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Israel: Versteckter Antisemitismus – so darf man den Staat kritisieren – so nicht


Versteckter Antisemitismus
Wie man Israel kritisieren darf – und wie nicht


Aktualisiert am 03.12.2019Lesedauer: 4 Min.
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Israels Noch-Premier Benjamin Netanjahu: Natürlich darf man den Staat Israel kritisieren. Es gibt aber klare Grenzen.Vergrößern des Bildes
Israels Noch-Premier Benjamin Netanjahu: Natürlich darf man den Staat Israel kritisieren. Es gibt aber klare Grenzen. (Quelle: Xinhua/imago-images-bilder)

"Man darf Israel ja nicht kritisieren, sonst ist man gleich Antisemit" – diese Aussage hört man oft, doch sie ist falsch. Wie jeden anderen Staat darf man auch Israel für sein Handeln verurteilen. Aber es gibt klare Grenzen.

Kritik an Israel ist nicht automatisch antisemitisch. Das sagt im Übrigen auch niemand. Allerdings gibt es klare Grenzen. Das Thema rund um Israel und den Nahostkonflikt ist schwierig, undurchsichtig und schwammig, daher ist es sinnvoll, sich diese Grenzen genau anzugucken. Eine mögliche erste Rückfrage bei so einer Aussage: Wer verbietet denn, etwas dazu zu sagen?

Tatsächlich verbietet nämlich niemand Kritik am Staat Israel. Wer sich die deutsche (und natürlich auch die internationale) Medienlandschaft ansieht, weiß, dass Israel immer wieder Thema ist und kontrovers diskutiert wird. Und dennoch sind sich viele unsicher, fürchten sich, etwas Falsches zu sagen, oder wissen schlicht nicht, was wann vielleicht zu weit gehen könnte. Kritik an Israel kann aber auch dazu genutzt werden, um Kritik an Jüdinnen und Juden zu üben. Man nennt das "versteckten Antisemitismus" oder – etwas komplizierter: "antisemitische Umwegkommunikation".

"Ich meine Juden, sage aber 'Israel'"

Die Journalistin und Autorin Esther Schapira umschreibt das so: "Es ist heute viel üblicher, sich in Form von Israelkritik zu äußern. Dann sage ich ja nichts gegen Juden, sondern nur gegen den jüdischen Staat. Ich meine Juden, sage aber 'Israel'. Das geht leichter über die Lippen, denn es bricht kein Tabu, ist nicht schuldbeladen und dadurch salonfähig." Man muss sich also sehr genau anschauen, wie Leute im Einzelnen argumentieren: Wenn sie sehr auf Israel fixiert sind und für sie Israel das größte Problem der gesamten Weltpolitik ist, dann kann dahinter Antisemitismus lauern. Oft heißt es im Zusammenhang mit Israel, bestimmte Kritik könne ja nicht antisemitisch sein, da man ja nur über Israel spreche und nicht über Jüdinnen und Juden. Grundsätzlich gilt: Wer sich antisemitischer Ressentiments bedient, der macht aus Israel den "kollektiven Juden". Kritik, auch harte Kritik am Staat Israel, die ohne solche Ressentiments auskommt, ist kein Antisemitismus. Doch wie erkennt man antisemitische Israelkritik?

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Doppelte Standards

Werden Doppelstandards angewendet, wenn der Staat Israel kritisiert wird, oder werden anderen Staaten die gleichen Sachen vorgeworfen, die man zum Beispiel der israelischen Regierung vorwirft? Wird also in der Kritik an Staaten überall derselbe Kritikstandard angewendet, oder ist dieser bei Israel anders? Doppelstandards sind dann im Spiel, wenn bestimmte Kritik selektiv nur auf den Staat Israel bezogen wird. Ein Beispiel: Nur Israel wird von den UN wegen Menschenrechtsverletzungen herausgestellt, das Verhalten anderer Staaten, die Menschenrechte missachten, wird aber ignoriert.

Tatsächlich ist ja schon der Begriff "israelkritisch" ungewöhnlich. Ist jedem bewusst, dass es nur für das Land Israel überhaupt einen im deutschen Duden niedergeschriebenen "Kritikbegriff" gibt? Es gibt keine festgeschriebene Österreichkritik, Russlandkritik oder USA-Kritik. Damit ein Wort in das Duden-Wörterbuch aufgenommen wird, muss es in einer "gewissen Häufigkeit" auftreten – "und zwar über einen längeren Zeitraum hinweg". Das Wort muss "in aller Munde" sein und darf nicht nur von Experten benutzt werden, um den Kriterien zur Aufnahme in das Nachschlagewerk zu entsprechen, heißt es auf der Website des Duden.

Dämonisierung

Diese liegt vor, wenn der Staat Israel "dämonisiert" wird, sprich, ihm unsägliche Sachen vorgeworfen werden. Dazu gehören zum Beispiel Nationalsozialismus-Israel-Vergleiche, also wenn Nazis und Israelis oder palästinensische Flüchtlingslager mit Auschwitz verglichen werden. Das hört sich dann manchmal so an: "Die Israelis machen mit den Palästinensern ja das Gleiche wie die Nazis mit den Juden."

Nein, es ist nicht das Gleiche. So eine Aussage geht faktisch zu weit. Es findet kein staatlich organisierter Massenmord in Israel statt. Der Historiker und Antisemitismusforscher Uffa Jensen betrachtet solche Aussagen noch dezidierter: "Dahinter steckt, gerade im deutschen Kontext, immer der positive Mehrgewinn, dass man sich selbst sagen kann: 'Wir sind ja nicht die Einzigen, die so einen Scheiß machen.' Quasi: Was die machen, ist ja 'noch schlimmer, weil die Juden haben ja nicht einmal daraus gelernt, dass ihnen etwas angetan wurde.' Da ist dann klar: Ich verharmlose so den Holocaust, ich stelle ihn in eine Reihe mit allen anderen Menschenrechtsverbrechen, erkläre die Juden zu Tätern – und wenn ich ganz gut bin, mache ich mich dann auch noch zum Opfer, indem ich noch dazu schreibe/sage, dass ich das ja aber alles so nicht sagen darf.'" Wer auf so eine Aussage trifft, kann und sollte deutlich widersprechen und damit eine Grenze ziehen. Außerdem nachhaken: Worum geht es dem Kritiker konkret?

Delegitimierung

Hier geht es um die Kernfrage: Wird das Existenzrecht Israels anerkannt? Ja oder nein? Wenn man Jüdinnen und Juden das Recht auf einen eigenen Staat abspricht, also Israel, ist das eine rote Linie, bei der Kritik an Israel zu Antisemitismus wird. Eine zentrale Lehre aus dem Holocaust ist, dass dieser Staat notwendig ist. Das Existenzrecht Israels ist nicht umsonst Teil der deutschen Staatsräson.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch "Anleitung zum Widerspruch: Klare Antworten auf populistische Parolen, Vorurteile und Verschwörungstheorien" von Franziska von Kempis. Es ist am 30. September 2019 im Mosaik-Verlag erschienen.

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