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Türkei: Zu harte Maßnahmen? Der Corona-Kurs erschüttert die Jüngsten


Zu harte Maßnahmen?
Der türkische Corona-Kurs erschüttert die Jüngsten

Von Seda Arzu Aydin

11.05.2021Lesedauer: 3 Min.
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Ersatz für Schulunterricht? Bildungsminister Ziya Selcuk ist im EBA TV zu sehen.Vergrößern des Bildes
Ersatz für Schulunterricht? Bildungsminister Ziya Selcuk ist im EBA TV zu sehen. (Quelle: Anadolu Agency/getty-images-bilder)

In der Türkei sinkt die Zahl der Neuinfektionen. Der harte Lockdown wirkt. Doch zu welchem Preis? Erneut sind die Konsequenzen für Kinder und Jugendliche enorm. Die Regierung sieht sie als Hauptüberträger des Virus – und greift durch.

Die zwei Söhne von Ahmet Aydin sind frustriert. Der Ältere bereitet sich für die Zulassungsprüfungen der Universität vor und ist auf den einzigen Laptop der Familie angewiesen. Der Jüngere muss täglich mit dem Handy sieben Stunden lang am Onlineunterricht teilnehmen. Die Freizeit danach ist massiv eingeschränkt. Ab 19 Uhr gilt eine Ausgangssperre.

Vater Aydin, der in einem Automobilwerk in Istanbul arbeitet, ist verzweifelt: "Durch die Ausgangssperre bleibt den Kindern keine Bewegungsfreiheit. Sie fallen in ein tiefes Loch und verpassen ihre Kindheit."

Die Situation der Aydins steht beispielhaft für viele Familien in der Türkei. Denn während andere Staaten versuchen, den Präsenzunterricht an Schulen möglichst lange zu ermöglichen, sind die Regeln in der Türkei für genau diese Altersgruppe besonders strikt. Die Regierung von Präsident Erdoğan stuft die Kinder und Jugendlichen als Hauptüberträger des Coronavirus ein, insgesamt 22 Prozent der Bevölkerung.

Besonders strenger Lockdown seit Mitte April

Zudem sollen Berufstätige weniger eingeschränkt werden, um die Wirtschaft zu schützen. Schon im Frühjahr 2020 wurde deshalb ein zweimonatiger Lockdown für über 65-Jährige und unter 18-Jährige verhängt, die teilweise nur in bestimmten Zeitfenstern nach draußen durften. Präsenzunterricht hat seit Beginn der Pandemie nur vereinzelt und für kurze Zeit stattgefunden.

Seit Mitte April gilt nun ein besonders strenger Lockdown, auch andere Bereiche des öffentlichen Lebens sind betroffen. So ist etwa der Einzelhandel geschlossen, Reisen sind untersagt. Bei einem Inzidenzwert von zeitweise mehr als 500 war es der letzte Versuch, die Tourismussaison im Sommer noch zu retten. Das könnte funktionieren, der Inzidenzwert ist innerhalb von drei Wochen auf 184 gesunken (Stand: 10. Mai). Die Kollateralschäden könnten jedoch heftig ausfallen.

Vater Aydin fürchtet vor allem um die Zukunft seiner beiden Kinder. Er erzählt: "Das türkische Bildungssystem trägt nicht zum Schulerfolg der Kinder bei. Wir mussten sie vor der Pandemie schon in private Lernkurse schicken, um ihnen eine gute Vorbereitung für die jeweiligen Zulassungsprüfungen zu ermöglichen. Jetzt findet alles online statt und die Kinder fühlen sich unvorbereiteter."

Das Bildungsministerium ist überfordert

Ein zentrales Problem: Die Türkei setzt zwar seit Monaten auf Distanzunterricht, doch vielen der 18 Millionen Schülerinnen und Schüler im Land fehlt dafür noch immer die technische Ausstattung. Mal mangelt es an der Hardware, mal an einem schnellen Internetanschluss. Zwar wurden laut Bildungsminister Ziya Selçuk bis jetzt insgesamt 750.000 Tablets mit mobilen Datenpaketen zur Verfügung gestellt. Doch die Realität sieht häufig anders aus.

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"Es wurden in den Klassen diverse Listen mit den Namen von Kindern erstellt, die aus besonders ärmlichen Verhältnissen stammen, die weder einen Laptop noch ein Tablet besitzen. Diese Kinder können von einem Internetzugang nur träumen. Ihnen wurden Tablets versprochen", erzählt der 51-jährige Familienvater Aydin. Die Tablets lassen bis heute auf sich warten.

Hotline für Kinder mit psychischen Problemen

Offiziell ist das Bemühen aber weiterhin groß. Ab Juli sollen Sommerschulen angeboten werden, für Lehrer verspricht das Bildungsministerium ebenfalls intensive Unterstützung. Auch eine Hotline für Kinder mit psychischen Problemen gibt es.

Doch die gut gemeinten Initiativen lindern die Probleme nur geringfügig. Ein weiteres Beispiel ist EBA TV – ein Projekt der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaft TRT. Das nationale Bildungsfernsehen soll Unterrichtsstoff vermitteln, falls die Kinder nicht am Distanzunterricht teilnehmen können. Für alle Klassenstufen und Fächer werden Lernvideos im TV ausgestrahlt. Was dabei fehlt: der Austausch mit Lehrern und Mitschülern. Nachfragen? Nicht möglich.

Ahmet schüttelt den Kopf: "Das trägt nicht zur Lösung des Problems bei. Viele Kinder haben offene Fragen und viel Nachholbedarf." Sorge bereite ihm auch die wachsende Ungerechtigkeit im türkischen Bildungssystem. Er betont: "Alle Schülerinnen und Schüler müssen im Endeffekt dieselben Prüfungen schreiben, egal ob sie aus sozial starken oder sozial schwächeren Familien kommen."

Die Zulassungsprüfungen für die Oberschule und die Universität stellten schon vor der Pandemie große Stressfaktoren für die Schülerinnen und Schüler dar. Doch wer jetzt nicht mit entsprechender Technik am Unterricht teilnehmen oder sich gar Privatunterricht leisten kann, dem droht ein herber Rückschlag.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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