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Klimakrise | Experte über Erhitzung der Weltmeere: "Meere haben Fieber"


Hitzewelle unter Wasser
"Sollte das passieren, würde Europa in Eiszeit versinken"

InterviewVon Lucas Maier

18.03.2024Lesedauer: 4 Min.
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Die Meere werden wärmer: Diese Grafik zeigt die durchschnittliche Temperatur der Meeresoberfläche weltweit.Vergrößern des Bildes
Die Meere werden wärmer: Diese Grafik zeigt die durchschnittliche Temperatur der Meeresoberfläche weltweit. (Quelle: Climate Change Institute/PR-bilder)

2024 ist auf dem besten Weg, zum Jahr der Negativrekorde zu werden. Auch unsere Meere werden davon nicht verschont. Meeresexperte Till Seidensticker über Ursachen und Hoffnung.

Die Durchschnittstemperaturen auf unserem Planeten steigen so drastisch wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Ein Hitzerekord jagt den nächsten: Der Januar war milder als jeder Januar zuvor und das 1,5-Grad-Ziel ist in weite Ferne gerückt.

All das sind Auswirkungen der Klimakrise. Und noch ein weiterer Negativrekord wurde mittlerweile gebrochen: Die Meere sind im Durchschnitt so warm wie noch nie – zumindest seit Aufzeichnungsbeginn im Jahr 1981. t-online hat mit dem Meeresexperten Till Seidensticker von der Umweltorganisation "Greenpeace" über die Folgen und einen möglichen Ausweg gesprochen.

t-online: Herr Seidensticker, sind die Meere aktuell so warm wie noch nie?

Till Seidensticker: Am 14. März des letzten Jahres wurde eine durchschnittliche Meerestemperatur von 21 Grad gemessen – das gab es noch nie. Seitdem überstieg die Temperatur der Meere an jedem Tag die seit 1981 gemessenen Werte. Ein Jahr der täglichen Rekorde – das ist dramatisch.

Warum ist das ein Problem?

Anders als in den Jahren zuvor sehen wir seit dem Stichtag keine Fieberkurven mehr. Das bedeutet, die mittlere Oberflächentemperatur der Ozeane ist die ganze Zeit auf diesen Toplevel geblieben und nicht gefallen – unsere Meere haben quasi durchgehend Fieber.

Welche Folgen hat das?

Die Hitzewelle unter Wasser hat ganz direkte Folgen für uns Menschen: Hurrikans treten dadurch häufiger auf. Große Meeresströmungen wie der Golfstrom drohen aus dem Gleichgewicht zu fallen. Sollte das passieren, würde Europa in einer Eiszeit versinken.

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Das See-Eis in der Arktis geht immer schneller zurück. Das hat am Ende das Aussterben der Eisbären zur Folge. Aber auch die Meere als solche leiden unter dem Hitzestress. Erschwerend kommt die durch den CO₂-Gehalt in der Atmosphäre bedingte Versauerung der Weltmeere hinzu. Es kommt zu massiven Auswirkungen für große Ökosysteme in den Weltmeeren. Wir sehen ein Massensterben bei Korallen.

Wie dramatisch ist so ein Massensterben bei Korallen?

Korallenriffe wie das Great Barrier Reef vor Australien zählen zu den ältesten Ökosystemen auf unserem Planeten. Sie sind der Lebensraum von rund einem Viertel aller Meerestiere und Pflanzen. Durch den Hitzestress geht die lebenserhaltende Symbiose, welche die Korallen mit Plankton haben, verloren. Die Korallen sind dann dem Tod geweiht und sterben ab.

Till Seidensticker
Till Seidensticker (Quelle: Wolfram Kastl)

Zur Person

Till Seidensticker ist von Haus aus Wirtschaftsingenieur für Seeverkehr und seit 7 Jahren im Bereich Meeresschutz international für Greenpeace tätig. Als Nautiker, Aktivist und Kampaigner hat er an etlichen internationalen Greenpeace-Aktionen und Schiffexpeditionen teilgenommen, darunter etwa an der "Pole to Pole"-Tour, bei der Greenpeace über ein Jahr mit zwei Schiffen von der Arktis zur Antarktis unterwegs war. Dort begleitete er unterschiedliche Untersuchungen und Dokumentationen von Korallenriffen über Plastikverschmutzung bis zu Überfischung und dem maritimen Klimawandel. Seit zwei Jahren arbeitet er als Meeres-Kampaigner bei Greenpeace Deutschland.

