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Türkei vor Referendum: Stabilität oder Autokratie?


Türkei vor Referendum tief gespalten

ap, Suzan Fraser

Aktualisiert am 15.04.2017Lesedauer: 3 Min.
Ein Mann hält ein Schild mit der Aufschrift "Nein" ("Hayir") und ein Mann hält ein Schild mit der Aufschrift "Ja" ("Evet") zum Referendum.Vergrößern des BildesEin Mann hält ein Schild mit der Aufschrift "Nein" ("Hayir") und ein Mann hält ein Schild mit der Aufschrift "Ja" ("Evet") zum Referendum. (Quelle: Lefteris Pitarakis/AP/dpa)
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Die Befürworter sehen es als Chance, die Gegner als große Gefahr - das Referendum am Sonntag könnte die parlamentarische Demokratie am Bosporus auf Dauer verändern.

Nach zuletzt turbulenten Jahren sehnen sich viele Türken nach Stabilität. Doch der politische Preis wäre hoch: Staatschef Recep Tayyip Erdogan würde mit der Einführung des auf ihn zugeschnittenen Präsidialsystems de facto zum Alleinherrscher gemacht. Der Ausgang der Abstimmung ist Experten zufolge vollkommen offen.

Seit 2003 ist Erdogan an der Macht. Zunächst war er elf Jahre Ministerpräsident, ab 2014 regierte er als Präsident weiter. Weil er als erster direkt vom Volk zum Staatspräsidenten gewählt wurde, definierte er die Rolle des Amtes einfach neu - während seine Vorgänger eher repräsentative Aufgaben erfüllt hatten, übernahm Erdogan immer mehr die Kontrolle über die Politik in der Türkei. Sollte das von ihm angestoßene Referendum zu seinen Gunsten ausgehen, würde dies seine Macht noch einmal deutlich ausbauen - womöglich bis zum Jahr 2029.

Ein "Ja" am Sonntag würde den Weg frei machen für 18 Änderungen der Verfassung. Der Präsident könnte dann Minister und andere wichtige Regierungsbeamte ernennen sowie knapp die Hälfte der Mitglieder des "Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte", der wichtigsten juristischen Instanz des Landes. Außerdem wäre er jederzeit befugt, einen Ausnahmezustand auszurufen oder Dekrete zu erlassen. Das Amt des bislang eigentlich die Richtlinienkompetenz inne habenden Ministerpräsidenten würde abgeschafft.

"Die 18 Paragrafen sehen eine nur sehr schwache Trennung der Gewalten vor", sagt Ahmet Kasim Han von der Kadir-Has-Universität in Istanbul. Das würde "in übermäßiger Weise das Gewicht von Entscheidungen und die Exekutivgewalt in Richtung des Präsidenten verlagern". Eine Prognose zum Ausgang der Abstimmung wagt auch Han nicht abzugeben. "'Ja' und 'Nein' sind gleich wahrscheinliche Ergebnisse", sagt er.

In weiten Teilen der Bevölkerung ist Erdogan sehr beliebt, weil er ab 2003 zunächst für einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung sorgte. Doch in den vergangenen Jahren rutschte das Land immer weiter in die Krise ab. Anschläge von Islamisten erschütterten die Metropolen, im Osten eskalierte der Konflikt mit den Kurden. Im vergangenen Juli gab es dann den Putschversuch, den Erdogan zum Anlass nahm, massiv gegen seine Kritiker vorzugehen. Etwa 100.000 Menschen, darunter viele Richter und Lehrer, verloren ihren Job; mehr als 40.000, darunter viele Journalisten sowie auch prokurdische Abgeordnete der Opposition, wurden inhaftiert.

Bis zu drei Millionen Flüchtlinge aus Syrien

Eine weitere schwere Belastung für die Türkei ist der Bürgerkrieg in Syrien. Truppen Ankaras unterstützen in dem südöstlichen Nachbarland Kämpfer der Opposition, um jenseits der Grenze einerseits die Terrormiliz Islamischer Staat zu bekämpfen, andererseits aber auch den Einfluss syrisch-kurdischer Milizen einzudämmen. Zudem hat die Türkei bis zu drei Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Dass die Türkei auf diplomatischer Ebene derzeit etwas isoliert dasteht und die türkische Gesellschaft tief gespalten ist, hat wiederum viel mit Erdogan selbst zu tun.

Der Wahlkampf des 63-Jährigen war äußerst aggressiv. Im Ringen um die Stimmen der im Ausland lebenden Türken provozierte er Deutschland und die Niederlande mit obskuren Nazivergleichen. Im eigenen Land warf er seinen politischen Gegnern regelmäßig vor, "Terroristen" zu unterstützen. In zahllosen Großkundgebungen versprach er seinen Anhängern, dass mit dem neuen System die Zeit der instabilen Regierungen und Koalitionen vorbei sein werde. "Hätten wir diese Veränderungen nur schon vor Jahren umgesetzt", sagte er in dieser Woche auf einer Wahlkampfveranstaltung. "Die Verzögerungen haben wir teuer bezahlt."

Von fairen Voraussetzungen kann keine Rede sein

Der Wahlkampf von Erdogan war allerdings nicht nur verbal aggressiv. Die Opposition berichtet von mehr als hundert Behinderungen der eigenen Aktivitäten. Von fairen Voraussetzungen kann ohnehin keine Rede sein. Die Propaganda des "Ja"-Lagers wurde mit Hilfe der inzwischen fast durchweg regierungstreuen türkischen Medien unters Volk gebracht. Der Rückgriff auf staatliche Ressourcen sorgte zudem für eine klare Dominanz der Plakate und Banner Erdogans in den Stadtbildern. Gegner der Verfassungsänderung wurden nach eigenen Angaben oftmals bedroht, verprügelt und zum Teil sogar willkürlich festgenommen.

Kritik kommt auch von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die das Referendum mit Wahlbeobachtern Ort überwachen wird. In einem Bericht in der vergangenen Woche wurde betont, dass die Abstimmung im Rahmen eines Ausnahmezustandes stattfinde, in dem "grundlegende Freiheiten beschnitten und tausende Bürger inhaftiert oder entlassen worden sind, darunter Beamte, Richter, Journalisten und Mitglieder der Oppositionsparteien". Die internationale Organisation wies ebenfalls darauf hin, dass Veranstaltungen der "Nein"-Bewegung von "Verboten, Eingriffen der Polizei und gewaltsamen Störungen" behindert würden.

Sollte eine Mehrheit der Türken am Sonntag für "Ja" stimmen, werden die Änderungen der Verfassung voraussichtlich nach den nächsten allgemeinen Wahlen, die für 2019 geplant sind, in Kraft treten.

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