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Erfolgreich ohne Studium: "Dieses Herablassende kotzt mich an"


Erfolgreich ohne Studium
"Dieses Herablassende kotzt mich an"

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 15.08.2020Lesedauer: 4 Min.
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Ausbildungsberuf Bäcker (Symbolbild) und Bäckermeister Matthias Schmidt: Es braucht kein Studium um glücklich zu sein, sagen Menschen, die es wissen müssen.Vergrößern des Bildes
Bäckermeister Matthias Schmidt: Es braucht kein Studium, um glücklich zu sein, sagen Menschen, die es wissen müssen. (Quelle: privat/imago-images-bilder)

Nur ein Studium macht glücklich und erfolgreich? Großer Quatsch, sagen drei Menschen, die es wissen müssen – und berichten von ihren Erfahrungen.

Sollte Kevin Kühnert für den Bundestag kandidieren, obwohl er sein Studium abgebrochen hat? Nein, sagen die einen, er sollte erstmal etwas lernen und arbeiten. Warum denn nicht, sagen die anderen. Dahinter steckt eine Frage, die nicht nur für Politiker interessant ist.

Was sagen Abschlüsse über einen Menschen aus?

Drei Menschen erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen – und den Vorurteilen der anderen: Ein Studienabbrecher, der jungen Menschen das Backen beibringt. Eine Schulabbrecherin, die für einen Weltkonzern arbeitet. Und ein Werbemann, der zum Startup-Gründer wird.

Der Bäcker

Als Matthias Schmidt acht Jahre lang Stadtplanung studiert hat und kurz vor der Diplomarbeit steht, stellt er sich eine nicht unwichtige Frage: Ist es wirklich das, was du willst? Die ehrliche Antwort ist: Nein, das ist es nicht. Er bricht ab und schaut sich nach Alternativen um. Lebensmittel findet er gut, Koch oder Bäcker könnten etwas sein. Ein Koch muss immer spät arbeiten, denkt er, ein Bäcker immer früh. Beides nicht ideal. Er entscheidet sich für den Bäcker, auch weil er eine Lehrstelle fast nebenan bekommt.

In der kleinen, handwerklichen Bäckerei lernt Schmidt zu backen. Geschont wird er nicht. Warum tust du dir das an, fragt er sich an einigen Tagen. An anderen hat er großen Spaß an der Arbeit. Als er mit seiner Frau das erste Kind bekommt, wird das mit den Arbeitszeiten endgültig schwierig. Er überlegt, was er tun kann, und ergreift die Flucht nach vorn. Schmidt macht seine Meisterprüfung. Schon während der Ausbildung bekommt er einen Anruf von einer Berufsschule. Man brauche einen Bäckermeister. Er greift zu – und ist plötzlich Berufsschullehrer. Geregelte Arbeitszeiten inklusive.

Heute, mit 34 Jahren, ist er glücklich mit seinen Entscheidungen. Seinem Diplom trauert er nicht nach, auch wenn er manchmal ein schlechtes Gewissen seinen Eltern gegenüber hat. Für acht verlorene Jahre hält er die Zeit nicht. Das Studentenleben hat immerhin etwas für sich. Er hat Erfahrungen gesammelt, und er kennt jetzt beide Welten. "Ein erlernter Beruf ist in den Augen vieler heute immer noch weniger wert als ein Studium." Auch er hat das zu spüren bekommen. Was willst du mit einem Bäcker, hätten ihn manche gefragt. "Dieses Herablassende kotzt mich an."

Die Kommunikatorin

Als sie klein ist, hat Magdalena Rogl einen Traum. Sie will Kindergärtnerin werden. Es lässt sie nicht los. Nach der zehnten Klasse bricht sie das Gymnasium ab und beginnt ihre Ausbildung. "Natürlich gab es Kritik aus der Familie und leider auch von Freunden", sagt Rogl. Ihre Noten sind gut, ein Abitur das natürliche Ziel, zumindest sehen die anderen das so.

