"Wir sind in mehreren Kriegen gleichzeitig"
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
WΓ€hrend der Krieg in der Ukraine die Nachrichten beherrscht, geht ein anderer Kampf unvermindert weiter: Die Klimakrise bedroht die Menschheit auf der ganzen Erde, wie der neue Weltklimabericht zeigt. Warum Aufgeben keine Option ist, erklΓ€rt Eckart von Hirschhausen.
Momentan ist einem wirklich nicht nach weiteren Weltuntergangsszenarien zumute. Und auch als grundsΓ€tzlich optimistischer Mensch vergeht mir gerade der Humor.
Mein MitgefΓΌhl ist voll bei den Menschen, die um ihr Leben fΓΌrchten mΓΌssen. Dennoch: Wir haben einen Krieg an mehreren Fronten, und es gibt eine innere Verbindung zwischen den Konfliktherden.
Auf meinem Buch "Mensch, Erde! Wir kΓΆnnten es so schΓΆn haben" prangt ein Sticker: "Drei Krisen zum Preis von zweien". Damit meinte ich die Pandemie, das Artensterben und die Klimakrise. Aber es passt auch zu dem Kampf um fossile Energie, um Wasser und Boden.
Ohne Klimaschutz kein Frieden
Dr. Kira Vinke, die Leiterin des Zentrums fΓΌr Klima und AuΓenpolitik bei der Deutschen Gesellschaft fΓΌr AuswΓ€rtige Politik, beschreibt es so:
"Der neue IPCC-Bericht unterstreicht, dass die Klimakrise eine fundamentale Bedrohung fΓΌr Frieden und StabilitΓ€t ist β auch in Europa. FΓΌr Deutschland ergibt sich daraus die zwingende Notwendigkeit, auΓen- wie innenpolitisch multiple Krisen gleichzeitig zu bewΓ€ltigen."
"WΓ€hrend unmittelbar Ressourcen gebΓΌndelt werden mΓΌssen, um Angriffe auf die EuropΓ€ische Friedensordnung abzuwenden, lenkt der Weltklimarat unseren Blick wieder auf die dramatischen Folgen, die eine entfesselte Klimakrise nach sich ziehen wird. Ohne Klimaschutz kein Frieden β das gilt nach wie vor und bestΓ€tigt auch die bestehenden energiepolitischen AbhΓ€ngigkeiten von Russland."
Die ErderwΓ€rmung ist schlimmer als Covid-19
Jedes Jahr sterben laut Weltgesundheitsorganisation WHO ΓΌber acht Millionen Menschen an Luftverschmutzung, also weitaus mehr als bislang in der Summe an Covid-19. Ich mΓΆchte nichts verharmlosen, aber in Relation bringen.
Dort wo die Luft dreckig ist, gibt es auch mehr Corona-Tote. In unserem KΓΆrper kommen ja alle schΓ€digenden EinflΓΌsse zusammen. Und Luftverschmutzung entsteht maΓgeblich durch das Verbrennen von fossilen EnergietrΓ€gern wie Kohle. Genau die Treiber der ErderwΓ€rmung, die die AtmosphΓ€re belasten, belasten uns im Inneren.
Am Montag ist der neue IPCC-Bericht erschienen. Darin verweist der Weltklimarat darauf, dass schon jetzt 3,3 bis 3,6 Milliarden der knapp acht Millionen Menschen weltweit durch den Klimawandel "hochgradig gefΓ€hrdet" sind!
Dr. Eckart von Hirschhausen (54) ist Arzt, Wissenschaftsjournalist und GrΓΌnder der Stiftung "Gesunde Erde β Gesunde Menschen". Seit 2018 setzt er sich fΓΌr eine medizinisch und wissenschaftlich fundierte Klimapolitik ein. Von Hirschhausen ist Mitglied der Scientists for Future und UnterstΓΌtzer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit.
Wir sind viel verletzlicher, als wir denken
Viel zu lange haben wir geglaubt, das wird alles nicht so schlimm. Und irgendwie werden wir etwas erfinden, was uns aus der Patsche hilft, oder wir werden uns anpassen kΓΆnnen. Eine gefΓ€hrliche Illusion. Wir Menschen sind viel verletzlicher, als unser Hirn uns vorgaukelt.
Es ist ja psychologisch gesund, sich nicht stΓ€ndig mit der Vollkatastrophe zu beschΓ€ftigen β aber auf Dauer ist es kindisch, wie wir ignorieren, dass wir gerade gleichzeitig TΓ€ter und Opfer sind. Wir zerstΓΆren den einzigen Ort, auf dem wir leben kΓΆnnen: die Erde.
Gesunde Erde β Gesunde Menschen
Wir Menschen brauchen als Allererstes etwas zu essen, zu trinken, zu atmen, um gesund zu sein. Und ertrΓ€gliche AuΓentemperaturen. All das ist bedroht.
