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Todesgefahr im Iran größer denn je: "So sieht Leid und tiefster Schmerz aus"


Beispiellose Hinrichtungswelle im Iran
"So sieht Leid und tiefster Schmerz aus"


Aktualisiert am 25.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Proteste in Teheran: Seit Beginn des Jahres ließ das Mullah-Regime Dutzende Menschen hinrichten.Vergrößern des Bildes
Proteste in Teheran: Seit Beginn des Jahres ließ das Mullah-Regime Dutzende Menschen hinrichten. (Quelle: Rouzbeh Fouladi/imago-images-bilder)

27 Menschen sind im Iran seit Donnerstag gehängt worden – trotz Sanktionen gegen das Regime. Für Gefangene ist die Todesgefahr womöglich größer denn je.

Wenige Tage vor ihrem Tod richteten Saleh Mirhaschemi, Madschid Kasemi und Said Jakobi einen verzweifelten Appell an das iranische Volk: "Lasst nicht zu, dass sie uns töten. Wir brauchen eure Hilfe", stand unter anderem auf einem abgerissenen Blatt Papier, das die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verbreitete.

Den Hilferuf hatten die drei iranischen Männer aus einem Gefängnis in Isfahan herausschmuggeln lassen. Doch genützt hat er nichts. Am Freitagmorgen vergangener Woche ließ das Regime der Islamischen Republik sie hinrichten. Der Vorwurf: Sie sollen während der landesweiten Proteste gegen die iranische Staatsführung im November drei Sicherheitskräfte getötet haben.

Mehr als 200 Menschen seit Januar hingerichtet

Die drei Iraner gehören zu den mehr als 200 Menschen, die in dem Land laut UN-Angaben seit Jahresbeginn exekutiert worden sind – wegen ihrer Teilnahme an den landesweiten Protesten oder anderer angeblicher Vergehen (hier lesen Sie mehr dazu). Und ein Ende der Gräuel ist kaum in Sicht.

So verkündeten die EU-Außenminister infolge der Hinrichtungen am Montag zwar weitere Sanktionen gegen Verantwortliche und Organisationen im Iran. Doch unter Beobachtern machen sich Zweifel breit, inwiefern die Strafen das Regime von Brutalität und Folter abhalten.

Denn: Schon vor den jüngsten Hinrichtungen hatte die EU Sanktionen gegen den Iran verhängt. Und dennoch holt das Land nun eine regelrechte Hinrichtungswelle ein.

Deutlich wird das in Zahlen der Menschenrechtsorganisation Hawar. Ihren Angaben zufolge ließ das Mullah-Regime allein seit dem 18. Mai neben den drei Männern in Isfahan 24 weitere Menschen hinrichten. "Viele Fälle bleiben (...) im Verborgenen", kommentiert Gründerin Düzen Tekkal das Posting.

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"So sieht Leid und tiefster Schmerz aus"

Es sind zahlreiche Einzelschicksale, die die Menschen national als auch international bewegen. "So sieht Leid und tiefster Schmerz aus, wenn man den Sohn und den Bruder verloren hat", schreibt Iran-Expertin und Politikwissenschaftlerin Gilda Sahebi am Sonntag zu einem Bild auf Twitter.

Es zeigt Frauen, die weinend an einem Grab sitzen, teilweise liegen. Es soll sich um die Angehörigen des vergangene Woche hingerichteten Saleh Mirhaschemi handeln. "Nicht weil er krank war, einen Unfall hatte oder etwas verbrochen hätte, sondern weil er aus purer Machtgier ermordet wurde", ergänzt Sahebi.

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Laut unabhängigen Schätzungen soll das Regime seit September vergangenen Jahres rund 20.000 Demonstrantinnen und Demonstranten festgenommen haben. Die Anklage mancher Gefangener ist unbekannt, ebenso wie der Ort, an dem sie inhaftiert sind. Vielen von ihnen droht immer noch die Hinrichtung – unter anderem werden sie wegen des angeblichen "Krieges gegen Gott" in Schauprozessen zum Tode verurteilt. Mehr zu den größtenteils unfairen Verhandlungen lesen Sie hier.

Politische Patenschaften sollen Aufmerksamkeit schaffen

Ihr Schicksal erregt auch in Deutschland immer wieder Aufsehen. Immer mehr Politikerinnen und Politiker setzen sich hierzulande für die Freiheit der iranischen Gefangenen ein. Mehr als 230 Bundestagsabgeordnete haben inzwischen eine Patenschaft übernommen.

