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Zum journalistischen Leitbild von t-online.140 Millionen Kinder betroffen "Wenn wir nicht arbeiten, essen wir nicht"

Ein Unicef-Bericht zeigt: Trotz globaler Bemühungen bleibt Kinderarbeit allgegenwärtig. Millionen von Kindern arbeiten unter gefährlichen Bedingungen, teils ohne jegliche Alternative.
Die Beendigung der Kinderarbeit gehört zu den wichtigsten Entwicklungszielen, die sich die Weltgemeinschaft auf ihre Fahnen geschrieben hat. Doch bislang bleibt das Ziel unerreicht. 2015 verständigte man sich in den Vereinten Nationen auf das ambitionierte Ziel, Kinderarbeit bis 2025 zu beenden. Diese Frist ist nun abgelaufen.
Wie der aktuelle Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef zeigt, konnten in den vergangenen Jahren zwar Fortschritte erzielt werden, doch das eigentliche Ziel ist nach wie vor weit entfernt. Kinderarbeit bleibt weiterhin die Realität für Millionen von Kindern weltweit, häufig unter gefährlichen Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen.
Vor allem unter dem Aspekt des Bevölkerungswachstums, besonders in Ländern des Globalen Südens, wo auch statistisch mehr Kinder von Kinderarbeit betroffen sind, ist die Zahl der betroffenen Kinder im Vergleich zu den Vorjahren stark rückläufig. Nachdem es in Folge der Covid-19-Pandemie um das Jahr 2020 einen Anstieg von Kinderarbeit gegeben hatte, ist es der internationalen Staatengemeinschaft in den vergangenen vier Jahren jedoch gelungen, erneut positive Akzente zu setzen.
Unicef: Fortschritte in Gefahr
Die Zahlen des Berichts reichen bis ins Jahr 2000 zurück, als noch etwa 245 Millionen Kinder von Kinderarbeit betroffen waren. Im Jahr 2024 ist diese Zahl um gut 100 Millionen gesunken, obwohl die Zahl der unter 18-Jährigen im gleichen Zeitraum um 230 Millionen weltweit gestiegen ist.
Trotz dieser Fortschritte bleibt der Weg zur vollständigen Beendigung der Kinderarbeit jedoch unsicher: "Der neue Bericht zur Kinderarbeit unterstreicht die erschreckende Realität, dass trotz aller Fortschritte Millionen von Kindern weiterhin ihr Recht verwehrt wird, zu lernen, zu spielen und einfach Kind zu sein", erklärte Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland.
Die erzielten Erfolge zeigen laut Schneider den richtigen Weg: "Rechtliche Schutzmaßnahmen, ein besserer Sozialschutz, Investitionen in kostenlose, hochwertige Bildung und menschenwürdige Arbeit mit fairen Löhnen für Erwachsene sind effektive Mittel, um Kinder vor Kinderarbeit zu bewahren." Allerdings drohen derzeit weltweite Mittelkürzungen, die hart erkämpften Fortschritte für Kinder wieder zunichtezumachen, warnt Schneider.
Adama schuftet im Steinbruch
Kinderarbeit kommt nach wie vor am häufigsten in der Landwirtschaft vor, in der 61 Prozent aller betroffenen Kinder und Jugendlichen tätig sind. So auch die zwölfjährige Adama Sandy, die seit ihrem siebten Lebensjahr in einem Steinbruch in ihrem Heimatland Sierra Leone arbeiten muss. Morgen mache sie das Zuhause der Familie sauber, dann begebe sie sich mit ihren Eltern zum Steinbruch, wo die gesamte Familie arbeitet. Dort verdient Adama umgerechnet etwas weniger als zwei Euro am Tag.
Trotz der harten Arbeit reicht das Geld nicht aus, um zur Schule zu gehen. "Es reicht nicht für Kleidung und Essen. Wir essen nur eine Mahlzeit am Tag", so die Zwölfjährige. Sie wünscht sich Unterstützung der Behörden, um den Steinbruch endlich verlassen und wieder zur Schule gehen zu können.
27 Prozent der Kinder sind im Dienstleistungssektor tätig, zu denen beispielsweise die Arbeit in privaten Haushalten oder der Verkauf von Waren auf Märkten gehört. 13 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen arbeiten im industriellen Sektor, darunter im Bergbau und in der Warenproduktion.
Kinderarbeit in Madagaskars Minen
Ein weiteres Beispiel für die gefährlichen Arbeitsbedingungen sind die Minenarbeiter in Madagaskar. Laut einer Studie des US-Arbeitsministeriums sind in Madagaskar etwa 10.000 Kinder im Abbau des Materials Glimmer involviert. Glimmer, ein Mineral, das in Produkten wie Kosmetika, Farben und Elektronik zu finden ist, wird häufig mit den schlimmsten Formen der Kinderarbeit in Verbindung gebracht.
In kaum befestigten Stollen graben Kinder teilweise über zehn Meter unter der Erde nach diesem Mineral, dessen langfristige Exposition zu schweren Lungenreizungen, Gewebeschäden und dem Abhusten von Blut führen kann.
Die Vohibola-Minenregion ist der ständige Wohnort von 30 Familien, etwa 40 Kinder arbeiten dort sieben Tage die Woche. Schulen oder Gesundheitszentren existieren nicht, und aufgrund des felsigen Geländes ist Landwirtschaft nahezu unmöglich. Der 60-jährige Soja, der älteste Bewohner des Dorfes, erklärte: "Wenn wir nicht arbeiten, essen wir nicht, das ist ganz einfach. Männer, Frauen und Kinder müssen alle arbeiten, um zu überleben."
Das fordern die Organisationen
Um das Ziel der Beendigung der Kinderarbeit weiter zu forcieren, fordert Unicef gemeinsam mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowohl auf globaler als auch auf nationaler Ebene eine verstärkte Finanzierung im Bereich des Sozialschutzes. Zudem sei es wichtig, den Ausbau des Zugangs zu qualitativ hochwertiger Bildung in den betroffenen Regionen und eine stärkere Fokussierung auf Gesetze zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht zu forcieren.
Mit zunehmendem Alter sind mehr Jungen als Mädchen von Kinderarbeit betroffen. Grund hierfür könnte sein, dass junge Mädchen in einigen Regionen frühzeitig in Eheschließungen und Schwangerschaften gedrängt werden, wodurch sie einerseits aus dem Bildungssystem, aber auch aus dem Arbeitsmarkt zumindest vorübergehend ausscheiden. Die gefährlichsten Arten der Kinderarbeit sind dabei in allen Altersgruppen vertreten, wobei 57 Prozent der 15- bis 17-Jährigen gefährlichen Tätigkeiten nachgehen müssen.
- Kurzfassung des UNICEF-Berichts: "Kinderarbeit – Globale Schätzungen 2024, Trends und der Weg in die Zukunft"