Bei einer Klimaerhitzung auf zwei Grad über dem vorindustriellen Zeitalter hätte das eine Vernichtung nahezu aller tropischen Korallenriffe zur Folge. Hier werden riesige Ökosysteme für immer vernichtet – deshalb wird das Korallensterben auch als Klimakipppunkt bezeichnet.

Welche Effekte hätte diese Entwicklung auf uns Menschen?

Ganz konkret hätten wir mit einem massiven Rückgang bei der Fischpopulation zu kämpfen, was sich auf die Nahrungsmittelsicherheit weltweit auswirken könnte. Davon abgesehen werden Arten aussterben, von denen wir nicht einmal wissen, dass es sie gibt – was für den medizinischen Fortschritt ein Problem darstellt. Heilstoffe könnten für immer verloren gehen. Die wohl drastischste Folge wird allerdings sein, dass die Resilienz der Meere verloren geht – also die Fähigkeit sich zu regenerieren.

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Quelle: t-online

Wirft man einen Blick auf die Temperaturanstiege der vergangenen Jahre, sieht das erst mal gar nicht so drastisch aus. Warum sind die kleinen Sprünge trotzdem so problematisch?

Es sind kleine Sprünge mit riesigen Effekten. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier von Durchschnittswerten sprechen, was bedeutet, dass wir in einigen Regionen durchaus extreme Anstiege sehen. Teils sind es mehrere Grad.

Die Extremtemperaturen sind dann auch der Auslöser für Massensterben oder Hurrikans. Die Durchschnittswerte fungieren hier eher als globales Warnsignal an die Menschheit.

Welche konkreten Ursachen hat die Erhitzung der Meere?

Das ist eine direkte Folge der Treibhausgasemissionen. Also der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle. Man muss es im großen Zusammenhang sehen – es ist eine direkte Folge der menschengemachten Klimakrise.

Gibt es noch Hoffnung für unsere Weltmeere?

Ja, es gibt noch Hoffnung – aber dafür müssen wir jetzt handeln. Wir müssen aufhören, Öl, Gas und Kohle zu verfeuern. Die Treibhausgasemissionen müssen drastisch gesenkt werden. Neben der generellen Bekämpfung der Klimakrise müssen wir auf unsere Weltmeere ganz besonders Acht geben. Sie dürfen keinem weiteren Stress ausgesetzt werden.

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Quelle: t-online

Dafür müssen wir Meeresschutzgebiete einrichten. In denen Seebodenbergbau verboten, Tourismus, Fischerei und Schifffahrt begrenzt werden. Gebiete frei von industrieller Nutzung braucht es sowohl auf hoher See als auch in Küstenregionen.

Im vergangenen Jahr haben sich die UN auf solche Schutzgebiete geeinigt.

Richtig, auch Deutschland hat das UN-Übereinkommen zum Schutz der Meere unterzeichnet. Eine Ratifizierung steht allerdings noch aus. Dabei könnte Deutschland ein Vorreiter für den Schutz der Meere sein. Wir von Greenpeace fordern eine umgehende Ratifizierung des Übereinkommens.

 
 
 
 
 
 
 

Von den rund 70 Unterzeichnern des Übereinkommens müssen es 60 ratifizieren, damit es in Kraft tritt. Bisher haben es zwei Staaten ratifiziert – das geht viel zu langsam. Das Abkommen würde große Meeresschutzgebiete ermöglichen. Wir fordern, dass sich bis 2030 rund 30 Prozent unserer Weltmeere in solchen Zonen befinden.

Die Klimakrise können wir nicht mehr stoppen, so viel ist sicher. Aber wir können andere Stressfaktoren reduzieren und damit Ökosystemen die Möglichkeit geben, sich zu regenerieren.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Till Seidensticker
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