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Julia Klöckner ist eine strenge Bundestagspräsidentin – aber zu Recht


Streit über die Bundestagspräsidentin
Stil, Kleidung, Regenbogenflagge – es geht um die Macht

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

08.07.2025 - 00:31 UhrLesedauer: 5 Min.
Julia Klöckner, Bundestagspräsidentin zu Gast auf der Chio Aachen Media Night: Stört ihre Kritiker vielleicht mehr ihr Äußeres als ihre politische Haltung?Vergrößern des Bildes
Julia Klöckner, Bundestagspräsidentin zu Gast auf der Chio Aachen Media Night: Stört ihre Kritiker vielleicht mehr ihr Äußeres als ihre politische Haltung? (Quelle: Breuel-Bild/imago-images-bilder)
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Julia Klöckner provoziert. Mit Worten, mit Entscheidungen, mit ihrer Erscheinung. Die politische Linke hält sie für eine Fehlbesetzung an der Spitze des Bundestags. Ist sie aber nicht.

Kennen Sie die Geschichte von Ella? Ella ist der Hund von Julia Klöckner, ein Doodle, also ein Pudelmischling. Ella hat einen eigenen Instagram-Account. Da sieht man sie in allen möglichen Lebenslagen, manchmal begleitet sie ihr Frauchen im Dienstwagen. Einmal sogar auf dem Weg zum französischen Präsidenten. Der "Spiegel" schreibt, in Berlin mache man sich Sorgen. Nicht wegen Ella, sondern wegen der Würde des Bundestags, dessen Präsidentin Ella, Pardon: Julia Klöckner ist.

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In der Geschäftsordnung des Parlaments steht, der Präsident – Präsidentinnen sind wohl mitgemeint – wahre die Würde und die Rechte des Bundestags und die Ordnung im Hause. Nun fragen sich Grüne und Sozialdemokraten, ob man so, also mit Ella, die Würde des Hauses wahren könne. Auch Parteifreunde aus Klöckners CDU stellen sich angeblich diese Frage. Das weiß ich alles aus dem "Spiegel", der hat gleich fünf Autorinnen und Autoren losgeschickt, um Julia Klöckner mal einem kritischen Journalismus zu unterziehen.

Als ich das las, fiel mir spontan Joschka Fischer ein, der Großvater der grünen Partei. Fischer wurde im Bundestag einst des Saales verwiesen, nach mehreren Ordnungsrufen. Als er widerwillig ging, rief er dem CSU-Mann Richard Stücklen, der die Sitzung leitete, zu: „Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub.“

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche.

Es geht nicht nur um den Stil, sondern auch um die Macht.

Das war 1984. Vierzig Jahre danach wird im Hohen Haus immer noch gepöbelt und gebrüllt, Beleidigungen sind an der Tagesordnung. Das schlechte Benehmen sitzt heute allerdings auf der rechten Seite des Parlaments, in den Reihen der AfD-Fraktion. Fischers Enkel sind anders. Gemeinsam mit den noch übrig gebliebenen Sozialdemokraten hüten sie die Würde des Parlaments. Das ist gut so. Aber dass ausgerechnet Ella eine Gefahr für diese Würde darstellen könnte, das ist doch Unsinn, mit Verlaub.

Nein, es geht nicht um Ella, sondern um Julia. Klöckner ist für die linke Seite des Bundestags eine Provokation. Sie sei nicht fair, heißt es. Sie polarisiere. Sie sei zu konservativ. Die Kritik macht sich an Stilfragen fest, an der Kleiderordnung im Bundestag. Und an der Regenbogenflagge. Aber es geht nicht nur um den Stil, sondern auch um die Macht.

Etwa die Sache mit der Regenbogenflagge. Klöckner lehnt es ab, zum Christopher Street Day in Berlin das Symbol der Vielfalt auf dem Bundestag zu hissen. Warum solidarisiert sich der Bundestag nicht mit der guten Sache? Hat er doch in den vergangenen Jahren auch getan, als die Sozialdemokratin Bärbel Bas Präsidentin war. Abgeordnete von Grünen und Linken erschienen aus Protest gegen Klöckners Entscheidung in bunten Regenbogenfarben im Parlament. Die Linken-Abgeordnete Charlotte Neuhäuser sagte aufgebracht: "Es geht um unser Überleben." Ernsthaft?

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Und jetzt plötzlich: Klartext

Klöckner setzt der moralischen Pflicht zum Bekenntnis die juristische Pflicht zur Neutralität entgegen. Der CSD ist als politische Demonstration angemeldet, auch wenn er wie ein bunter Karneval der Kulturen daherkommt. Der Bundestag sollte sich als Institution nicht mit politischen Anliegen gemein machen, findet seine Präsidentin. Oder sollte sie auch beim "Marsch für das Leben" die Flagge der Veranstalter hissen? Dieser Marsch richtet sich gegen Schwangerschaftsabbrüche, jegliche Form von Sterbehilfe und Stammzellforschung. Eine rhetorische Frage.

Sogar der Bundeskanzler schaltete sich in dieses Scharmützel ein. Auf den Bundestag gehörten nur Schwarz-Rot-Gold und die Europa-Flagge, stellte Friedrich Merz fest: "Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt." Prompt hieß es, er habe die queere Community zur Zirkusattraktion herabgewürdigt. Oder das Zirkusgewerbe beleidigt, je nach Standpunkt.

