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Großbritannien: Warum Premier Rishi Sunak jetzt schnelle Wahlen will


Überraschende Wahl in Großbritannien
"Er ist erledigt"


Aktualisiert am 23.05.2024Lesedauer: 4 Min.
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Rishi Sunak: Der britische Premierminister hat einen Termin für die Unterhauswahlen angesetzt. (Quelle: Thomas Krych/imago-images-bilder)

Unerwartet hat der britische Premier Rishi Sunak die Wahlen zum britischen Unterhaus für Anfang Juli angesetzt. Was erhofft sich der Regierungschef von einem Wahlkampf im Schnelldurchgang?

Nein, beirren ließ sich Rishi Sunak bei seiner Rede nicht. Nicht durch den starken Londoner Regen, der den britischen Regierungschef während seiner kurzen Ansprache völlig durchnässte. Auch nicht durch den Song "Things can only get better", mit dem Demonstranten versuchten, seine Rede zu stören. Das Lied der nordirischen Gruppe D:Ream war in den Neunzigern die Wahlkampfhymne von Tony Blair, einem von Sunaks Vorgängern von der Labour-Partei. Sunaks Konservative liegen aktuell rund 20 Punkte hinter ihren sozialdemokratischen Konkurrenten. Bleibt es dabei, würde Sunaks Partei weit mehr als 100 Mandate im Unterhaus verlieren.

"Jetzt ist der Moment für Großbritannien, um seine Zukunft zu wählen", ließ Sunak die Öffentlichkeit wissen und rief dann zu einer Neuwahl des britischen Unterhauses auf – in gerade einmal fünf Wochen am 4. Juli.

Mit einer baldigen Ankündigung von Neuwahlen war in Großbritannien schon eine Weile gerechnet worden. Anders als in Deutschland kann die britische Regierung den konkreten Termin für eine Parlamentswahl frei wählen. Die einzigen Bedingungen: Die Wahl muss spätestens alle fünf Jahre erfolgen und zwischen Ankündigung und Termin müssen 25 Arbeitstage liegen. Spätester Termin wäre daher der kommende Januar gewesen.

Video | Britische Parteien starten in den Wahlkampf
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Quelle: reuters

"Sunak geht aufs Ganze"

Der britische Premier entschied sich nun selbst für einen kurzen Wahlkampf. Von außen wirkt es so, als habe sich Sunak selbst Zeit geraubt, um den großen Rückstand seiner Partei möglicherweise noch aufzuholen. Es spricht allerdings vieles dafür, dass der 44-Jährige den Termin für das kleinere Übel hält: für sich selbst, aber auch für die Partei.

Anthony Glees, emeritierter Politikwissenschaftler an der University of Buckingham, vermutet etwa, dass Sunak so seinen eigenen Rauswurf verhindern wollte. "Ich glaube, die Konkurrenten haben ihm gesagt, dass sie entschlossen sind, ihn vor den Wahlen 2025 abzulösen. Um sich selbst zu retten, geht Sunak jetzt aufs Ganze", sagt Glees t-online.

Tatsächlich hat sich der Premier, der seit Oktober 2022 im Amt ist, einige Feinde in den eigenen Reihen gemacht: Der rechte Flügel der Konservativen lastet Sunak etwa an, mit seinem Rücktritt 2022 als Finanzminister eine Regierungskrise angezettelt zu haben, die letztendlich Premier Boris Johnson zu Fall brachte. Gerüchte um eine politische Rückkehr Johnsons sind nie ganz verstummt. Auch die einflussreiche Ex-Innenministerin Suella Bravermann gilt als innerparteiliche Konkurrentin von Sunak. Ihr werden größere Ambitionen nachgesagt und der Premierminister hatte sie im vergangenen November aus dem Kabinett geworfen, da sie immer wieder mit kontroversen Aussagen auffiel und als Quertreiberin in der Regierung galt.

