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Künstliche Intelligenz: So wird selbst George Clooney bald arbeitslos


Künstliche Intelligenz
Muss ganz Hollywood bald zum Arbeitsamt?

MeinungVon Wladimir Kaminer

08.07.2023Lesedauer: 5 Min.
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George Clooney: Auch im Filmgeschäft stellt die Künstliche Intelligenz einiges auf den Kopf. (Quelle: Jose Perez/Bauer-Griffin)

Intelligenz wird künstlich, wohin man auch schaut. Doch im deutschen Hollywood zeigt sich, dass die Menschheit zumindest in einer Hinsicht überlegen ist. Noch. Meint Wladimir Kaminer.

Neulich hat mich das Schicksal nach Babelsberg verschlagen. Einmal war ich schon hier gewesen, vor einem Vierteljahrhundert, beim Nachdreh für die amerikanische Filmproduktion "Duell – Enemy at the Gates". Die ursprüngliche Variante hatte nach Meinung der Produzenten ein zu schmales Happy End, es sollten mehr Blut und noch mehr Tränen fließen. Ich war einer von tausend Komparsen, die sowjetische Soldaten spielten.

In eine Uniform der Roten Armee verkleidet, mit einem großen gemalten Blutfleck auf Bauchhöhe, saß ich auf einem Panzer und lächelte fröhlich in die Kamera. Man hatte mir gesagt, dass ich ernst schauen solle – aber ich dachte naiverweise, die Amerikaner mögen Menschen, die immerzu lächeln. Wenn ich gut lächle, nehmen sie mich vielleicht mit nach Hollywood.

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch trägt den Titel: "Wie sage ich es meiner Mutter. Die neue Welt erklärt: von Gendersternchen bis Bio-Siegel".

Wahrscheinlich fanden sie meinen Gesichtsausdruck mit der mir angemalten Verletzung aber nicht kompatibel, die Amerikaner haben mich nicht nur in Deutschland sitzen lassen: Nein, sie haben gleich meine ganze Panzerszene aus dem Film rausgeschnitten. Im Nachhinein bin ich den Amerikanern dankbar dafür, dass aus meiner schauspielerischen Karriere nichts geworden ist. Dafür durfte ich jetzt für das deutsche Kulturfernsehen 3sat eine Dokumentation über Babelsberg drehen.

Babelsberg ist ein Friedhof der Träume. Nichts ist in diesen Filmstudios so, wie es scheint, alles Attrappe. Die Kunst bildet bekannterweise nicht nur die Realität ab, sie schafft eine Realität, die wir von der Wirklichkeit nicht immer unterscheiden können. Nach einer Woche, die ich in Babelsberg verbrachte, kam ich zum Schluss, dass vieles, was ich für meine eigenen Erinnerungen hielt, in Wahrheit nur Szenen aus irgendwelchen vor langer Zeit gesehenen Filmen waren.

Das bessere Berlin

Der Drehort Babelsberg ist vor mehr als 110 Jahren entstanden, damals hatte die Stadtverwaltung verboten, in den Wohnvierteln Berlins Filme zu drehen. Die bevorzugten Orte für Dreharbeiten waren Dachgeschosse in Wohnhäusern, statt Scheinwerfern benutzte man leicht entzündliche Chemikalien und manchmal Fackeln. Das analoge Filmmaterial fing Feuer und explodierte wie Schießpulver, sehr zu Verwunderung der Bewohner und dem Unbehagen der Feuerwehr.

Also hat man die Kinematografie in Wohngegenden streng verboten. Deswegen haben dann schlaue Künstler in einer leerstehenden Kunstblumenfabrik in Babelsberg Berliner Fassaden nachgebaut. Inzwischen haben sie dort eine ganze Hauptstadt-Attrappe, ursprünglich für die Serie "Babylon Berlin" gebaut und danach für alle möglichen Filmproduktionen genutzt.

Der Hauptstadt-Fake besteht aus vier typischen Berliner Straßen. Es sind zwar nur Fassaden, sie sehen aber wie echt aus, man kann dort schnell eine Abkürzung von Charlottenburg in den Wedding nehmen, oder durch eine Tür im Westen reingehen und eine Sekunde später durch eine andere Tür im Osten rauskommen. Das ist für Verfolgungsjagden perfekt. Überhaupt ist das nachgebaute Berlin viel schöner als die echte Stadt, sauber gefegt, mit lustigen Gardinen an den Fenstern und ohne lästige Touristen, überhaupt ohne Menschen und ohne Verkehr. Jede Stadt sieht ohne Menschen und ohne Verkehr besser aus, Berlin ist dann aber besonders schön.