Merz und Klöckner reden so, dass auch Menschen außerhalb des Berliner Regierungsviertels sie verstehen. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen. In den letzten drei Jahren hat Olaf Scholz geschwiegen, Bärbel Bas agierte völlig unauffällig. Zusammen mit Frank-Walter Steinmeier, dem Bundespräsidenten der wolkigen Floskeln, waren die drei höchsten Repräsentanten des Staates sorgsam darauf bedacht, bloß nichts Falsches zu sagen. Vorher hat sich Angela Merkel 16 Jahre lang bemüht, alles Kontroverse aus der Politik zu verbannen. Und jetzt plötzlich: Klartext. Das ist anstößig. Aber überfällig.

Auch eine CSU-Politikerin wurde zur Ordnung gerufen

Eine weitere "Spiegel"-Autorin, die nicht zu den fünf bereits zitierten gehört, hielt Klöckner vor, sie wolle im Bundestag eine "Bügelfalten-Demokratie" etablieren, Debatten lasse sie nur im Dresscode "Business Casual" zu. Großartig, diese Formulierungen. Aber inhaltlich ist auch das Unsinn, mit Verlaub.

Klöckner hat den Linken-Abgeordneten Marcel Bauer aufgefordert, seine Baskenmütze abzusetzen. Nicht, weil die ein Symbol des Widerstands ist, sondern weil es seit Jahrzehnten Konsens ist, dass Hut und Mütze im Bundestag an der Garderobe bleiben. Sie verwies die Abgeordnete Cansin Köktürk aus dem Saal, weil sie ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Palestine" trug. Der Vorsitzenden der Grünen Jugend, Jette Nietzard, kündigte sie ein Hausverbot an, falls sie mit ihrem ACAB-Pullover („All Cops Are Bastards“) erscheinen sollte.

Politische Botschaften auf der Kleidung sind im Bundestag nicht erst untersagt, seit Klöckner Präsidentin ist. Es gab Abgeordnete, die T-Shirts gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 trugen. Oder die gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan demonstrierten. Dorothee Bär (CSU), heute Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt, trug einmal ein Trikot des FC Bayern München unter dem Blazer, nach einer bitteren Niederlage ihres Vereins. Sie alle wurden zur Ordnung gerufen. Sogar jene Abgeordnete, auf deren Shirts "Free Deniz" stand, als der deutsche Journalist Deniz Yücel in der Türkei in Haft saß. Das schmerzte mich, weil der Kollege jegliche Unterstützung brauchte.

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Vielleicht geht es eigentlich um etwas ganz anderes

Man könnte diese Regeln ändern. Die kurzen Clips, die Abgeordnete aus ihren Reden bei Instagram oder TikTok publizieren, würden vielleicht noch mehr Aufmerksamkeit finden, wenn das Outfit so plakativ wäre wie die Worte. Wenn man allerdings diese Regeln ändert, dann ändert man sie für alle. Auch für die AfD. Die Rechtsextremen sind leider sehr kreativ darin, griffige Parolen zu formulieren. Wollen wir, dass sie im Bundestag mit T-Shirts aufkreuzen, auf denen "Alles für Alice" steht? Oder irgendwas mit Remigration?

Ein CDU-Abgeordneter hatte sich kurz nach Klöckners Amtsantritt darauf vorbereitet, in einer Debatte über den Europarat ausführlich die Leistungen Konrad Adenauers zu würdigen. Sein Manuskript war länger als die Redezeit. Klöckner leitete die Sitzung durchaus straff und unterbrach ihn: "Danke, die Zeit ist abgelaufen." So macht sie das, egal wer redet. Man kann das kleinlich finden. Oder wohltuend. Weil es dem Deutschen Bundestag gar nicht schlecht ansteht, wenn er als Vorbild für eine kontroverse, aber zivilisierte politische Auseinandersetzung steht, in der die Regeln nicht nur auf dem Papier stehen.

Zum Schluss eine Vermutung: Die Aufregung über Julia Klöckner hat nicht nur mit ihren konservativen Überzeugungen zu tun, nicht nur mit ihrem Verständnis von Neutralität und von einer geordneten Debatte, schon gar nicht mit Ella. Sondern vor allem mit ihrer Persönlichkeit. Klöckner ist auffällig.

Immerhin verstehen alle, was Klöckner sagt

Politikerinnen tragen meistens Hose und Blazer in gedeckten Farben, damit Kolumnisten wie ich nicht über ihr Äußeres schreiben. Sie trägt farbige Kostüme und setzt nicht nur politische, sondern auch modische Akzente, sehr Lady-like. Sie lacht gern und laut, in einer Zeit, in der die Politik ein sorgenvolles Gesicht zeigt, wegen all der Krisen und der ungelösten Probleme. Sie stammt aus der Pfalz, wo der Genuss zu Hause ist, nicht die Askese. In ihrer Jugend amtierte sie als Weinkönigin, jetzt amtiert sie im Bundestag. Hier wie dort strahlt sie Lebensfreude aus.

Niemandem muss alles gefallen, was Julia Klöckner sagt. Aber gut, dass alle verstehen, was sie meint. Und keine Sorge, die Würde des Hohen Hauses ist nicht in Gefahr.

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