Ruanda als Wahlversprechen

Die innerparteiliche Skepsis gegen Sunak rührt auch daher, dass er bei der britischen Bevölkerung insgesamt einen schweren Stand hat: Der 44-Jährige hatte nach dem Rücktritt von Johnson den innerparteilichen Wahlkampf gegen Liz Truss verloren. Als diese jedoch nach gerade einmal eineinhalb Monaten im Amt ebenfalls zurücktrat, blieb nur noch Sunak als Nachfolger.

Jetzt muss er sich aber erstmals als Spitzenkandidat der britischen Bevölkerung stellen. Laut einer Ipsos-Umfrage Anfang Mai halten 78 Prozent der Briten einen Sieg Sunaks für unwahrscheinlich. Das Ergebnis ist keine Überraschung, denn innerhalb der britischen Bevölkerung ist aktuell eine deutliche Mehrheit für einen Regierungswechsel.

Im Windschatten all der Skandale konnte sich dagegen die Labour-Partei unter Keir Starmer einen komfortablen Vorsprung erarbeiten. Der große Abstand wird größtenteils allerdings weniger mit der eigenen Leistung der Oppositionspartei erklärt, sondern eher mit den Fehlern der Konservativen. Starmer ist nicht als großer Redner bekannt und gilt in der Öffentlichkeit als eher dröge. Das kommt laut Anthony Glees allerdings gerade gar nicht schlecht an: Denn die Briten hätten mittlerweile genug vom politischen Chaos. "Langeweile ist gut."

Innerparteilich wurde Sunak auch bei sachpolitischen Fragen von seinen eigenen Leuten stark unter Druck gesetzt: Sein Vorhaben, illegale Migranten nach Ruanda abschieben zu lassen, wurde nur unter großen Anstrengungen vom britischen Parlament durchgewunken. Sunak räumte heute ein, dass vor der Wahl kein einziger Flug Richtung Afrika mehr starten werde – und machte sein umstrittenes Projekt gleich zum Wahlkampfthema: "Wenn ich gewählt werden, werden die Flüge abheben."

Allerdings kam das Projekt schon zuvor kaum in die Gänge. In der Vergangenheit hatte bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen solchen Flug gestoppt. Wahrscheinlich ist, dass im Sommer noch mehr Flüchtlinge den riskanten Weg über den Ärmelkanal nach Großbritannien wagen – und Sunak ohne seine Abschiebeflüge noch mehr Vertrauen bei den Wählern verspielen könnte.

"Als Tory-Chef erledigt"

Daneben wird Sunak wohl versuchen, mit seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik bei den Wählern zu punkten: Schon bei seiner Ankündigung der Neuwahlen betonte der Premier seine Erfolge in der Bekämpfung der Inflation und der Steigerung des Wirtschaftswachstums: Tatsächlich legte die britische Wirtschaftsleistung im ersten Quartal um 0,6 Prozent im Vergleich zum vierten Quartal 2023 zu. Auch die Inflation nähert sich dem Ziel der Bank von England von zwei Prozent: Sie lag zuletzt bei 2,3 Prozent. Vor einem Jahr lag sie noch bei 8,7 Prozent.

Allerdings könnte es sich auch hier nur um eine Momentaufnahme handeln: Unter den G7-Staaten liegt Großbritannien laut Zahlen der OECD aktuell beim Wirtschaftswachstum noch auf dem vorletzten Platz vor Deutschland. Für 2025 wird allerdings ein Abrutschen auf den letzten Platz prognostiziert, während Deutschland die Insel und Japan hinter sich lassen könnte.

Politikbeobachter Anthony Glees glaubt jedenfalls nicht, dass Sunak die Wähler noch mit sachpolitischen Themen überzeugen kann. Die Liste der Versäumnisse und Fehler sei bei den Tories schlicht zu groß, um einen Umschwung zu erzielen. Ohne Rückhalt in den eigenen Reihen und schlechten Umfragen sei das politische Ende Sunaks absehbar: "Er ist als Tory-Chef erledigt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Interview mit Anthony Glees
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