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Wahl in Brasilien: Die Macht der Evangelikalen Christen


Evangelikale in Brasilien
Gott, Vaterland und Bolsonaro

Von Tobias Eßer

02.10.2022Lesedauer: 4 Min.
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Evangelikale Anhänger von Jair Bolsonaro protestieren im brasilianischen Bundesstaat Rio de Janeiro (Quelle: Buda Mendes/Getty Images)

Evangelikale Christen haben Jair Bolsonaro an die Macht gewählt. Auch bei der Wahl 2022 sind ihre Stimmen wichtig – aber nicht mehr so eindeutig verteilt.

Am 2. Oktober wählt Brasilien einen neuen Präsidenten. Die aktuellen Umfragen deuten derzeit auf einen Zweikampf zwischen zwei Kandidaten hin: Der rechtsextreme Amtsinhaber Jair Bolsonaro muss gegen den linken Luiz Inácio Lula da Silva, kurz Lula, bestehen. Kurz bevor die 156 Millionen Brasilianer ihre Stimme abgeben, ringen Bolsonaro und Lula vor allem um die Stimmen der verschiedenen religiösen Gruppen im größten Land Südamerikas. Besonders im Fokus stehen dabei die Angehörigen der evangelikalen Kirchen.

Die Zahl der Evangelikalen ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Bezeichneten sich im Jahr 1990 noch 80 Prozent der brasilianischen Bevölkerung als katholisch, waren es im Jahr 2020 nur noch etwa 50 Prozent. Dagegen steht eine wachsende Zahl an Evangelikalen – mittlerweile sind es 32 Prozent. Bereits in 10 Jahren könnten sie die Katholiken als dominante Religionsrichtung abgelöst haben, prognostiziert der Demograf José Eustáquio Diniz Alves, der 17 Jahre am Nationalen Institut für Geografie und Statistik geforscht hat.

LGBTQ-Feindlichkeit und Kampf gegen Abtreibungen

"Die Evangelikalen werden immer mehr", sagt Professor Vinicius do Valle der BBC. Er ist Direktor des Observatório Evangélico, einer NGO, die die evangelikalen Umtriebe in Brasilien beobachtet und dokumentiert. "Der Aufstieg der Evangelikalen verändert auch die Art und Weise, wie Politik in Brasilien funktioniert." Im Gegensatz zu den evangelikalen Pfingstkirchen spielte die katholische Kirche in der Vergangenheit eine demokratische Rolle und setzte sich während der brasilianischen Militärdiktatur für unterdrückte Menschen ein.

Anders sieht das bei den Evangelikalen aus. Mit ihrem Vormarsch halten auch einige ihrer Überzeugungen Einzug in die brasilianische Gesellschaft: Ablehnung von LGBTQ-Themen, der Kampf gegen Abtreibung, die Abschaffung von Frauenrechten. Damit überschneiden sich ihre Überzeugungen mit denen der extremen Rechten – was sich Bolsonaro im Wahlkampf vor der letzten Präsidentschaftswahl 2018 zu eigen gemacht hat. Er trat in Gottesdiensten auf oder gab dem evangelikalen Fernsehsender Record ein Exklusivinterview.

Bolsonaro ließ sich von Evangelikalem trauen

Sogar Bolsonaros dritte Hochzeit war eine klare Inszenierung im Sinne der Evangelikalen. Vermählt wurden der damalige Präsidentschaftskandidat und seine Frau Michelle von Silas Malafaia, einem bekannten Fernsehpastor und Autor. Malafaia ist bekannt für seinen Hass auf Angehörige der LGBTQ-Bewegung und seine radikale Ablehnung aller Abtreibungen. Die Wissenschaftler Liriam Sponholz und Rogério Christofoletti bezeichnen ihn als "Archetypen des brasilianischen Hasspredigers".

