"Verteidigt die Wahrheit"

Aus Boston berichtet Nina Weber
Die Stimmung auf der jΓ€hrlich stattfindenden Konferenz der US-amerikanischen Wissenschaftsgesellschaft AAAS war schon mal besser. Vor einem Jahr etwa feierten die Teilnehmer die ersten Messungen von Gravitationswellen, die bis dahin nur theoretisch beschrieben waren. Eine Jahrhundert-Entdeckung, jubelten Physiker. Man sprach ΓΌber die Faszination des Weltalls, ΓΌber menschliche Neugier, ΓΌber Nobelpreise.
Dieses Jahr steht die Konferenz im Zeichen der ErnΓΌchterung. Nicht wegen der Gravitationswellen, sondern wegen Donald Trump. Die dominierenden Themen sind das vom US-PrΓ€sidenten verhΓ€ngte, inzwischen gestoppte Einreiseverbot, alternative Fakten, der Maulkorb fΓΌr Wissenschaftler in US-BehΓΆrden, die Sorge um die kΓΌnftige Forschungsfinanzierung und ein Protestmarsch, der "March on Science", am 22. April in Washington.
"Weckruf fΓΌr Wissenschaftler"
Ganz besonders bewegt die Forscher eine Personalie: Seit Freitag ist Scott Pruitt Chef der US-UmweltbehΓΆrde EPA, die er zuvor als Justizminister von Oklahoma regelmΓ€Γig verklagt hatte. "Die Γl-, Gas- und Kohle-Industrie ΓΌbernimmt die EPA", sagt Naomi Oreskes, Wissenschaftshistorikerin an der Harvard University. Sie nimmt an, dass Pruitt die AktivitΓ€ten der EPA deutlich einschrΓ€nken wird, zumindest in Bezug auf alle Klimawandel-Themen und erneuerbare Energien. Allein schon die Signalwirkung sei schrecklich. Die Industrie mΓΌsse immer entscheiden, auf was sie setzt. Kohle galt schon als tot. Aber gilt das noch, wenn ein Klimaskeptiker die EPA fΓΌhrt?
"Es geht hier gar nicht grundsΓ€tzlich um Trump, sondern um die Industrie, die die EPA seit vielen Jahren bekΓ€mpft", sagt Oreskes. Es sei nicht neu, dass Unternehmen massiven Druck auf die UmweltbehΓΆrde ausΓΌben.
Immerhin einen positiven Aspekt kann sie der aktuellen Lage abgewinnen. "Es ist ein Weckruf fΓΌr Wissenschaftler, die zu lange dachten, es sei nicht nΓΆtig, dass sie selbst ihre Forschungsergebnisse kommunizieren. Wir mΓΌssen den Menschen erklΓ€ren, was wir machen und warum es wichtig ist."
Beim Abschied von fossilen Brennstoffen und dem Umsteigen auf erneuerbare Energien etwa haben aus ihrer Sicht auch die Demokraten versΓ€umt, die Botschaft zu vermitteln, dass Wind- oder Solarenergie Jobs schaffen, die auch vor Ort bleiben.
Forscher fΓΌrchten harte finanzielle Einschnitte
Wie es mit der Forschung unter Trump weitergeht? John Holdren, wissenschaftlicher Berater von PrΓ€sident Obama, befΓΌrchtet harte finanzielle Einschnitte. Wenn Trump Steuern senken, den MilitΓ€retat erhΓΆhen, in Infrastruktur investieren und gleichzeitig die Krankenversicherung Medicare nicht anrΓΌhren wolle, mΓΌsse er an anderen Stellen sparen. Forschung und Entwicklung zΓ€hlten in solchen Situationen immer zu den ersten Opfern, sagt Holdren.
Nur ein Bereich brauche sich nicht zu sorgen, ist man sich in Boston einig: die militΓ€rische Forschung. Auch die National Institutes of Health wΓΌrden irgendwie durchkommen - weder Demokraten noch Republikaner mΓΆgen Krebs und Diabetes, scherzt Robert Cook-Deegan von der Arizona State University. Aber in allen anderen Bereichen wird es eng, befΓΌrchten viele Teilnehmer. Gerade die Grundlagenforschung werde es schwerer haben als bislang.
Wer wird Trumps Wissenschaftsberater?
Immer wieder werden Beispiele genannt, wie nΓΌtzlich die Grundlagenforschung ist, wie die von purer Neugier getriebene Wissenschaft die Menschheit auch ganz praktisch vorangebracht hat. GPS etwa wΓ€re in seiner Genauigkeit nicht existent ohne Einsteins Theorien.
Wer Holdrens Job in der Trump-Regierung ΓΌbernimmt, steht noch nicht fest. Es sei normal, dass zu diesem Zeitpunkt noch kein wissenschaftlicher Berater ernannt sei, sagt AAAS-PrΓ€sidentin Barbara Schaal. Nicht normal sei dagegen, dass es bisher keinerlei Diskussionen oder GerΓΌchte gebe, wer den Posten bekomme. "Dass man noch gar nichts darΓΌber gehΓΆrt hat, ist beunruhigend", so Schaal. Die Wissenschaftler haben Sorge, dass ihre Stimme in Zukunft nicht mehr gehΓΆrt wird, dass sie bei wichtigen GesprΓ€chen nicht mehr mit am Tisch sitzen.
Das, so sind sich alle einig, wΓ€re nicht bloΓ schlecht fΓΌr die Wissenschaft, sondern fΓΌr die Gesellschaft insgesamt. "Wir brauchen Daten, um kluge Entscheidungen zu treffen. Wir brauchen Wissenschaft, um mit neuem Wissen Probleme lΓΆsen zu kΓΆnnen", sagt Jane Lubchenco von der Oregon State University. Sie fΓΌrchtet, dass politische Entscheider kΓΌnftig nicht mehr die besten Forschungsergebnisse bekΓ€men - weil Wissenschaftler in BehΓΆrden Angst hΓ€tten, sich offen zu Γ€uΓern.
"Alternative Fakten gibt es nicht"
Schaal spricht in ihrer ErΓΆffnungsrede einen weiteren Punkt an, der die Forscher beunruhigt. Sie nennt fΓΌnf Frauen, die einen renommierten Preis fΓΌr junge Wissenschaftlerinnen in EntwicklungslΓ€ndern gewonnen haben, und bittet die PreistrΓ€gerinnen aufzustehen. Am Ende stehen nur vier. Die fΓΌnfte, Rania Mokhtar, lebt im Sudan. Zwar wurde Trumps Einreiseverbot inzwischen gerichtlich gekippt, aber es ist der Grund fΓΌr ihre Abwesenheit. Wissenschaft sei international, sagt Schaal. Ideen mΓΌssen Grenzen ΓΌberschreiten kΓΆnnen. Und Menschen ebenso.
Dass auch ein US-PrΓ€sident nicht alles verΓ€ndern kann, beruhigt die Forscher. Bei den erneuerbaren Energien etwa passiert vieles auf Ebene der Bundesstaaten, dort wird weiter in Wind- oder Solarenergie investiert. Doch Bundesstaaten haben begrenzte Budgets, sagt Holdren. Neue Erdbeobachtungsatelliten ins All zu schicken etwa kΓΆnnen sie sich allein nicht leisten.
Immer wieder blitzt der Widerstandsgeist auf, den ein PrΓ€sident, der Fakten nach seinem Geschmack zurechtbiegt, weckt. "So etwas wie alternative Fakten gibt es nicht", stellt Klimaforscherin Rosina Bierbaum klar. "Verteidigt die Wahrheit."