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Israel: Rückschlag für Netanjahu – Oberstes Gericht kippt Justizreform


Netanjahu in der Krise
Umstrittene Justizreform: Israels Oberstes Gericht kippt Kernelement

Von dpa, lw

Aktualisiert am 02.01.2024Lesedauer: 4 Min.
Benjamin Netanjahu: Der Premierminister von Israel steht enorm unter Druck.Vergrößern des BildesBenjamin Netanjahu: Der Premierminister von Israel steht enorm unter Druck. (Quelle: Ohad Zwigenberg/dpa)
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Mitten im Gaza-Krieg fällen Israels höchste Richter ein Urteil von großer Tragweite. Für den ohnehin angeschlagenen Netanjahu ist es ein weiterer Rückschlag. Eine Staatskrise droht.

Israels Oberstes Gericht hat ein Kernelement der umstrittenen Justizreform in dem Land gekippt. Eine Mehrheit von acht der 15 Richter war dafür, eine im Juli verabschiedete Gesetzesänderung für nichtig zu erklären, wie das Gericht am Montag mitteilte. Die Grundgesetzänderung hatte dem Gericht die Möglichkeit genommen, gegen "unangemessene" Entscheidungen der Regierung, des Ministerpräsidenten oder einzelner Minister vorzugehen. Kritiker hatten gewarnt, dass dies Korruption und die willkürliche Besetzung wichtiger Posten fördern könnte.

Als Begründung hieß es in dem Urteil, die Gesetzesänderung hätte "den Kerneigenschaften des Staates Israel als demokratischem Staat schweren und beispiellosen Schaden zugefügt".

In Israels Geschichte wurde bisher noch nie ein vergleichbares Gesetz vom Obersten Gericht einkassiert. Sollte die rechtsreligiöse Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Entscheidung nicht akzeptieren, droht dem Land eine Staatskrise.

Massiver Widerstand im Parlament

Die Regierung hatte die Gesetzesänderung trotz massiven Widerstands im Parlament durchgesetzt. Israels Oberstes Gericht war daraufhin im September zu einer historischen Gerichtsverhandlung zusammengetreten. Erstmals in der Geschichte des Landes kamen alle 15 Richter zusammen, um über acht Petitionen gegen die verabschiedete Grundgesetzänderung zu beraten.

Die von der Regierung seit ihrer Vereidigung vor einem Jahr massiv vorangetriebene Justizreform hatte die israelische Gesellschaft tief gespalten. Über Monate gingen immer wieder Hunderttausende von Menschen auf die Straße, um dagegen zu protestieren. Kritiker stuften das Vorgehen der Regierung als Gefahr für Israels Demokratie ein. Netanjahus Regierung argumentierte dagegen, das Gericht sei in Israel zu mächtig, man wolle lediglich ein Gleichgewicht wiederherstellen. Verhandlungen über einen Kompromiss waren erfolglos geblieben.

Viele sahen die monatelangen heftigen Streitigkeiten als einen Grund dafür, dass Israel am 7. Oktober von dem verheerenden Angriff der islamistischen Hamas im Grenzgebiet so überrascht werden konnte.

Weiterer Rückschlag für Netanjahu

Der israelische Sender N12 hatte einen Entwurf des Urteils des Obersten Gerichts geleakt. Aus formalen Gründen hatte das Gericht bis zum 12. Januar Zeit zur Veröffentlichung seiner Entscheidung. Justizminister Jariv Levin, der als treibende Kraft hinter der Reform gilt, hatte das Gericht dennoch aufgefordert, die Urteilsverkündung bis nach dem Krieg zu verschieben. "Während unsere Soldaten Seite an Seite an verschiedenen Fronten kämpfen, und während die ganze Nation über den Verlust vieler Leben trauert, darf das Volk Israel nicht durch Streitigkeiten zerrissen werden", argumentierte Levin.

Der israelische Parlamentspräsident Amir Ochana sprach dem Obersten Gericht des Landes die Autorität ab, Grundgesetze für nichtig zu erklären. Dies sei "offensichtlich", sagte Ochana laut Medienberichten zu dem Urteil. "Noch offensichtlicher ist es, dass wir uns damit nicht befassen können, solange der Krieg auf seinem Höhepunkt ist."

Für Netanjahu ist das Urteil ein weiterer Rückschlag. Nach einem Jahr im Amt stehen er und die israelische Regierung ohnehin unter großem Druck. Das derzeitige Misstrauen der israelischen Öffentlichkeit gegen einen Regierungschef in Kriegszeiten sei beispiellos, meldete die Zeitung "Haaretz" am Freitag. Umfragen zufolge will die Mehrheit der Israelis, dass Netanjahu spätestens nach dem Ende des Gaza-Kriegs zurücktritt. Viele Menschen werfen ihm vor, bislang keine persönliche Verantwortung dafür eingeräumt zu haben, dass das Hamas-Massaker am 7. Oktober geschehen konnte.

Netanjahu habe das Erstarken der Hamas im Gazastreifen geduldet oder sogar gefördert, so Kritiker. Laut jüngsten Umfragen würde gegenwärtig die Partei von Benny Gantz, Minister im Kriegskabinett, mit Abstand stärkste Fraktion werden. Die "Haaretz" mutmaßte bereits, Netanjahu wolle, dass der Krieg im Gazastreifen nie ende, um sich, solange es gehe, an der Macht zu halten.

Reaktion der Regierung unklar

Netanjahus rechtskonservative Likud-Partei kritisierte den Beschluss des Gerichts. "Es ist bedauerlich, dass das Oberste Gericht sich dafür entschieden hat, ein Urteil im Herzen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung in Israel ausgerechnet zu einer Zeit zu fällen, in der israelische Soldaten von der Rechten und der Linken kämpfen und ihr Leben im Krieg gefährden", hieß es in einer Stellungnahme der Partei am Montag. "Die Gerichtsentscheidung widerspricht dem Willen des Volkes nach Einigkeit vor allem in Zeiten des Krieges."

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Der israelische Oppositionsführer drückte seine Unterstützung für das Oberste Gericht aus. "Die Entscheidung des Obersten Gerichts kommt am Ende eines harten Jahres des Streits, der uns von innen zerrissen und zur schlimmsten Katastrophe unserer Geschichte geführt hat", schrieb Lapid am Montag auf der Plattform X, vormals Twitter. Das Gericht habe treu seinen Auftrag erfüllt, die Bürger Israels zu schützen. "Wir geben dem Obersten Gericht volle Rückendeckung."

Lapid von der Zukunftspartei der Mitte mahnte: "Wenn die israelische Regierung den Streit über das Oberste Gericht wieder anfängt, bedeutet dies, dass sie nichts gelernt haben. Dass sie nichts vom 7. Oktober gelernt haben und von 87 Tagen des Kampfes um unser Heim."

Vor einem Jahr war der frühere Langzeit-Ministerpräsident Netanjahu nach 18 Monaten in der Opposition zurück an die Macht gekehrt. In Israels Geschichte war niemand länger im Amt als der 74-Jährige.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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