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Demo gegen Antisemitismus | Für einen Abend trägt Berlin Kippa


Demo gegen Antisemitismus
Für einen Abend trägt Berlin Kippa

Nathalie Helene Rippich

Aktualisiert am 26.04.2018Lesedauer: 3 Min.
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Tausende Teilnehmer haben in Berlin gegen Antisemitismus demonstriert.Vergrößern des Bildes
Tausende Teilnehmer haben in Berlin gegen Antisemitismus demonstriert. (Quelle: Jan-Henrik Wiebe)

Jetzt reicht’s. Bei einer Kundgebung demonstrieren in Berlin Tausende gegen Antisemitismus – und tragen dabei Kippa. Ein guter Tag für Juden. Doch was ist morgen?

In einer kleinen Seitenstraße von Berlins bekanntester Flaniermeile, dem Kurfürstendamm, steht das Jüdische Gemeindehaus. Einst thronte hier eine Synagoge, während der Pogromnacht im November 1938 ging sie in Flammen auf, wurde 1943 bei Luftangriffen endgültig zerstört. Am Mittwochabend zieren Kippot Tausende Hinterköpfe, deren Besitzer den Blick auf eine kleine Bühne richten.

Antisemitismus, so hört man es von vielen Teilnehmern der großen Kundgebung in Berlin, die genau dort am Mittwochabend stattfand, ist auch heute noch ein Thema. Ist nie weggewesen und erwacht nicht erst seit dem Übergriff in Prenzlauer Berg oder Farid Bangs und Kollegahs Echo-Gewinn zu neuem Leben. „Berlin trägt Kippa“ war das Motto. Einen Abend lang konnte man in der kleinen Seitenstraße keinen Schritt tun, ohne einer solchen Kippa zu begegnen. In allen Farben, manche reich verziert, schmückten sie die Köpfe von Männern, Frauen, Kindern. Von Juden selbst, von Muslimen, Christen und jenen, für die Bibel, Talmud und Co. Märchen sind. Einen Abend lang waren sie alle Juden.

Özdemir: Existenzrecht Israels unstrittig

Über 2500 Menschen aller Altersklassen und Nationen standen gemeinsam und lauschten den Rednern, die die Jüdische Gemeinde Berlin versammelt hat. Unter ihnen Grünen-Politiker Cem Özdemir. "Jeder Mensch ob muslimisch oder nicht, ob jüdisch oder nicht, muss heute an der Seite von Juden stehen, wenn Juden angegriffen werden. Wer Teil dieses Landes werden möchte, der muss sich an die Staatsräson halten. Und Teil der Staatsräson ist es: Das Existenzrecht des Landes Israel steht nicht zur Diskussion." Applaus.

Eine vorsichtige Kritik an muslimischen Antisemiten kann sich kaum ein Redner verkneifen, die Anspielungen werden mit Beifall bewertet. Die klare Abgrenzung von pauschalen Urteilen noch stärker beklatscht. Als die Nachricht von der Auflösung einer Demonstration – ebenfalls gegen Antisemitismus – am Neuköllner Hermannplatz die Runde macht, kommentiert Naftali Neugebauer, selbst Jude: „Das ist die Wahrheit, hier trauen sie sich das nicht.“

"In ein paar Tagen ebbt es ab"

David Shay ist vor zwei Jahren aus Israel nach Berlin gezogen. Er gibt zu: „Man wird davor gewarnt, mit Kippa nach Neukölln zu gehen.“ Sofort grenzt er ein, dass er auf die traditionelle Kopfbedeckung auch in Marzahn verzichten würde. „Wegen der Nazis.“ Die Soli-Veranstaltung findet er gut, glaubt aber nicht, dass es viel bringt. „Gerade ist das Thema akut, aber in ein paar Tagen ebbt das ab“, befürchtet er. Menschen aus aller Welt würden in Berlin leben wollen – auch wegen des Multi-Kulti-Lifestyles – deshalb müsse man einander respektieren. Ohne Wenn und Aber.

Die Stimmung ist gut, alles ist friedlich. Es wird viel geklatscht, oft mit dem Kopf genickt. Die Redner treffen den Ton. Würden die Reden nach Intensität und Dauer des Beifalls bewertet, Dalia Grinfeld, Vorsitzende der jüdischen Studierenden, hätte gewonnen. In ihrer Rede, die sie mit einem doppelten „Shalom Berlin“, begann, richtete sie das Wort an mögliche anwesende AfD-Mitglieder. „Sie sind hier nicht willkommen.“ Man lasse sich nicht instrumentalisieren. „Stellen sie sich woanders hin.“

Das friedliche Miteinander, Respekt vor allen Geschlechtern, allen Neigungen, allen Kulturen und Religionen stehen ganz natürlich im Fokus dieser Veranstaltung, die friedlich über die Bühne ging. Direkt vor der Bühne hält Adel Nashmi ein Din-A4-Papier in die Luft. „Berlin trägt Kippa“ steht drauf. Ganz simpel. „Ich komme aus dem Irak, bin Christ. Ich wurde wegen einer Kreuzkette zusammengeschlagen, vor ein paar Jahren auf dem Alexanderplatz“, erzählt er. Ihm sei diese Veranstaltung wichtig. „Ich will einfach friedlich mit allen zusammenleben“, wünscht sich der Student.

Viele Fotos werden von dem christlichen Iraker gemacht, der neben einer jungen Muslimin steht, die über ihrem Kopftuch eine Kippa trägt. Am Mittwochabend sind die Zeichen bedeutungsschwanger. Es liegt etwas in der Luft …

"Besser als gar nichts"

Miriam, eine sympathische Frau mittleren Alters, steht etwas abseits der Bühne. „Es ist schade, dass diese Veranstaltung von der Jüdischen Gemeinde organisiert wurde. Es wäre wirkungsvoller, würde der Protest von außen kommen.“ Also nicht aus der jüdischen Gemeinde, sondern der Gesellschaft. Trotzdem ist die Jüdin gerne gekommen: „Das ist besser als gar nichts.“

"Es ist ein Geschenk, dass nach der Shoa wieder mehr als 100.000 Menschen in Deutschland leben. Sie leben hier weil es ein offenes und tolerantes Land ist. Das gilt es zu verteidigen", ruft Felix Klein, designierter Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, in die Menge. Am Mittwochabend sah es gut aus für Deutschlands Juden. Sie standen nicht allein da. Wie es weitergeht, bleibt abzuwarten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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