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EU-Vertrag mit Astrazeneca: "Er ist ungewöhnlich ungenau formuliert"


Impfstreit mit Astrazeneca
Experte zum Vertrag: "Er ist ungewöhnlich ungenau formuliert"

InterviewVon Camilla Kohrs

30.01.2021Lesedauer: 4 Min.
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Der EU-Vertrag mit dem Impfstoffhersteller Astrazeneca: Passagen zu Finanzierung und Liefermengen wurden geschwärzt.Vergrößern des Bildes
Der EU-Vertrag mit dem Impfstoffhersteller Astrazeneca: Passagen zu Finanzierung und Liefermengen wurden geschwärzt. (Quelle: Dirk Waem/BELGA/imago-images-bilder)

Die EU und das Pharmaunternehmen Astrazeneca streiten um die Impfstofflieferungen. Wer hat recht, wer unrecht? Der Europa- und Medizinrechtsprofessor Hilko Meyer erklärt, was von dem Vertrag zu halten ist.

Noch bevor der Impfstoff von Astrazeneca in der EU überhaupt zugelassen wurde, gab es schon Ärger. Das Unternehmen teilte vor einer Woche überraschend mit, der EU zunächst viel weniger Impfstoff zu liefern als vorgesehen. Diese Nachricht löste in Brüssel nicht nur Sorge, sondern auch Empörung aus. Ein regelrechter Streit um kritische Vertragspassagen entbrannte.

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Seit Freitag ist der Kontrakt zwischen der EU und dem Impfstoffhersteller im Internet – bis auf einige geschwärzte Passagen – frei einsehbar. Wer hat also recht, wer nicht? Der Europa- und Medizinrechtsprofessor Hilko Meyer beantwortet t-online die wichtigsten Fragen.

t-online: Herr Meyer, hat die EU einen schlechten Vertrag mit Astrazeneca abgeschlossen?

Hilko Meyer: Besonders gelungen ist er sicherlich nicht. Jedenfalls sind erst einmal beide Parteien beschädigt: Die EU steht mit leeren Händen da und Astrazeneca stößt den großen europäischen Markt vor den Kopf. Aber ich glaube nicht, dass das etwas mit dem Kleingedruckten des Vertrags oder den geschwärzten Passagen zu tun hat. Eher schon mit einer Machtprobe zwischen Großbritannien und der EU.

Wie meinen Sie das?

Angesichts der ernsten Pandemielage wären beide Seiten gut beraten, wenn sie sich schleunigst einigen würden. Die EU hat gestern Abend noch eine befristete Notverordnung zur Exportkontrolle für Impfstoffe erlassen und damit auch den Druck auf Großbritannien erhöht. Dass der Astrazeneca-Streit unmittelbar nach dem endgültigen Austritt Großbritanniens erfolgt, dürfte kein Zufall sein.

Dr. Hilko J. Meyer ist Professor für Europarecht, europäisches Wirtschaftsrecht und Recht des Gesundheitswesens an der Frankfurt University of Applied Sciences. Er befasst sich vor allem mit dem deutschen und europäischen Arzneimittel-, Apotheken- und Gesundheitsrecht.

Astrazeneca hat der EU die Liefermengen gekürzt. Die EU spricht von Vertragsbruch, Astrazeneca-Chef Pascal Soriot hingegen begründete die Kürzungen unter anderem damit, dass die EU ihren Liefervertrag später abgeschlossen habe als Großbritannien. Lässt sich sagen, wer im Recht ist?

Der gestern veröffentlichte Vertrag vom 27. August 2020 enthält eine ausdrückliche Garantieerklärung von Astrazeneca an die Kommission und die teilnehmenden Mitgliedstaaten, die auf den ersten Blick gegen Astrazeneca spricht. In dieser Klausel (13.1.e) sichert das Unternehmen zu, dass es keiner vertraglichen oder sonstigen Verpflichtung gegenüber einer Person oder einem Dritten unterliegt, die das Unternehmen daran hindert, diesen Vertrag zu erfüllen. Das bezieht sich ausdrücklich auf die in der Präambel genannten 300 Millionen Impfdosen. Demnach kann sich Astrazeneca nach meiner Einschätzung nicht auf eine vorrangige Lieferpflicht aufgrund des drei Monate vorher abgeschlossenen Vertrags mit Großbritannien berufen. Die Frage ist nur: Besteht überhaupt eine Lieferverpflichtung gegenüber der EU?