Das Filmstudio Babelsberg hat die ganze deutsche Zeitgeschichte mitgemacht, war während der Weimarer Republik anarchistisch verspielt, danach strammer Nazi, dann romantischer Kommunist und nach dem Mauerfall ein knallharter Kapitalist, der mit der ganzen Welt Geschäfte machte. Natürlich war das alles nur Attrappe. Es ging hier schon immer um die Kunst, die Politik benutzte man als Ausrede. So sahen sich die Betreffenden jedenfalls in aller Regel selbst.

Tanzt uns auf der Nase rum

Im Museum der Filmgeschichte Babelsberg sind viele Raritäten aus den hundert Jahren ausgestellt, besonders attraktiv und liebevoll wurde jedoch die Geschichte der Defa erzählt. Dazu gehört das niedliche Sandmännchen, das allen, auch Erwachsenen, seinen sozialistischen Sand in die Augen streute. Auch das Bett von Paul und Paula mit einer hüpfenden, aus Karton ausgeschnittenen Paula in der Mitte und die drei Original-Nüsse vom Aschenbrödel liegen hier unter Glas, es sind erstaunlich kleine Nüsse ... Ich hatte sie viel größer in Erinnerung.

Von modernen Filmproduktionen ist im Museum nichts zu sehen. Sie hinterlassen kaum Artefakte. Heute werden die Filme hauptsächlich digital gedreht, die hinterhältige Künstliche Intelligenz übernimmt langsam, aber sicher die Filmbranche. Ursprünglich war es eigentlich ganz anders gedacht. In meiner Kindheit war viel von der Robotisierung der Arbeitsprozesse die Rede: Es ging in erster Linie darum, dass die Maschinen uns die schwere Arbeit abnehmen, Straßen fegen, Röhren legen und Brücken bauen.

Sie sollten Post austragen und Brote backen. Während wir von der lästigen Pflicht des Frühaufstehens und der körperlichen Anstrengung befreit uns dem Kaffeetrinken widmen und kreativen Tätigkeiten nachgehen könnten. Genau das Gegenteil ist dabei herausgekommen: Die Künstliche Intelligenz übernimmt die kreativen Berufe, sie möchte malen, dichten, Musik machen, Bücher schreiben und tanzen. Und wir sollen fegen und backen. In Babelsberg hat sich die Künstliche Intelligenz ein eigenes digitales Studio aufgebaut, einen kleinen Raum mit weißen Wänden und Böden wie in einer Irrenanstalt. In die Wände hat man 36 Kameras installiert, die von jedem Mensch schnell eine digitale 3-D-Kopie erstellen und abspeichern können.

Abschließend wird dieser abgespeicherte Mensch durch Landschaften seiner Wahl geschickt, er kann sprechen und Grimassen schneiden, er kann sich selbst Regieanweisungen ausdenken. Die Modelle werden immer echter, die Stars aus Hollywood haben sich leichtsinnig klonen lassen und wissen gar nicht mehr, wie viele sie jetzt sind. Es ist wohl schon vorgekommen, dass irgendwelche künstlich erzeugten George Clooneys von sich behaupteten, sie seien die echten.

Grenzen der Künstlichen Intelligenz

Die Schauspieler sind verständlicherweise in Panik und lassen ihr Aussehen patentieren, damit sie, wenn sie schon nicht mehr mitzuspielen brauchen, dann in Zukunft mindestens die Tantiemen fürs Benutzen ihres Aussehens bekommen – Almosen, die uns die Künstliche Intelligenz großzügig überlässt. Manche Klone zucken noch ab und zu ungefragt mit dem linken Auge, doch die Entwickler sind sich sicher: So schnell wie die Maschinen rechnen, wird ein geklonter Schauspieler bald nicht mehr vom echten zu unterscheiden sein.

Zurzeit hapert es noch ein wenig bei der Stimmwiedergabe, erzählten mir die Macher. Eine Stimme ist schwieriger zu berechnen als das Aussehen. Wenn jemand klar und deutlich wie ein Nachrichtensprecher spricht, dann ist es kein Problem, so eine Stimme nachzumachen. Doch einen russischen Akzent kann die Künstliche Intelligenz zum Beispiel nicht glaubwürdig nachahmen. Auch wenn jemand nuschelt, lispelt oder stottert, ist es schwierig. Das macht die Künstliche Intelligenz völlig ratlos. Ich vermute, bald werden wir alle stottern lernen müssen.

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