Bolsonaros Plan ging auf. "Bei der Wahl 2018 haben alle großen evangelikalen Kirchen gemeinsam einen Kandidaten unterstützt – nämlich Bolsonaro", erklärt die Investigativ-Journalistin Andrea Dip im Interview mit dem Brasilien-Experten Niklas Franzen. "Das gab es zuvor noch nie." In der Stichwahl gaben 70 Prozent aller Evangelikalen dem Rechtsextremen ihre Stimmen.

Mit der Wahl Bolsonaros begann dann ein "Umbau des Staates nach ultrakonservativen Vorstellungen", schreibt Brasilien-Experte Franzen in seinem Buch "Brasilien über alles". So tauschte die neue Regierung praktisch das gesamte Team für Frauengesundheit im Gesundheitsministerium aus. Andere Abteilungen wurden in Gänze gestrichen, etwa das Referat für Diversität im Bildungsministerium.

Pastorin im Ministeramt

Besonders mit einer Personalie dankte Bolsonaro den Evangelikalen für seinen Wahlsieg: Er machte Damares Alves zur Ministerin für Frauen, Familie und Menschenrechte. Alves war vor ihrer Ernennung Pastorin und predigte in großen evangelikalen Kirchen im ganzen Land. In der ersten Rede nach ihrer Ernennung sprach sie davon, dass endlich wieder eine Zeit gekommen sei, in der Jungen blau und Mädchen rosa trügen.

Zwar trat Alves im März 2022 von ihrem Posten als Ministerin zurück, um für einen Sitz im Senat zu kandidieren, für die evangelikale Rechte war sie allerdings während ihrer Zeit im Parlament sehr wichtig. Sie nahm regelmäßig an Vernetzungstreffen mit christlichen Fundamentalisten teil und zementierte so die Vorreiterrolle Brasiliens in der internationalen fundamentalistischen Allianz.

"Bolsonaro ist Gott"

Viele Evangelikale sind Jair Bolsonaro dankbar für seine Politik – und machen für ihn Wahlkampf. So wie Pastorin Laura Almeida, deren Gemeinde sich in der Stadt Recife befindet. In einer Predigt während des Gottesdienstes lobt sie den rechtsextremen Präsidenten überschwenglich: "Wir wählen Bolsonaro, weil er Gott ist", predigt Almeida. "Im Einklang mit dem Wort Gottes verteidigt er dieselben Prinzipien, die wir auch haben!"

Für Almeida ist Jair Bolsonaro der Retter, auf den Brasiliens Christen gewartet hätten. "Wo auch immer Menschen leiden, und wenn sie dabei an Gott glauben, schickt er ihnen einen Erlöser", sagt die Pastorin der BBC.

Unterstützung für Bolsonaro hat nachgelassen

Die Ausgangssituation vor der diesjährigen Präsidentschaftswahl hat sich im Vergleich zu 2018 allerdings geändert. Die Evangelikalen sind sich in ihrer Wahlentscheidung nicht mehr so einig wie vor fünf Jahren – was auch daran liegt, dass Bolsonaros schärfster Konkurrent Lula da Silva auf die fundamentalistischen Christen zugeht und sich zum Teil sogar ihrer Sprache bedient.

Im August trat Lula vor potenziellen Wählerinnen und Wählern vor einer Autofabrik in São Bernardo do Campo auf. "Bolsonaro manipuliert den guten Glauben evangelikaler Männer und Frauen", sagte der Linke. "Wenn es jemanden gibt, der vom Teufel besessen ist, dann ist es Jair Bolsonaro!"

Aktuelle Umfragen prognostizieren einen deutlichen Vorsprung für Lula bei der Wahl am Sonntag. Sollte der linke Politiker die Wahl im ersten oder zweiten Wahlgang gewinnen, erwartet ihn heftiger Gegenwind der evangelikalen Rechten. Denn auch wenn Bolsonaro nicht mehr Präsident ist: Sein Politikstil, der in Brasilien Bolsonarismus genannt wird, hat das Land verändert. Evangelikale Rechte sitzen in den Parlamenten und Ausschüssen in vielen Regionen Brasiliens – und werden ihre durch Bolsonaros Präsidentschaft gewonnene Macht nicht so einfach abgeben.

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