Das führt uns zu der umstrittenen "Best reasonable Effort"-Klausel. Der Chef von Astrazeneca sagt, er sei nicht zu festen Lieferungen verpflichtet, sondern lediglich dazu, sein "Bestes" zu tun. Ursula von der Leyen sagt, die Klausel gelte nur für die Zeit der Entwicklung des Impfstoffes. Was stimmt?

Beides kann ich dem Vertrag nicht entnehmen, weil er ungewöhnlich ungenau formuliert ist. Darin unterscheidet er sich auffällig von dem im Juni 2020 mit dem Tübinger Impfstoffhersteller Curevac geschlossenen Vertrag. Der Curevac-Vertrag legt eindeutig die Lieferung einer definierten Impfstoffmenge als Vertragsgegenstand fest und regelt auf dieser Basis, dass der Hersteller die dafür erforderliche Zulassung und die für die vertraglich vereinbarte Liefermenge erforderlichen Produktionskapazitäten erreichen muss. Die dort "reasonable best effort" genannte Klausel bezieht sich nur auf die Schaffung dieser Voraussetzungen, die die EU mit ihren zugesagten Vorauszahlungen fördert. All das wird im Astrazeneca-Vertrag wild zusammengewürfelt, sodass die Impfstofflieferung zwar vorkommt, aber nicht mehr ausdrücklich als eigentlicher Vertragszweck definiert ist.

Wie können wir Nicht-Juristen das verstehen?

Anders als im Curevac-Vertrag kommt die Verpflichtung Astrazenecas zur Impfstofflieferung nicht mehr ausdrücklich vor.

Hätte man die Klausel nicht einfach weglassen können?

Nein. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses konnte man zwar den Umfang der Lieferung klar als Vertragsleistung definieren, aber man konnte nicht sicher wissen, ob die Leistung selbst mit größter Anstrengung fristgerecht sichergestellt werden kann. Aber wenn die Klausel an die Stelle einer klar definierten Lieferverpflichtung tritt, bleibt davon in der Tat nicht viel mehr übrig, als dass man sich bemühen werde. Auch andere Passagen, zum Beispiel zur Einbeziehung britischer Produktionsstätten in den Vertrag, sind alles andere als eindeutig formuliert.

Wenn es zum Rechtsstreit kommt: Wer hat die besseren Chancen?

Das ist aus meiner Sicht völlig offen. Das Problem liegt vor allem darin, dass die Auslegung von Verträgen von den unterschiedlichen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich interpretiert wird. In Deutschland wäre es wohl ein Verstoß gegen das Rechtsprinzip Treu und Glauben, wenn sich der Vertragspartner später hinstellt und sagt, ich wusste gar nicht, dass es dem Abnehmer auf pünktliche Impfstofflieferung ankommt. Das sieht im britischen Common Law, aus dem offenkundig die oben genannte Klausel in den Vertrag eingeflossen ist, ganz anders aus. Dort gilt prinzipiell nur, was ausdrücklich im Vertrag steht.

Noch komplizierter wird es dadurch, dass der englischsprachige Vertrag, der zwischen der EU-Kommission und der schwedischen Zentrale von Astrazeneca geschlossen wurde, dem belgischen Recht und der Jurisdiktion der Brüsseler Gerichte unterliegt. Es ist daher nicht seriös vorherzusagen, wie ein solcher Rechtsstreit ausgehen würde. Und bis es da ein Ergebnis geben würde, wären wir ohnehin schon alle geimpft.

Herr Meyer, wir bedanken uns für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Dr. Hilko Meyer
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