Eine von ihnen: Ye-One Rhie (SPD), die seit Ende November auf den bekannten iranischen Rapper Toomaj Salehi aufmerksam macht, der wiederum seit Monaten in einem iranischen Gefängnis sitzt, nachdem er das Regime öffentlich kritisiert hatte.

Rhie will ihm eine Stimme geben. Vergangene Woche teilte sie ein Video auf Twitter, das den Rapper zeigen soll. Seine Augen sind verbunden, er kniet auf dem Boden, wirkt hilflos. Solche Aufnahmen wurden bereits von diversen Gefangenen veröffentlicht, die in der Gewalt des Regimes sind und vermutlich durch Folter und Gewalt zu Geständnissen gezwungen werden.

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"Es wird eine Zeit kommen, in der der Iran eine andere Regierung haben wird"

Es gehe bei den Patenschaften vor allem darum, öffentlichen Druck zu erzeugen, sagte Rhie dem Nachrichtensender n-tv. "Als deutsche Abgeordnete stellen wir auch eine andere Fallhöhe für das Regime auf." Die Patinnen und Paten machen sowohl über Briefe an die iranische Botschaft als auch über soziale Medien auf Gefangenschaft, Folter und drohende Hinrichtungen aufmerksam.

"Seitdem es so viele Patenschaften gibt, sind einige bereits angekündigte Hinrichtungen nicht vollstreckt worden", sagte Rhie. Sollte es in Zukunft internationale Untersuchungen gegen das Regime geben, könnten die Patenschaften auch zur Aufarbeitung beitragen. "Es wird eine Zeit kommen, in der der Iran eine andere Regierung haben wird", so die SPD-Politikerin.

Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr übernahm Ende 2022 eine Patenschaft. Anhand des Schicksals seines Paten-"Kindes" zeigt sich aber, dass die Stimmen aus der deutschen Politik gegenüber dem iranischen Regime teilweise machtlos sind: Dürr hatte sich für den vergangene Woche hingerichteten Madschid Kasemi starkgemacht.

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Strenge Verfolgung der Kopftuchpflicht

Derweil hat das Regime Vorschriften für den Alltag von Iranerinnen noch einmal verschärft. Die berüchtigten "Sittenwächter", die einst zur Durchsetzung der islamischen Kleidungsregeln auf den Straßen patrouillierten und für den Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini verantwortlich sein sollen, sind inzwischen nahezu vollständig aus den Städten verschwunden. Stattdessen verfolgen die Behörden Verstöße nun mittels Videoüberwachung. Frauen, die den Hidschab gar nicht oder nicht "ordnungsgemäß" tragen, werden identifiziert, bekommen warnende SMS – und werden bestraft.

Kopftuchpflicht im Iran

Nach der 1979 eingeführten islamischen Scharia sind Frauen im Iran verpflichtet, ihr Haar mit einem Kopftuch zu bedecken und lange, locker sitzende Kleidung zu tragen, um ihre Figur zu verbergen. Wer dagegen verstößt, muss mit Geldstrafen oder Verhaftung rechnen.

"Die Abnahme des Schleiers ist gleichbedeutend mit Feindseligkeit gegenüber (unseren) Werten", erklärte der Justizchef der Islamischen Republik, Gholamhossein Mohseni Edschei, dazu im April. Die Schuldigen würden "ohne Gnade verfolgt".

Dabei ist der Verzicht auf ein Kopftuch zum zentralen Symbol des Widerstands nach Aminis Tod geworden. Viele Frauen zeigen sich öffentlich ohne Kopfbedeckung, verbrennen ihre Tücher. Sie wollen damit zeigen: Der Widerstand endet nicht – egal, was das Regime tut.

Verwendete Quellen
  • fdpbt.de: "Abgeordnete übernehmen Patenschaften für Gefangene in Iran"
  • n-tv.de: "Wie deutsche Politiker Gefangenen im Iran helfen"
  • tagesschau.de: "'Aufmerksamkeit für das Unrecht schaffen'"
  • zdf.de: "Iran: Keine Gnade bei Kopftuch-Verweigerung"
  • twitter.com: Profile von @YeOne_Rhie, @DuezenTekkal, @GildaSahebi
  • instagram.com: Profil von christianduerr
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
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