum mehr wegzudenken ist.

Doch Plastik besteht aus Erdöl und Erdgas – fossile und zur Neige gehende Rohstoffe. Es verrottet nicht. Laut Schätzungen braucht eine Plastikflasche rund 450 Jahre, um zersetzt zu werden. Anders gesagt: Hätte William Shakespeare zu Lebzeiten eine Plastikflasche verloren, könnte sie wohl heute noch gefunden werden.

Das eigene Körpergewicht an Verpackungen – jedes Jahr

So entsteht ein riesiges Müllproblem. Jeder Deutsche produzierte im Jahr 2019 rund 76 Kilogramm Kunststoffabfälle – und damit fast so viel wie das durchschnittliche Körpergewicht, das bei 77 Kilogramm liegt.

Mehr als die Hälfte dieser Abfälle sind Verpackungen. Seit 1995 haben sich solche Abfälle in Deutschland mehr als verdoppelt: Getränke werden öfter aus Plastikflaschen getrunken, Wurst und Käse verpackt aus der Kühltheke gekauft. Und durch den Trend zum Singlehaushalt werden die Portionsgrößen kleiner und der Verpackungsaufwand größer.

Recycelt wurden 2019 jedoch nur 55 Prozent des deutschen Plastikmülls, 44 Prozent wurden verbrannt. Letzteres wird in der offiziellen Statistik ebenfalls als Verwertung aufgeführt, da aus der Abwärme Strom oder Heizenergie gewonnen wird.

Deutscher Müll auf Reisen

Doch beides passiert nicht immer in Deutschland: Im vergangenen Jahr wurden schätzungsweise 986.000 Tonnen Plastikmüll ins Ausland exportiert. Hauptabnehmerland war Malaysia. Normaler Teil des Geschäfts, dort werde das Plastik weiterverarbeitet, sagen Vertreter der Abfallwirtschaft. Doch Kritiker bemängeln, dass man dort nicht für ordnungsgemäßes Recycling garantieren könne. Zu oft lande der Müll auf ungesicherten Deponien oder in der Natur, kritisiert zum Beispiel der Nabu.

Nach Schätzungen des BUND landen rund 10 Millionen Tonnen Plastikmüll weltweit jedes Jahr im Meer – das entspricht einer Lkw-Ladung pro Minute. Verursacher sind etwa Touristen, die Schifffahrt oder die Fischerei. Dort wird es über die Zeit zu Mikroplastik zerrieben.

Mikroplastik ist das, was von Plastikflaschen und -tüten übrig bleibt, aber auch zum Beispiel durch den Abrieb von Autoreifen oder Kunststofftextilien entsteht: winzig kleine Plastikteile. Ihre schädliche Wirkung wird bislang nur vermutet, ist aber nicht ausreichend erforscht.

Kunststoff gelangt aber auch oft vom Landesinneren über Flüsse überallhin. Rund ein Drittel des weltweit produzierten Plastiks lande früher oder später in Böden oder Binnengewässern. Je nach Umgebung seien diese vier bis 23-mal so stark mit Mikroplastik verschmutzt wie die Ozeane, so die Umweltschutzorganisation.

Mythos "Bioplastik"

Auch sogenanntes "Bioplastik" kann kaum Abhilfe schaffen. Der Begriff wird für zwei Arten von Kunststoffen verwendet. Entweder besteht es statt aus Erdöl aus nachwachsenden Rohstoffen, zum Beispiel aus Zuckerrohr. Das Problem hierbei: Zuckerrohr wird hauptsächlich in Brasilien angebaut – was zulasten des Regenwalds und Flächen für den Nahrungsmittelanbau geht. Zudem ist der Pestizideinsatz in den verbreiteten Monokulturen schädlich für Umwelt und Gesundheit.

Die zweite Verwendung des Begriffs bezieht sich unter bestimmten Bedingungen auf biologisch abbaubares Plastik. Diese Bedingungen werden in normalen Kompostanlagen jedoch nicht erreicht – deswegen hat Bioplastik auch in der Biotonne nichts zu suchen.

Die nachhaltige Plastikflasche

Also besser gar kein Plastik mehr kaufen? Nicht unbedingt. Beim Beispiel Plastikflasche lautet das oberste Gebot: Mehrweg statt Einweg. PET-Mehrwegflaschen haben laut einer Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) im Auftrag des Nabu die beste Ökobilanz – auch gegenüber Glasflaschen.

Der große Vorteil: Anders als die "knitterbaren" Einwegflaschen können die stabileren Mehrwegflaschen gereinigt und etwa 25 Mal wiederverwendet werden. "Auch Recycling ist energieintensiv und verbraucht natürliche Ressourcen", erklärt Katharina Istel vom Nabu den Nachteil der Einwegflaschen.

Mehrweg-Glasflaschen können zwar eine gute Option sein – aber nur, wenn das Getränk in der Region abgefüllt wird. Haben die Flaschen einen langen Transportweg, schlägt das Plastik das Glas aufgrund des geringeren Eigengewichts. Am schlechtesten schneiden Dosen und Einweg-Glasflaschen ab.

Streitthema Milchkarton

Umstritten sind Getränkekartons, zum Beispiel für Milch oder Saft. Das ifeu kommt zu dem Schluss, dass sie gegenüber PET-Einwegflaschen die bessere Alternative sind. Vor allem bei Milch ist nach Angaben des Nabu damit der Karton die beste Option. Mehrwegflaschen aus Glas hätten oft einen weiten Weg hinter sich, da es für sie nur wenige Milch-Abfüllstationen in Deutschland gebe – das trübt die Klimabilanz.