Das heiΓt: Wir mΓΌssen nicht das Klima retten, sondern uns! Naturschutz und Tierschutz ist auch Gesundheitsschutz β wenn wir das aus dem vergangenen Jahr gelernt haben, war es wenigstens zu etwas gut. Dieser Kerngedanke nennt sich international "one health" oder auf Deutsch: Gesunde Erde β Gesunde Menschen. Doch das ist vielen Leuten noch immer nicht voll bewusst.
Niemand schaut hin
In der Netflix-Satire "Don't Look Up" warnen Forscher die Welt vor einer Katastrophe β und werden ignoriert. Das bringt es leider auf den Punkt: Wir haben eine Klimakatastrophe und keiner guckt hin.
Als Arzt habe ich gelernt: erst die Diagnose, dann die Therapie. Wenn vielen Menschen immer noch nicht klar ist, in welcher wirklich bedrohlichen Situation wir sind, braucht es eine unverblΓΌmte Schilderung dessen, was heute schon passiert. Und was an Krisen, Konflikten und Vollkatastrophen auf uns zukommt, wenn wir nicht handeln.
Es gibt kein ZurΓΌck
Denn das liegt in der Natur der Kipppunkte: Kein Geld, keine Erfindung und keine Macht der Welt kann sie rΓΌckgΓ€ngig machen, wenn sie einmal ΓΌberschritten sind.
Auch das steht im neuen IPCC-Bericht: Hitzewellen und Extremwetter lΓΆsten schon vielfach ein Massensterben aus. Mittlerweile ist fΓΌr einige wenige Arten sicher belegt, dass sie durch den Klimawandel endgΓΌltig ausgestorben sind. Diese Arten kehren nie mehr zurΓΌck.
Auch ganze Γkosysteme nΓ€hern sich dem Punkt, an dem sie sich nicht mehr retten lassen β zum Beispiel durch den RΓΌckzug der Gletscher oder weil die PermafrostbΓΆden in der Arktis auftauen. Und wenn die Gletscher und Eismassen an den Polkappen abgeschmolzen sind, setzen Kettenreaktionen ein, die es ebenfalls immer heiΓer werden lassen.
Wir haben alles zu verlieren an Gesundheit und Wohlstand, wenn wir tatenlos zusehen. Und sehr viel an LebensqualitΓ€t zu gewinnen, wenn wir uns aufraffen, die Klimakrise zu stoppen. Sie bedroht massiv unsere Gesundheit, weltweit und eben auch in Deutschland.
Zehntausende Hitzetote in Deutschland
Das wird mit jedem Hitzesommer und jedem Extremwetterereignis klarer: Die Klimakrise betrifft nicht nur EisbΓ€ren und ferne KΓΌstenregionen β sie betrifft uns hier, heute und erst recht in Zukunft. Sie betrifft jedes Organ, jedes Kind, jeden alten Menschen.
Beispiel Hitze: Im Extremsommer 2018 sind allein in Deutschland 20.000 Menschen gestorben. Hitze ist ein medizinischer Notfall. Der KΓΆrperteil, der am wenigsten Hitze vertrΓ€gt, ist unser Gehirn.
Lange bevor wir mit Hitzschlag zusammenbrechen, reduziert sich klammheimlich unsere geistige Leistung, unser Wohlbefinden und unsere seelische Gesundheit. Bei jedem Rechner wissen wir, der Zentralspeicher geht in die Knie, wenn er nicht gekΓΌhlt wird.
Das ist bei unserem Zentralrechner da oben genau das Gleiche. Weil wir also nicht mehr klar denken kΓΆnnen, werden psychische Erkrankungen wahrscheinlicher und es kommt vermehrt zu UnfΓ€llen. Wir Γrzte kΓΆnnen bei Fieber die KΓΆrpertemperatur zwar senken. Aber wir kΓΆnnen keine AuΓentemperatur senken.
Unser Hirn ist bei 42 Grad futsch
Der Glaube, wir kΓΆnnten uns an Hitze gewΓΆhnen, ist leider eine groΓe Illusion. Wir sind Menschen und keine Maschinen. Menschen sind biologische Wesen, unser KΓΆrper ist anfΓ€llig und verletzlich. Klar, im Urlaub, in der Sauna, im begrenzten Rahmen reguliert das unser SchweiΓ, unser Kreislaufsystem. Aber wir kommen sehr schnell an unsere Grenze.
Ich mache das immer gern anschaulich: Wenn man ein Ei in ein heiΓes Wasserbad mit 42 Grad legt, dann ist es irgendwann hart. Wenn das Wasser abkΓΌhlt, wird es nicht mehr weich.
Γhnlich ist das beim Menschen: Wir bestehen wie ein Ei aus Wasser und aus Proteinen. Unser Hirn ist bei 42 Grad futsch. Es ist irreversibel gestΓΆrt. Trotzdem haben wir in Deutschland nicht aus den vergangenen Hitzewellen gelernt.
Ohne Schutz in den nΓ€chsten Supersommer
Warum gibt es bei uns nicht wie in jeder fanzΓΆsischen Kommune HitzeschutzplΓ€ne? Gegen Viren kann man impfen, gegen Hitze nicht. Besonders gefΓ€hrdet sind Kinder, Γltere und Vorerkrankte.