Rogl sieht das nicht so. Denn da ist ja der Traum. Sie arbeitet als Kindergärtnerin, wird mit 19 schwanger und nach einigen Jahren nochmal. Sie lebt mit ihrer kleinen Familie in München und alles ist gut, bis es nicht mehr gut ist. Der Vater ihrer Kinder trennt sich von ihr. Rogl ist Mitte 20, plötzlich alleinerziehend – und knapp bei Kasse in der teuren Stadt. Mit einem Nebenjob bessert sie nach Feierabend ihr Erzieherinnen-Gehalt auf: Sie moderiert Kommentarspalten im Internet.

Es läuft gut, sie steigt auf. Ihre psychologischen Kenntnisse als Erzieherin helfen ihr. Irgendwann ist sie Vollzeit für die Community verantwortlich. Sie bildet sich abends weiter und wechselt in die Unternehmenskommunikation. Heute arbeitet sie für den Tech-Riesen Microsoft und verantwortet dort die digitalen Kanäle in Deutschland. Rogl ist 35 und wieder liiert. Ihr Mann hat zwei weitere Kinder in die Familie mitgebracht. Fast eine kleine Kita-Gruppe.

Doch ihr Weg dahin war nicht leicht. "Ich habe bei Bewerbungen sehr viele sehr schlechte Erfahrungen gemacht", sagt Rogl. Die Gesellschaft sollte eigentlich weiter sein, findet sie, und fragen, was jemand kann und nicht welche Zeugnisse er hat. "Das Leben ist ein viel wichtigerer Lehrer als die Uni."

Der Gründer

Sein erstes Produkt ist noch kein Kassenschlager. Bis heute hat Philipp Gleichmann den modifizierbaren Flugzeugtrolley, mit dem vor rund sechs Jahren alles beginnt, nicht oft verkauft. Im Unterschied zum üblichen Trolley, mit dem Flugbegleiter Tomatensaft durch die Sitzreihen schieben, ist seiner mit verschiedenen Extras individuell zu gestalten. Ein nützliches Systemmöbelstück für Firmen etwa auf Messen. Aber der Aufwand für Marketing und Vertrieb ist hoch – zu hoch für ein junges Start-up.

Gleichmann orientiert sich schnell um, andere Luftfahrtteile werden wichtiger – auch der übliche Trolley aus dem Flugzeug. Er ist heute der Topseller seiner Firma Wingdesign. Große Unternehmen wie MAN und Lufthansa Technik zählen zu seinen Kunden, auch Filmproduktionsfirmen und Krankenhäuser kaufen bei ihm. Gleichmann, 36 Jahre alt, ist glücklich. "Ich kann mich tagtäglich selbst verwirklichen."

Ein Studium braucht er nicht für sein Glück. Dabei wollte er erst studieren: Veranstaltungstechnik und -management. Schon in seiner Schulzeit organisiert er Konzerte. Doch bei Praktika lernt er die Arbeit schätzen, sucht nach Ausbildungsplätzen – und orientiert sich um. Gleichmann wird Werbekaufmann. Studieren, denkt er, kann er ja auch später noch. Es kommt nie dazu. Nach Feierabend in der Werbeagentur entwickelt er Ideen für seine eigene Firma. Die Luftfahrt fasziniert ihn, er bereitet erste Flugzeugmöbel auf, konstruiert mit einem Freund den ersten Trolley – und macht sich selbstständig.

In ein paar Wochen fängt jetzt sein zweiter Mitarbeiter an. Wen er einstellt, darüber entscheidet der Bildungsweg eher nicht. Gleichmann sagt: "Wichtig ist, was sie können, welche Erfahrungen sie haben – und ob sie ehrgeizig sind."

Verwendete Quellen
  • Telefongespräche mit Matthias Schmidt, Magdalena Rogl und Philipp Gleichmann
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