Die Deutsche Umwelthilfe hingegen kritisiert, der Getränkekarton werde seinem umweltfreundlichen Image nicht mehr gerecht – und rät zur Mehrwegflasche. Häufig seien zwischen die Pappe mehrere Schichten aus Plastik und Aluminium eingearbeitet und die Kartons seien schwerer als vor 20 Jahren. Damit verbrauchten sie mehr Ressourcen und die Ökobilanz habe sich drastisch verschlechtert.

Einwegglas: "ökologisch gesehen eine Katastrophe"

Auch bei anderen Supermarktprodukten gelte: Plastik ist nicht die schlechteste Option, erklärt Experte Guido Reinhardt vom ifeu. "Einwegglas ist ökologisch gesehen eine absolute Katastrophe. Das hat eine 20-fach schlechtere Öko-Bilanz als der Verbundkarton oder der Plastikbeutel."

Das zeigen auch Daten einer Studie des Öko-Instituts Wuppertal: Für die Verpackung von 100 Gramm Erbsen im Glas fallen 61 Gramm CO2 an – bei Erbsen in der Dose sind es nur 35 Gramm, bei tiefgekühlten sogar nur 10 Gramm.

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Kann man also guten Gewissens zu verpackten Produkten greifen? Ja, sagt Experte Reinhardt – und sie können zudem auch helfen, der Verschwendung von Lebensmitteln entgegenzuwirken.

"Der Vorteil bei Tiefkühlprodukten ist, dass ich nur eine Handvoll Erbsen aus der Tiefkühltruhe nehmen kann, also nur genau die Menge, die ich dann auch esse." Das sei bei Konserven prinzipiell ähnlich. "Aber wenn ich eine riesige Konservendose habe, nur die Hälfte esse und die andere Hälfte wegschmeiße, dann wird es bei Konserven kontraproduktiv." Denn was einmal auf dem Tisch stand und dann im Müll lande, habe eine enorm hohe CO2-Last – egal wie es vorher verpackt gewesen sei.

Plastikbeutel statt Plastikbox

Kritisch werde es hingegen, "wenn sechs Äpfel auf einem Styroporteller mit Plastikfolie drumherum verkauft werden". Die dünnen Plastik-Knotenbeutel, die in der Obst- und Gemüseabteilung aushängen, schneiden besser ab, zeigt eine Studie des Nabu: Sogenannte Vorverpackungen, wie Plastikboxen für Beeren oder Pappschalen für Tomaten, verbrauchen im Schnitt sieben Mal mehr Material als der Knotenbeutel.

Daher rät Nabu-Expertin Istel von einem Verbot, wie es immer wieder diskutiert wird, ab: "Der Knotenbeutel hat weniger negative Auswirkungen auf Natur und Umwelt als die Vorverpackung." Die Umweltschutzorganisation rät, Obst oder Gemüse lose mitnehmen oder einen mehrfach verwendbaren Beutel nutzen.

Öko-Katastrophe Stoffbeutel?

Nach Hause trägt man seinen Einkauf dann am besten mit einem Stoffbeutel – wenn man vorhat, diesen sehr häufig wiederzuverwenden. Denn der Anbau von Baumwolle hat eine schlechte Klimabilanz – unter anderem durch den Verbrauch von Flächen, Wasser und Pestiziden. Das dänische Umweltministerium errechnete 2018, dass man einen Baumwollbeutel 53 Mal wiederverwenden müsste, um die Bilanz der klimafreundlichsten Tüte zu erreichen – die eine Plastiktüte ist. Bei Beuteln aus Biobaumwolle steigt der Wert aufgrund des höheren Flächenbedarfs sogar auf 150 Wiederverwendungen.

"Den Stoffbeutel sollte man nur kaufen, wenn man weiß, dass man ihn auch wirklich oft benutzen wird und er nicht einfach nach einmaliger Nutzung im Schrank landet", rät Istel.

Die Entscheidung mit der besseren Ökobilanz: Eine normale Plastiktüte kaufen und diese oft wiederverwenden, zum Schluss als Mülltüte. Das geht jedoch nicht mehr lange: Ab Januar 2022 wird der Großteil der Plastiktüten in Deutschland verboten – bereits jetzt dürfen sie nicht mehr kostenlos abgegeben werden.

Davon hält Experte Reinhardt wenig: "Der ganze Plastiktüten-Aktionismus ist aus Umweltsicht eine völlige Fehlentwicklung. Aber das war schnell und einfach umgesetzt und bringt Geld und Steuern, weil die Tüten jetzt verkauft werden müssen. Das war populistisch und hilft der Umwelt nicht viel."

Papiertüten: Noch schlechter als Plastik

Auch Katharina Istel vom Nabu kritisiert: Das Verbot der Plastiktüten ist nur sinnvoll, wenn auch weniger Einwegpapiertüten erlaubt wären. Papiertüten bestehen in den meisten Fällen nicht aus Altpapier, sondern aus frischen Holzfasern. Deren Herstellung benötigt viel Energie und Wasser, zudem besteht eine stabile Papiertüte im Vergleich zur Plastik-Alternative aus mehr Material. "Alle Ökobilanzen zeigen, dass die Papiertüte noch schlechter abschneidet als die Plastiktüte", bestätigt die Expertin.

Wissenschaftler Reinhardt beurteilt Papiertüten ebenfalls kritisch – auch, weil sie meist nicht oft wiederverwendet werden. Er beruhigt jedoch: Viel wichtiger als die Verpackung sei häufig der Inhalt. "Wir sollten unsere Gesellschaft mehr in die Hauptzielrichtung lenken: Essensrestvermeidung, weniger Fleisch, weniger Milchprodukte, mehr Bio, mehr fair gekaufte Lebensmittel. Damit tut man ein Zigfaches mehr als mit der Überlegung, ob man einen Stoffbeutel nimmt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräche mit Guido Reinhardt, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, und Katharina Istel, Nabu
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