Wie viele KrankenhΓ€user, Altenheime, Kinder- und Pflegeeinrichtungen sind schon hitzeresilient? Die meisten stammen aus einer Zeit, in der niemand an WΓ€rmeeintrag, Verschattung, DachbegrΓΌnung und DeckenkΓΌhlung gedacht hat.
Hier braucht es eine intelligentere Stadtplanung, denn in StΓ€dten ist die Hitzebelastung besonders hoch. Und die ErderwΓ€rmung bringt noch weitere gesundheitliche Probleme mit sich.
Tropenkrankheiten vor der HaustΓΌr
Die MΓΌcken kommen als blinde Passagiere mit Autos und Lastwagen aus dem SΓΌden β und sie kΓΆnnen Viren mitbringen, die wir bei uns noch nicht hatten. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Und gegen die WΓ€rme.
In meiner Ausbildung zum Arzt spielte das Thema Klimawandel ΓΌberhaupt keine Rolle. Wir lernten etwas ΓΌber Tropenkrankheiten wie das West-Nil-Fieber, aber keiner hat uns darauf vorbereitet, dass wir das jemals in echt diagnostizieren wΓΌrden β vor unserer HaustΓΌr.
Im Jahr 2019 ist in Deutschland erstmals eine durch MΓΌcken ΓΌbertragene Infektion und Erkrankung mit dem West-Nil-Virus bekannt geworden, in Sachsen. Mittlerweile gab es auch in Berlin erste FΓ€lle.
Steigende Temperaturen bringen aber noch mehr durcheinander: Milde Winter verschieben die Flugzeiten der Pollen. Im Januar blΓΌht schon die Hasel β und Allergikern blΓΌht ab dann der Heuschnupfen. Wir haben auch plΓΆtzlich die FrΓΌhsommer-Meningoenzephalitis (FSME) schon im Januar. Alles sehr ungesund. All diese Bedrohungen kΓΆnnen einem auch auf die Psyche schlagen.
Wo wollen wir denn hin?
Die Klimakrise hat ja alle Merkmale eines Ereignisses, das uns traumatisiert: extreme Wetterlagen, steigende Meeresspiegel, DΓΌrren, Γberschwemmungen, WaldbrΓ€nde. Die VerΓ€nderungen machen Angst und sie sind irreversibel.
Das unterscheidet die Klimakrise von anderen Krisen. Wo sollen wir denn hin, wenn wir hier nicht mehr sein kΓΆnnen? Unsere Psyche reagiert mit Unsicherheit, Ohnmacht, einem GefΓΌhl von Hilflosigkeit: "Eco-Distress".
Der australische Umweltphilosoph und Nachhaltigkeits-Professor Glenn Albrecht hat den Begriff der "Solastalgie" erfunden. Solastalgie ist der Schmerz um den Verlust unserer Umwelt.
Die seelischen Folgen des Klimawandels wurden bislang noch nicht systematisch erfasst. Hier gibt es groΓen Nachholbedarf, denn sie kΓΆnnten in Zukunft zu den hΓ€ufigsten Nebenwirkungen der Klimakrise gehΓΆren. Aufgeben ist trotzdem keine Option.
Die nΓ€chsten Jahre entscheiden alles
FΓΌr ein besseres GefΓΌhl kann es schon helfen, sich immer wieder gezielt positive Gegenbeispiele vor Augen fΓΌhren. Oder man wird selbst aktiv: Jede und jeder kann etwas tun und dadurch gleichzeitig jede Menge an LebensqualitΓ€t gewinnen.
Rad statt Auto, Zug statt Flugzeug und GemΓΌse statt Fleisch. Wir kΓΆnnten viel klarer betonen, welche Vorteile wir selbst haben, wenn wir fΓΌr den Klimaschutz handeln.
Und ganz wichtig: Der Einzelne hat die grΓΆΓte Wirkung, wenn er kein Einzelner bleibt! Machen Sie sich schlau, finden Sie VerbΓΌndete. Welche Personen kennen Sie, die noch mehr MΓΆglichkeiten haben etwas zu verΓ€ndern, als Sie selbst?
Der jΓΌngste IPCC-Bericht sagt: Je weniger wir den Planeten erwΓ€rmen, desto weniger schΓ€dlich wird der Klimawandel sein. HeiΓt: Die CO2-Konzentration wird sich in der AtmosphΓ€re stabilisieren, wenn die Emissionen auf null reduziert werden.
Die nΓ€chsten zehn Jahre entscheiden darΓΌber, wie die nΓ€chsten 10.000 Jahre fΓΌr unsere Zivilisation werden. Wir haben alles zu verlieren. Und deshalb ganz viel zu gewinnen. Wir kΓΆnnen es so viel schΓΆner haben als jetzt β und so viel gesΓΌnder!
Die in GastbeitrΓ€gen geΓ€uΓerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.