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Russland: Wie Präsident Wladimir Putin die Parlamentswahlen manipuliert


Tricks und Repressionen
Wie Putin die Parlamentswahlen manipuliert

  • David Schafbuch
Von David Schafbuch

Aktualisiert am 17.09.2021Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin: Der Partei des russischen Präsidenten winkt bei den Parlamentswahlen erneut eine deutliche Mehrheit.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der Partei des russischen Präsidenten winkt bei den Parlamentswahlen erneut eine deutliche Mehrheit. (Quelle: Evgeny Biyatov/SNA/imago-images-bilder)

Bei den Parlamentswahlen hat Wladimir Putin bereits im Vorfeld kaum eine Möglichkeit ausgelassen, sie zu seinen Gunsten zu manipulieren. Allerdings kann das Regime die eigene Schwäche kaum noch verbergen.

Wer Boris Wischnewski wählen will, muss genau hinsehen. Auf den Wahllisten für den Stadtrat von Sankt Petersburg befindet sich sein Name ganze drei Mal. Auch optisch gleichen sich die drei Männer mit ihren Halbglatzen und grauen Vollbärten.

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"Der Betrug geht weiter", beklagte sich der bekannte Politiker der sozialliberalen Partei "Jabloko" auf Twitter. Wischnewski glaubt, dass seine beiden Kontrahenten nicht nur ihren Namen geändert, sondern auch chirurgisch nachgeholfen haben, um die Wähler zu verwirren und dem Original einige Stimmen abzunehmen.

Manipulationen nehmen zu

Vor der Wahl zum russischen Unterhaus im Parlament, der Staatsduma, sowie gleichzeitigen Entscheidungen auf Regional- und Kommunalebene häufen sich solche Fälle. Schon vor Öffnung der Wahllokale an diesem Freitag ließen der russische Präsident Wladimir Putin und seine Partei "Einiges Russland" kaum eine Möglichkeit aus, um die Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

"Die Intensität der Repressionen hat eine neue Dimension", sagt Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik gegenüber t-online. Zahlreiche politische Gegner wurden gar nicht erst zugelassen, kritische Medien wurden als "ausländische Agenten" gebrandmarkt, unabhängige Beobachter werden die Wahl nicht überprüfen können. Doch verfangen diese Maßnahmen noch?

Belarus als mahnendes Beispiel

Zwar steht es außer Frage, dass Putins Partei eine Mehrheit der 450 Sitze des Parlaments erringen wird. Dennoch ist die Unzufriedenheit mit der politischen Führung greifbar. Laut dem regierungsnahen Meinungsforschungsinstitut WTSIOM sind nur 28 Prozent der Befragten zufrieden mit der Putin-Partei. Noch schlechter steht es um die persönlichen Werte des Präsidenten: 37 Prozent waren in der jüngsten Erhebung des unabhängigen Lewada-Zentrums unzufrieden mit ihm. In seiner Zeit an der Spitze des Landes wurde bisher noch kein höherer Wert gemessen.

Dementsprechend nervös wirkt die politische Führung. Kluge geht davon aus, dass Putin vor allem ein Szenario wie zuletzt in Belarus verhindern will: "Nach den Wahlen in Belarus sah es für kurze Zeit so aus, als ob es einen politischen Wechsel geben könnte. Das wurde auch in Russland sehr aufmerksam verfolgt."

Nawalny wehrt sich auch in Haft

Um Gegenstimmen möglichst zu unterbinden, nutzt der Kreml verschiedene Methoden: Der bekannteste Oppositionelle wurde schon vor Monaten außer Gefecht gesetzt. Nach seiner fast tödlichen Vergiftung sitzt Alexej Nawalny seit Januar in Haft. Seine Organisation und Unterstützer wurden als "extremistisch" eingestuft: Dadurch stehen sie nicht nur auf einer Ebene mit Terrororganisationen wie dem "Islamischen Staat" (IS), sondern wurden auch von der Wahl ausgeschlossen.

Die harten Maßnahmen hielten Nawalny allerdings nicht davon ab, sich für oppositionelle Kandidaten einzusetzen. Mit einer eigenen App und einer Internetseite warb der Kremlkritiker für das sogenannte "Smart Voting": Die Organisation empfiehlt in jedem Wahlkreis einen Kandidaten, der nicht zur Putin-Partei gehört, um möglichst viele Proteststimmen zu bündeln. Allerdings wehrte sich auch hier der Kreml. Die Internetseite und App wurden offenbar auf Druck der russischen Regierung gesperrt. Auch die Suchmaschinen Google und Yandex spucken in dem Land keine Ergebnisse zu der Initiative mehr aus.

