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Wo Deutsche ein Problem mit Toleranz haben


Sozialpsychologe Zick
Deutsche haben Probleme mit Toleranz

Von t-online
Aktualisiert am 23.05.2016Lesedauer: 4 Min.
Maifeier in Berlin Kreuzberg: Wie tolerant ist Deutschland?Vergrößern des BildesMaifeier in Berlin Kreuzberg: Wie tolerant ist Deutschland? (Quelle: Imago / Müller-Stauffenberg)
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In Schwimmbädern werden gesonderte Badezeiten für Muslime angeboten. Will eine Frau mit Burka durch eine Innenstadt flanieren, darf sie das tun. Und in Kindertagesstätten wird aus Rücksicht auf Andersgläubige über ein Ende für Schweinefleisch debattiert. Ist Deutschland zu tolerant?

Für Andreas Zick, Sozialpsychologe an der Universität Bielefeld, geht es gar nicht darum, ob Deutsche tolerant sind oder nicht. Zick gilt in Deutschland als der führende Experte bei der Erforschung der Duldsamkeit gebürtiger Deutscher gegenüber "anderen".

Die Frage, erklärt Zick im Gespräch mit t-online.de, sei eher, von welcher Toleranz man spreche: "Es geht dabei nicht darum, andere zu dulden, sondern bei aller Differenz auch wertzuschätzen".

Doch genau mit der Wertschätzung haben Deutsche offenkundig ein Problem. Das geht aus Studien des Forschers hervor. "Einer Mehrheit der Befragten fällt es schwer, anderen Gruppen positive Eigenschaften zuzuschreiben", so Zick. Genau dies verlange aber die Toleranz.

Die deutliche Mehrheit hält sich für weltoffen

Dass sie Andersartiges abwerten, sei den meisten gar nicht bewusst. "Über 80 Prozent zweifeln gar nicht an der Toleranz. Sie halten sich für tolerant und weltoffen", erklärt Zick.

Das Problem der Deutschen scheint Zick zufolge also gar nicht zu sein, dass sie zu wenig oder zu viel Toleranz zeigen. Sondern dass sie gar nicht wissen, was Toleranz bedeutet. Nehmen wir das Beispiel mit den Badezeiten: Warum sollte man als toleranter Mensch eine Sekunde darüber nachdenken, ob das falsch ist? Oder haben Sie je gehört, dass sich jemand über gesonderte Zeiten oder eigene Bereiche für Frauen in der Sauna aufregt?

Aber wenn es um Muslime geht, ist die Reaktion einen andere: Das Ansinnen erscheint fremd, unbekannt, von ganz anderen Absichten getragen, als bei Deutschen - eine Einschränkung. Bestenfalls ernten die, die den Vorschlag machen, Skepsis.

Bürger zweiter Klasse

Dabei spielt, wie Zicks Studien zeigen, das Bedürfnis Einiger eine Rolle, Macht und Kontrolle über eine andere Gruppe zu erlangen. Und dabei haben es Muslime in Deutschland besonders schwer. "Muslime und der Islam dienen als Differenz, die zur Identität beiträgt. Was wir sind, bestimmt sich über Abgrenzungen", erklärt Zick. Die Behandlung von Muslimen als besondere Gruppe, teils als Bürger zweiter Klasse, zementiere die Schublade "Muslime sind ein Problem".

Es gebe vielerlei Gründe, warum Muslime einen schweren Stand haben. Historisch Gebildete verweisen etwa auf die beiden Belagerungen Wiens durch osmanische Truppen, im 16. und 17. Jahrhundert als Beispiel für die belastete Vergangenheit von Christentum und Islam.

Dazu gibt es psychologische Gründe durch Terroranschläge von Islamisten. "Muslime sind eine Gruppe, die besonders stark mit generell negativen Merkmalen wahrgenommen wird", so Sozialpsychologe Zick. Zahlen verdeutlichen dies: 2014 gaben 32 Prozent der Befragten seiner Studie an, sich durch die vielen Muslime wie ein Fremder im eigenen Land zu fühlen. 18 Prozent stimmten sogar der Aussage zu, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden müsse.

Integration lässt sich nicht gesetzlich regeln

In Sachen Integration - natürlich nicht nur von Muslimen - will die Politik gesetzliche Regelungen. Die CSU brachte gar den Vorschlag der "Integrationspflicht". Zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ein "Integrationsförderungsgesetz" vorlegen. Für Migrationsforscher wie Andreas Zick ist dies der falsche Weg. "Wir halten das eher für eine Einengung der Möglichkeiten als für eine Förderung von Integrationsprozessen."

Vorbildhaft sieht Zick hier die Wirtschaft: "Es ist beachtlich, welche Kampagnen die Wirtschaft fährt, um die Integration zu beschleunigen. Sie hat sich seit vielen Jahren um Zuwanderung bemüht, weil es an Fachkräften überall mangelt", erläutert Zick. Die Wirtschaft erkenne schneller, wie wichtig Migration für globalisierte Märkte sei.

Wechselseitiger Austausch

Auf der gesellschaftlichen Ebene sei es für eine gelingende Integration wichtig, dass es einen wechselseitigen Austausch zwischen Einheimischen und Zugezogenen gebe. "Integration bedeutet, dass beide Seiten profitieren, wie auch Pflichten und Regeln tauschen und einhalten. Wenn soziale Veränderung als Normalfall akzeptiert wird, dann kann man dem auch entspannter entgegentreten", so Zick.

Der Austausch mit Muslimen wäre laut Experten also zielführend. Laut der Studien ist die abgrenzende Haltung der ethnisch Deutschen aber noch sehr verbreitet - inwieweit sich Zugewanderte oder deren Kinder selbst abgrenzen, steht dabei auf einem anderen Blatt.

Ob sich an der Haltung der Deutschen etwas ändern wird, ist schwer vorhersehbar. Aber dass sich Toleranz "in die Gene einschreibt", sieht Zick nicht. Junge und ältere Menschen stünden sozial unter Druck. Viele hofften, durch die Abwertung der anderen, selbst mehr Wert zu haben. "Vorurteile", sagt Zick, "gibt es in jedem Alter."

Es komme nicht darauf an, wie viel Kultur im Land sei, sondern man müsse auch lernen, damit umzugehen. "Parallelgesellschaften, die nichts voneinander wissen, gibt es eben auch in der Mitte der Gesellschaft", gibt Zick zu bedenken.

t-online.de beschäftigt sich in diesem Frühjahr mit der Frage: Sind wir Deutschen zu tolerant? Dazu wollen wir ein Gesamtbild erarbeiten, das alle wichtigen Facetten der Frage aufgreift. Lesen Sie hierzu in Kürze: "Wintermarkt, statt Weihnachtsmarkt, Schweinefleischkrieg an deutschen Schulen, saudische Moscheebau-Pläne - was steckt wirklich dahinter?"

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