Russland sieht Schuld bei den USA

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sprach in Bezug auf die Nawalny-Kampagne bereits von Wahleinmischung: Die App sei "auf die ein oder andere Art mit dem Pentagon verbunden", sagte sie im Staatssender Radio Rossii, ohne Beweise zu nennen. Zusätzlich wurde der US-Botschafter in Moskau einbestellt. Beeindruckt von den Maßnahmen zeigte sich Nawalny allerdings nicht. Es sei weiter möglich "ein oder zwei von Putins widerlichen Dieben aus der Duma zu vertreiben", schrieb der Kremlkritiker auf Instagram.

Janis Kluge hält den Einfluss des bekannten Putin-Kritikers mittlerweile allerdings für begrenzt: "Das Kapitel Nawalny ist in Russland für den Moment beendet." Obwohl er sich weiter über soziale Netzwerke äußere und sein Team aktiv bleibe, habe die Festnahme seine Möglichkeiten eingeschränkt. Andere kritische Stimmen seien zudem durch die harten Maßnahmen entmutigt. Auch sei es aktuell nahezu ausgeschlossen, dass Nawalny in absehbarer Zeit wieder freikommt: "Wer in Russland im Gefängnis sitzt, kann keine Oppositionsarbeit leisten."

Medien gebrandmarkt

Auch gegen unabhängige Medien ging der Kreml zuletzt entschiedener vor: In den vergangenen Monaten setzte das Justizministerium zahlreiche Medienhäuser und einzelne Journalisten auf die Liste der "ausländischen Agenten". Betroffene müssen unter anderem dem Ministerium ihre Einnahmen, Ausgaben und weitere Informationen offenlegen. Zudem müssen sie ihre Nachrichten immer mit dem Hinweis versehen, dass sie als "ausländische Agenten" gekennzeichnet sind. Ansonsten drohen Geldstrafen.

"Dieser Status ist wie eine schwere Krankheit", sagte der Journalist Ilja Roshdestwenski dem Magazin "The Village". Mittlerweile hat das Ministerium insgesamt 47 Medienmarken oder Einzelpersonen mit dem Status versehen – 30 von ihnen landeten allein in diesem Jahr auf der Liste. Teresa Ribeiro, die Verantwortliche für Pressefreiheit der OSZE, kritisierte die Kennzeichnung als Stigmatisierung. Auch Experte Janis Kluge geht davon aus, dass durch die Maßnahmen viele Journalisten in Russland nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen können.

Wahlbeobachter bleiben zu Hause

Ob es zu Wahlbetrug an den drei Tagen kommen wird, wird sich nur schwer feststellen lassen. Die unabhängige russische Wahlbeobachter-Gruppe Golos wurde ebenfalls auf die Agentenliste gesetzt. Auch die OSZE wird ihre Arbeit während der Wahlen zum ersten Mal seit fast 30 Jahren nicht aufnehmen. Ursprünglich hatte die Organisation mit bis zu 500 Beobachtern geplant. Die zentrale Wahlkommission wollte dagegen nur maximal 50 Aufpasser in das Land lassen – offiziell als Schutzmaßnahme wegen der Corona-Pandemie. "Das ermöglicht es uns einfach nicht, unsere Arbeit effektiv und gründlich zu erledigen", stellte die Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, Margareta Cederfelt, fest.

Die Beobachter hätten ohnehin erschwerte Bedingungen vorgefunden. Statt an einem Tag wurde die Wahl diesmal auf drei Tage ausgedehnt: "Bei einer dreitägigen Wahl stehen die Wahlurnen nachts irgendwo rum. Das kann niemand kontrollieren", glaubt Janis Kluge. Die ausgedehnten Öffnungszeiten der Wahllokale sollen aber vermutlich auch für eine höhere Wahlbeteiligung sorgen. Schon 2016 lag sie mit unter 50 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit dem Zerfall der Sowjetunion. Um die Zahlen anzukurbeln, können die Wähler durch ihre Stimme auch Preise gewinnen: Als Hauptgewinne winken etwa Autos oder Wohnungen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Interview mit Janis Kluge am 14.9.2021
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